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Glossay: Du sollst den Roten nicht über den grünen Klee loben ...
Trifolium pratense,
- zur Familie der Leguminosen gehörend,
- mit dreigelapptem Blatt auf der Wiese wachsend,
- von Mai bis September blühend,
- durch langrüsselige Hummelarten befruchtet,
- in Europa bis Mittelasien heimisch,
- als Futterpflanze von Rind und Schaf geschätzt,
- zur Gründüngung geeignet,
- als Rotklee, Roter Steinklee, Wiesenklee, Honigklee oder Futterklee bezeichnet,
steht kurz vor der Erhebung in den therapeutischen Adelsstand und wurde bereits mit feinsten Prädikaten bedacht:
- die sanfte Pflanzenmedizin
- der pflanzliche Leibwächter für die Frauengesundheit
- das harmonisierende Wundermittel
- der Turbo in den Wechseljahren
- der heimische Lieferant von Isoflavonen
- der Herr über die Balance
- jungbrunnenhafte Kräfte entfaltend
- die Menopause vergessen lassend
- dem Älterwerden ein Schnippchen schlagend.
Und schon existiert eine "Forschungsgemeinschaft Rotklee" als eingetragener, gemeinnütziger Verein mit Sitz in Berlin, dessen ranghöchste Mitglieder alle aus Wien stammen. Oder kann man dem Internet keinen Glauben mehr schenken? Nach einer Pressemitteilung dieser den Rotklee lobenden Gemeinschaft von 2001 soll der Rotklee-Extrakt gegen Wechseljahrbeschwerden, Osteoporose, Herzinfarkt und Gedächtnisschwäche wirken sowie dem Krebs vorbeugen.
Doch begonnen hat die wunderbare Geschichte bereits vor über 60 Jahren, als bekannt wurde, dass synthetische Verbindungen, ich wiederhole und unterstreiche, totalsynthetische Verbindungen vom Typ des Diethylstilbestrols estrogene Wirkungen besitzen, obwohl sie keine Steroide sind. Eine gewisse chemisch-strukturelle Verwandtschaft kommt durch den in beiden Verbindungsklassen, den steroidalen Estrogenen und den Stilbestrolen, enthaltenen Phenol-Ring und die in etwa gleichem Abstand positionierte zweite OH-Guppe zum Ausdruck (Abb. 1). Wegen des Verdachtes auf mutagene Wirkung bei Töchtern von damit behandelten Müttern werden Diethylstilbestrol-Derivate heute nur noch zur Behandlung des Prostatakarzinoms eingesetzt.
Vergleichbare strukturelle Voraussetzungen wie bei den Stilbestrolen, d. h. ein entsprechender Abstand von der phenolischen zur alkoholischen (bzw. einer zweiten phenolischen) OH-Gruppe, der beim Estradiol 1,245 nm beträgt, finden sich auch in einigen sekundären Naturstoffen, z. B. im Stilbenderivat Rhaponticin (Rhaponticosid) und verschiedenen Isoflavonen wie Biochanin A, Daidzein, Formononetin oder Genistein, die u. a. in Soja, Sojazubereitungen und im Rotklee (Trifolium pratense) vorkommen und – etwas unkritisch sowie umstritten – als Phytoöstrogene bezeichnet werden (Abb. 2 und Abb. 3).
Was für diese Bezeichnung spricht, ist die Tatsache, dass phytoöstrogenhaltige Futterpflanzen für das Auftreten von Fertilitätsstörungern bei Weidetieren verantwortlich gemacht werden konnten. "Bad news are good news"! Isoflavone sind auch enthalten in Bohnen, Linsen, Kichererbsen, Nüssen, Getreide und Süßholz (Glycyrrhiza glabra). Und nicht zu vergessen, in der Traubensilberkerze (Cimicifuga racemosa).
Übrigens, wenn man in F. Bergers Synonyma-Lexikon der Heil- und Nutzpflanzen nachschaut, so heißt Cim. rac. Amerikanisches Wanzenkraut. Im Pharmazeutischen Wörterbuch von Hunnius heißt es schlicht Wanzenkraut. Würde die Therapie klimakterischer Beschwerden genauso wohlwollend beurteilt werden, wenn anstelle der edlen Traubensilberkerze das ordinäre Wanzenkraut die Quelle der "Östrophytos" darstellte?
Mit dem Prädikat "Phytoöstrogene" wurden auch Cumestane und Lignane belegt, was aber nicht zu der Annahme verleiten darf, dass alle Cumestane und Lignane die erwähnten strukturellen Voraussetzungen für eine Stilbestrol-Ähnlichkeit erfüllen würden. Mitteilungen über den therapeutischen Nutzen der sog. Phytoöstrogene stammen vorwiegend aus epidemiologischen Studien.
Der aktuelle Stand ist in einem Fazit des arznei-telegramms 11, 2001, zusammengefasst: "Ein klinischer Nutzen von Phytoöstrogenen ist nicht belegt, ihre Anwendung bei Beschwerden in den Wechseljahren oder zur Prophylaxe von Osteoporose und kardiovaskulären Erkrankungen therapeutisch nicht zu begründen. Bei Brustkrebs sind Phytoöstrogene möglicherweise riskant und daher kontraindiziert. Die Isoflavone Genistein und Daidzein fördern in vitro und in Tierversuchen das Tumorwachstum und beeinträchtigen die Wirksamkeit des Antiöstrogens Tamoxifen. Betroffenen Frauen ist von der Einnahme dringend abzuraten."
Ganz so dramatisch ist die Situation aber nicht zu sehen. Wer sich sachlich und fachlich informieren will, sollte die Studie von E. Liske, N. Boblitz und H.-H. Henneicke-von Zepelin lesen, die den Titel trägt: "Therapie klimakterischer Beschwerden mit Cimicifuga racemosa (Daten zur Wirkung und Wirksamkeit aus einer randomisierten kontrollierten Doppelblindstudie)", erschienen im Oktober 2000 in der Buchreihe "Phytopharmaka" bei Steinkopff, Darmstadt. Die Schlussdiskussion enthält den lapidaren Satz: "Somit ist entgegen früherer Ansicht nicht von einer östrogenartigen Wirkung auszugehen."
Historisches. 1929 wurde als erstes Sexualhormon Estron aus dem Harn schwangerer Frauen isoliert (Butenandt, Doisy). 1939 konnte Equilenin (ein equines Estrogen) als erstes Steroid totalsynthetisiert werden. 1939 kam auch das Diethylstibestrol als Cyren A® von Bayer und als Oestromon® von Merck in den Handel. Heute wird es in Form des Bis-dihydrogenphosphats zur Therapie des Prostatakarzinoms erfolgreich eingesetzt.
Notabene. Sollten sich in dieses Glossay wiederholt bestimmte Schreibfehler eingeschlichen haben? Einmal heißt es Estrogen, dann wieder Östrogen. Die Sache ist ganz einfach. Die moderne Schreibweise bedient sich seit über 20 Jahren des Buchstabens E. Die Pharmakognosten und Phyto-forschenden-Vereine halten hartnäckig am Ö fest. Wenn sie hier direkt oder indirekt zitiert werden, dann ist von östrogenartigen Phytoöstrogenen und Ähnlichem zu lesen.
Wann werden sie sich endlich bekehren lassen? Zum Nachteil der E-Schreibweise besteht allerdings die Möglichkeit, bei Pressemeldungen Estrogen mit Estragon zu verwechseln.
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