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Die Apotheke als zukunftsorientierter Dienstleister: Pharmazeutische Betreuung v

(daz). Zwei junge Apothekerinnen, Heike Scharfenberg und Kerstin Bornemann aus der Apotheke am Sultmer in Northeim, haben ein innovatives Konzept zur Betreuung von Krebspatienten in der Apotheke im Rahmen der pharmazeutischen Betreuung entwickelt. Mit diesem Konzept gewannen sie den Preis der Wirtschaftsseminare für Pharmazeuten, der von der Pharmagroßhandlung GEHE ausgelobt wird. Nachfolgend stellen sie ihr Konzept kurz vor.

Das Gesundheitssystem in Deutschland verändert sich. Um künftigen Herausforderungen gewachsen zu sein, muss die moderne Apotheke sich neu orientieren. Es gilt, sich den verändernden Bedürfnissen der Menschen und damit dem Markt anzupassen. Innovative Lösungen aber werden nicht im Preiswettbewerb zu finden sein, weil die Apotheke auf diesem Gebiet keine Chance gegenüber Discountern oder – sollte er denn kommen – dem Versandhandel hat.

Die Apotheke bietet Mehrwert

Das Berufsrecht und die gesetzlichen Regelungen bringen die Apotheke in eine Sonderstellung, die als Wettbewerbsvorteil genutzt werden kann: Sie steht als Markenzeichen für "Qualität im Gesundheitswesen". Durch das Angebot spezieller Beratungs- und Serviceleistungen erbringt die Apotheke vielfältigen Nutzen für den Gesundheitssektor. Durch persönliche Beratung und Kompetenz muss dieser Mehrwert für die Bevölkerung und die Politik sichtbar gemacht werden.

Die Stärke der Apotheke liegt in den persönlichen Beziehungen zu ihren Kunden und zu den Ärzten. Ein möglicher Ansatz könnte daher die Etablierung von Dienstleistungen im Rahmen der Pharmazeutischen Betreuung sein. Durch Spezialisierung in bestimmten Bereichen wird ein Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Apotheken erzielt. Hieraus erwächst ökonomische Stärke, die die Position der Apotheke auch gegenüber den anderen Leistungserbringern im Gesundheitswesen festigt.

Der Patient sollte bei jeder Initiative immer im Mittelpunkt stehen. Leider befindet er sich häufig im Spannungsfeld zwischen den Leistungserbringern: Krankenkassen, Pflegekräfte, Ärzte, Rehabilitation und andere. Primäres Ziel neuer Konzepte sollte deshalb sein, über eine Vernetzung der Beteiligten die Behandlung des Patienten zu optimieren, Reibungsverluste zu minimieren und letztlich Kosten zu sparen. Der Apotheker eignet sich aufgrund seiner Ausbildung als zentrale Anlaufstelle für den Patienten und Vermittler zu den anderen Bereichen.

Umsetzung der Pharmazeutischen Betreuung

"Pharmazeutische Betreuung bedeutet die systematische Erfassung und Optimierung der Arzneimittelanwendung beim Patienten durch den Apotheker, mit dem Ziel, den Anwendungserfolg zu verbessern und die Lebensqualität des Patienten zu erhöhen."

Am Beispiel der Betreuung von Krebspatienten soll gezeigt werden, welchen Nutzen ein solches Konzept für den Patienten und die Apotheke erbringen kann. Das Beratungsangebot der Apotheke am Sultmer in Northeim richtet sich an Krebspatienten und deren Angehörige. Die Krebspatienten sollen während ihrer Chemotherapie durch die Apotheke begleitet werden. Dazu erhalten sie vom Apotheker individuelle Informationen über ihr Therapieschema.

Der Patient muss vor allem wissen, wie er sich verhalten soll, wenn bestimmte Probleme oder Nebenwirkungen im Zusammenhang mit der Chemotherapie auftreten. Außerdem werden die Medikamente der Begleitmedikation – zum Beispiel gegen Übelkeit oder Schmerzen – in ihrer Wirkungsweise und Dosierung erklärt. Diese Informationen kann der Patient auf einem speziell für ihn erstellten Informationsblatt mit nach Hause nehmen, der Apotheker dokumentiert das Gespräch anschließend in der EDV.

Weiterhin beschäftigt sich die Apotheke mit Konzepten zur Krebsprävention. In Aktionswochen wird auf die Möglichkeiten der Krebsprävention aufmerksam gemacht. Auch Tabuthemen wie Stuhltests zur Darmkrebsfrüherkennung werden durch die Kunden erstaunlich gut angenommen. Zu den Spezialgebieten der Apotheke gehört auch die Beratung über ergänzende Heilverfahren zur Chemotherapie, wie die Behandlung mit Mistel-, Enzym- oder Thymusextrakten.

Ein weiterer wichtiger Bereich ist die umfassende Ernährungsberatung. Die Apotheke am Sultmer veranstaltet in regelmäßigen Abständen Informationsabende zu verschiedenen Themen, wobei auch die Anregungen der Patienten in die Planung einfließen. Der erste Zyklus fand zum Beispiel über Ernährung bei Krebs in Zusammenarbeit mit einer Ökotrophologin statt. Als weitere Themen werden im Herbst die ergänzenden Heilverfahren besprochen. Als zusätzlichen Service hält die Apotheke am Sultmer Adressen verschiedener Anlaufstellen bereit, wie etwa Spezialeinrichtungen zur Rehabilitation, von Psychologen oder zur Perückenberatung.

Nutzen der Pharmazeutischen Betreuung

Das Beratungskonzept wird in der Apotheke am Sultmer seit April 2002 praktiziert. Seitdem zeigten sich folgende Nutzenaspekte:

  • Patient. Dem Patienten wird die Angst vor Nebenwirkungen der Chemotherapie genommen, wenn Lösungen bekannt sind. Dies erhöht die Therapietreue (Compliance) und den Therapieerfolg: Der Patient fühlt sich sicher, und nicht zuletzt ist das Wissen um den Sinn einer Therapie immer mit höheren Heilungserfolgen verbunden. Damit entsteht Eigeninitiative des Patienten, und die Selbstsicherheit wird gestärkt. Er bekommt das Gefühl, Kontrolle über die Situation zu haben. Durch eine bessere Therapieeffizienz bekommt man den Eindruck, dass die Lebensqualität steigt, was der bedeutendste Aspekt ist.
  • Arzt. Das Vertrauensverhältnis Patient - Arzt wird durch das Wissen um die Therapie gestärkt. Durch die persönliche Betreuung und die Beratung des Patienten hinsichtlich Nebenwirkungen und Verträglichkeit der Therapie wird der Arzt in seiner Arbeit entlastet. Die Erklärung der Medikamente durch den Apotheker bedeutet eine Arbeitsersparnis für den Arzt. Bessere Compliance bedeutet besseren Therapieerfolg. Durch die Überprüfung der Chemotherapie-Dosis und die Beurteilung von Wechselwirkungen durch den Apotheker wird die Therapiesicherheit erhöht.
  • Krankenkasse. Der Nutzen für die Krankenkassen zeigt sich in Form von Kosteneinsparungen durch den effektiveren Einsatz der Medikamente, da die Patientencompliance aufgrund des besseren Therapieverständnisses steigt. Zu berücksichtigen ist auch, dass der Arzt für seine Beratungsleistung bezahlt wird und der Apotheker zur Zeit kostenlos berät. In Zukunft ist die Einbindung der Apotheke in Disease-Management-Programme denkbar. Weitere Vernetzungen sind zum Beispiel mit Pflegediensten möglich.
  • Apotheke. Über eine Qualitätssicherung der Beratung gewinnen Apotheken onkologische Patienten als Stammkunden. Die Gewinnung von Kunden ist sicher der größte Nutzen. Eine Umsatz- und Ertragssteigerung zeigt sich durch vermehrte Lieferung der Begleitmedikation. Durch die neuen Aufgaben wächst zudem die Mitarbeiterzufriedenheit. Die Beratung als Dienstleistung wird dokumentiert, damit weitere Gespräche daran anknüpfen können und auch andere Mitarbeiter ein Gespräch fortführen können.

Wichtig: Mit der Dokumentation wird die Leistung des Apothekers messbar, das stärkt seine Position gegenüber anderen Anbietern im Gesundheitswesen.

Ein Beispiel der Patientenbetreuung

Nachfolgend ein Beispiel, wie eine Patientenbetreuung aussehen kann. Die Grundlagen bzw. Ideen für ein Betreuungskonzept haben wir in zahlreichen Seminaren erworben. Vorreiter auf diesem Gebiet ist Michael Höckel (Fachapotheker für Offizin-Pharmazie, Mitglied im Arbeitskreis Klinische Pharmazie der Uni Bonn).

Höckel ist zur Zeit Krankenhausapotheker im AK Harburg des LBK Hamburg. Dort läuft die Vorbereitung und Durchführung einer Studie zur Pharmazeutischen Betreuung von Bronchialkarzinom-Patienten am Thoraxzentrum Hamburg, dessen Anreize zur Pharmazeutischen Betreuung von Krebspatienten wir ausgearbeitet und in die Praxis umgesetzt haben.

  • Therapieschema: Epirubicin 60 mg/m2 in 250 ml NaCl 0,9%, Infusion in 45 min Cyclophosphamid 600 mg/m2 in 500 ml NaCl 0,9%, Infusion in 60 min
  • Begleitmedikation: Im Vorlauf: Odansetron (Zofran®)/ Dexamethason 8mg/ Mesna (Uromitexan®) 200 mg jeweils i.v. Weitere Medikation: nach 4 Stunden Uromitexan 200 mg i.v., nach 8 Std. Zofran 4 mg p.o.

Im Verlauf des Chemotherapietages bekommt der Patient noch mindestens 1,5 Liter Flüssigkeit (NaCl 0,9% und Sterofundin) intravenös verabreicht.

Begleitmedikation für zu Hause: Tag 2: Zofran® 4 mg p.o. 2x1 Tablette Tag 3 – 4: Alizaprid (Vergentan®) 3x1 Tablette Therapiewiederholung Tag 22 – 29 (bei ausreichenden hämatologischen Parametern)

Die Beratung über die Therapie bezieht sich zum einen auf die Chemotherapie und zum anderen auf die Begleitmedikation. Für die hergestellten Infusionslösungen bekommen die Patienten normalerweise keinen Beipackzettel ausgehändigt. Die relevanten Nebenwirkungen wurden daher von uns patientenverständlich erklärt, und zugleich erhält der Patient Hinweise, wie er sich bei Auftreten etwaiger Nebenwirkungen verhalten soll.

Die Patientenhinweise im vorliegenden Beispiel sehen folgendermaßen aus: Epirubicin hat eine rote Farbe. Vorrübergehend kann es zu einer Rotfärbung des Urins kommen, die aber nach wenigen Tagen wieder verschwindet.

Die Chemotherapie beeinträchtigt die Zusammensetzung des Blutes: durch Verminderung der Leukozyten wird die Infektanfälligkeit erhöht. Dem Patienten sollte dazu geraten werden, erkältete, erkrankte Personen, die ihn anstecken könnten, zu meiden. Weiterhin wird durch eine Verminderung der Blutplättchen die Blutgerinnung beeinträchtigt und Blutungen können leichter auftreten.

Das Blutbild wird aber vom behandelnden Arzt vor jeder Chemotherapie kontrolliert und gegebenenfalls durch Medikamente korrigiert. Nach Beendigung der Therapie erholt sich der Körper wieder und die Zusammensetzung des Blutes normalisiert sich.

Übelkeit und Erbrechen würden auftreten, wenn keine Begleitmedikation erfolgt. Mit dem Patienten wird die Dosierung besprochen und ihm erklärt, dass er die Begleitmedikation regelmäßig nehmen sollte, um gastrointestinalen Nebenwirkungen schon im Vorfeld entgegenzutreten.

Wichtig ist es, den Patienten zu beruhigen und ihm zu erklären, dass er bei Übelkeit und Erbrechen nicht aushalten und auf keinen Fall seine Medikamente aufsparen darf, falls die Beschwerden noch zunehmen. Der Patient erhält immer auch etwas für den Notfall, wenn die regelmäßig genommenen Medikamente nicht ausreichen sollten. Für zu Hause wird die Medikation schriftlich festgehalten, indem sie in den Medikamentenpass eingetragen wird.

Der Patient wird darauf hingewiesen, dass Reizungen im Mund- und Magenbereich durch die Ernährung vermieden werden sollten. Denn die Chemotherapie schädigt auch die gesunden Zellen des Mund- und Rachenbereiches, da diese sich wie die Krebszellen rasch teilen.

Das größte Problem für die Chemotherapiepatienten ist die Angst vor Haarausfall. Da die Haarzellen wie die Krebszellen zu den sich schnell erneuernden Zellen gehören, teilen sich diese unter der Therapie auch nicht mehr. Nach Abschluss der Chemotherapiezyklen wachsen die Haare jedoch wieder nach, kann man den Patienten beruhigen. Hier sollte rechtzeitig weitervermittelt werden für einen eventuellen Haarersatz.

Ganz wichtig ist, dem Patienten klarzumachen, dass bei Beschwerden oder Schmerzen an der Injektionsstelle während der Infusion sofort die anwesende Arzthelferin benachrichtigt werden sollte. Es muss unbedingt ausgeschlossen werden, dass es sich dabei um ein Paravasat (Auslaufen des Zytostatikums in das umliegende Gewebe, was mitunter starke Nekrosen zur Folge haben kann) handelt.

Da Epirubicin das Herz schädigen kann, wird der behandelnde Arzt die Herzfunktion in regelmäßigen Abständen überwachen und eine Gesamtdosis von 500 – 1000 mg/m2 Körperoberfläche nicht überschreiten. Hinzuweisen ist noch darauf, dass bei Auftreten von Schüttelfrost, Fieber oder Hautausschlag Rücksprache mit dem Arzt über eine eventuelle Behandlung dieser Beschwerden erfolgen sollte.

Die Hinweise zur Begleitmedikation können so aussehen: Um zu verhindern, dass Cyclophosphamid eine Entzündung der Harnblasenschleimhaut hervorruft, bekommt der Chemotherapiepatient begleitend ein Mittel (Mesna, Uromitexan®) am Behandlungstag vor und nach den Infusionen.

Zudem sollte der Patient darauf achten, dass er besonders am Tag der Chemotherapie viel trinkt und regelmäßig die Blase entleert. Sollte er dennoch ein Brennen beim Wasserlassen verspüren, möchte er bitte den behandelnden Arzt benachrichtigen.

Zofran® wird kurz vor der Infusion der Chemotherapie gespritzt und dient als Tablette auch in den Tagen nach der Therapie dazu, Übelkeit und Erbrechen zu vermeiden. Es blockiert im Brechzentrum des Gehirns die Angriffspunkte für Stoffe, die Brechreflexe auslösen können.

Zofran® ist sehr gut verträglich. Nur in sehr seltenen Fällen kann es zu Kopfschmerzen oder Schwindel kommen. Sollte gleichzeitig ein morphinähnliches Schmerzmittel eingenommen werden, kann es verstärkt zu Verstopfung kommen. Hier hilft es, viel zu trinken und bei Bedarf ein Abführmittel einzunehmen. Falls der Patient an Herzrhythmusstörungen oder anderen Herzproblemen leidet, sollte er mit dem Arzt besprechen, ob das Medikament für ihn geeignet ist, da es Störungen der Erregungsleitung am Herzen verstärken kann.

Vergentan®-Tabletten werden ebenfalls zur Behandlung oder zur Vorbeugung gegen Übelkeit und Erbrechen eingenommen. Seltene Nebenwirkungen können dabei Schwindel oder Bewegungsstörungen sein.

Dexamethason ist ein dem körpereigenen Kortison ähnlicher Stoff. In Verbindung mit einer Chemotherapie kann er Beschwerden lindern, die durch die Schwellung von Organen oder Kortison-Mangel entstehen. Gleichzeitig beugt Dexamethason Übelkeit und Erbrechen vor und kann die Wirkung anderer Medikamente gegen diese Nebenwirkung der Chemotherapie verstärken.

Fazit: Die Umsetzung unseres Konzeptes in die Praxis erfolgt mittlerweile bei mehreren Patienten. Die persönlichen Erfahrungen zeigen, dass die Patienten dankbar die Empfehlungen annehmen. Unser Ziel ist es, in Zukunft möglichst jeden neuen Chemotherapiepatienten in der onkologischen Praxis zu betreuen, was im Moment wegen zeitlicher Engpässe aber noch nicht zu realisieren ist.

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