- DAZ.online
- DAZ / AZ
- DAZ 37/2002
- Pflanzliche Arzneimittel...
Arzneimittel und Therapie
Pflanzliche Arzneimittel: Weltweit diskutiert: Phytoöstrogene
Der traditionell hohe Anteil der finnischen Nahrung an dunklem Vollkornbrot, Roggenknäckebrot und Beeren aller Arten und Farben aus den finnischen Wäldern – ihnen gemeinsam ist ein hoher Anteil an Ballaststoffen und vor allem an Lignanen – scheint die Risikofaktoren der sonst auch recht westlich geprägten Ernährung dort zu überlagern. Lignane zählen, wie Cumestane und Isoflavone als die inzwischen bekanntesten Vertreter, zu den Phytoöstrogenen, einer inhomogenen Gruppe von Pflanzeninhaltsstoffen.
Neue Bezeichnung: PhytoSERMs
Unter Phytoöstrogenen subsummiert man polyphenolische Pflanzeninhaltsstoffe, die dank gewisser sterischer Voraussetzungen (2 OH-Gruppen verbunden über eine unflexible Achse von ca. 1,2 nm) an beide humanen Östrogenrezeptoren (ER) binden – stärker an ER-β als an ER-α – und dort agonistisch oder antagonistisch wirken. Sie werden durch die Nahrung zugeführt und zirkulieren frei im Blut, normalerweise und abhängig von der Nahrungszusammensetzung in höheren Konzentrationen als die körpereigenen Östrogene.
Abhängig vom endogen-hormonellen Milieu können sie an den Rezeptoren östrogene und antiöstrogene, teilweise progesterone Wirkungen entfalten. Aufgrund dieser vielfältigen Wirkungen werden sie heute bevorzugt als "natürliche Östrogenrezeptormodulatoren", "SERMs" (Selective Estrogen Receptor Modulators) oder PhytoSERMs bezeichnet.
Männer und Frauen reagieren unterschiedlich auf pflanzliche Östrogene
Die meist als Glucoside in den Pflanzen vorliegenden Verbindungen werden erst durch die intestinale Mikroflora in aktive Metaboliten überführt, Isoflavone beispielsweise in Formononetin und Equol, Lignane in Enterolacton und Enterodiol. Nach etwa 20 Stunden werden sie über den enterohepatischen Zyklus als Glucuron- oder Sulphokonjugate ausgeschieden.
Genistein und Daidzein sind bereits auch direkt bioverfügbar. Die Phytoöstrogene lassen sich beim Menschen in Urin-, Plasma-, Speichel- und Prostatasekret nachweisen. Ihre Konzentration ist abhängig von der Ernährungsweise. Während hohe Gaben von Leinsamen oder Sojaproteinen in jungen Männern keine hormonellen Veränderungen bewirkten, verlängerten sie bei jüngeren Frauen vor der Menopause u. a. die Menstruationszyklen, bei postmenopausalen Frauen verringerten sie klimakterische Symptome wie Hitzewallungen und Vaginalatrophien.
Wirkung auf körpereigene Östrogene ...
Lignane und Isoflavone, Phytoöstrogene generell, beeinflussen die biologische Aktivität der Sexualhormone und deren Metabolismus. Sie können entweder direkt wirken, indem sie als Liganden mit den Östrogenrezeptoren in Wechselwirkung treten. Oder sie wirken indirekt und modulierend, indem sie in die Bioverfügbarkeit und den Metabolismus der körpereigenen Sexualhormone eingreifen. Sie stimulieren z. B. die Synthese des Sexualhormon-bindenden Globulins (SHBG) in der Leber und beeinflussen damit die Menge freier Östrogene im Plasma. Lignane im Besonderen hemmen die Aromatase, die am Aufbau der Sexualhormone beteiligt ist.
Bei der kompetitiven Verdrängung am Rezeptor lösen Phytoöstrogene jedoch eine wesentlich schwächere Wirkung als 17β-Estradiol aus: Genistein am ER-α 4%, am ER-β 87%, Daidzein am ER-α 0,1%, am ER-β 0,5% der Estradiolwirkung. Östrogeninduzierte Proliferationsvorgänge im Brust- oder Prostatagewebe werden daher stark gehemmt, was sich als Wachstumshemmung von malignen Zellen in solchen Geweben auswirken kann.
... und Enzyme
Phytoöstrogene beeinflussen in vielfältiger Weise zelluläre Enzymaktivitäten und greifen auf diese Weise ins Zellwachstum ein. Topoisomerase II, S-6-Ribosom-Kinase, Histidinkinase und Ornithindecarboxylase, maßgebliche Enzyme der Proteinsynthese, werden von Phytoöstrogenen inhibiert und damit die maligne Zellproliferation und -differenzierung wie auch die Angiogenese, d. h. die Bildung neuer Blutgefäße in wachsenden Tumorgeweben, aufgehalten.
Besonders gut untersucht ist der hemmende Einfluß von Genistein auf Tyrosin-spezifische Proteinkinasen, die u. a. die Onkogenexpression inhibieren und die Aktivitäten verschiedener Wachstumsfaktoren (EGF, ILGF, PDGF, TGF) regulieren. In vitro konnte in Brustkrebszelllinien eine Apoptose- und Supressorgenaktivierung beobachtet werden. Durch die Ausschaltung aggressiver Sauerstoffradikale wird zudem die DNA stabilisiert und Zellmutationen vorgebeugt.
In der Hemmung des PDGF (platelet-derived growth factor) und der Plättchenaggregation durch eine verminderte Tyrosinphosphorylierung vermutet man kardiovaskuläre Schutzeffekte. Dazu verhindern die antioxidativen Eigenschaften der Phytoöstrogene eine Oxidation von LDL-Cholesterol, erniedrigen den Gesamtcholesterolgehalt und bieten so erhöhten Schutz für die Gefäßwände.Ein beobachteter Einfluss auf den Osteoklastenmetabolismus und die Knochenresorption legt nahe, dass Phytoöstrogene nicht nur über die hormonelle Wirkung die Osteoporose beeinflussen. Viele der genannten Verbindungen zeigen immunmodulierende Wirkungen (erhöhte Aktivität der Lymphozyten und NK-Zellen). Lignane wirken außerdem antiviral, antibakteriell und antimykotisch.
Klimakterische Beschwerden in Japan unbekannt
Da in asiatischen Ländern mit einer an Phytoöstrogenen reichen Ernährung – sie ist entweder rein vegetarisch oder sojareich – klimakterische Symptome, Osteoporose und koronare Herzerkrankungen wesentlich seltener auftreten, wurde schon früh postuliert, dass unsere Ernährung eine Hauptursache für die so genannten "westlichen Leiden" ist, zu denen neben klimakterischen Beschwerden auch hormonabhängige Krebserkrankungen, der Dickdarmkrebs und KHK gehören.
Gerade in der frühen Phase der Karzinogenese reagieren präkanzerös geschädigte Zellen empfindlich auf Tumorpromotoren. Zu diesem Zeitpunkt können protektive Nahrungsbestandteile wie Phytoöstrogene den Verlauf der Tumorentstehung entscheidend beeinflussen. Tierversuche an Ratten und Primaten und auch entsprechende Studien an Menschen konnten die beschriebenen Effekte weitgehend bestätigen.
Bewusste Ernährung noch immer die beste Vorbeugung
Fazit des Symposiums: In unserer Nahrung liegen die besten Möglichkeiten zur Gesundheit. Noch sind zwar viele Fragen zum Einsatz von Phytoöstrogenen offen, insbesondere zum wirksamen Ersatz von synthetischen Hormonen in der Hormonsubstitutionstherapie durch Phytoöstrogene gibt es bisher keine gesicherte Evidenz. Viele der in Helsinki vorgestellten Ergebnisse bestätigten jedoch, dass Phytoöstrogene ein vielversprechender Ansatzpunkt zur Prävention unterschiedlicher Krankheiten sind. Sie vermögen dem Risiko von Krebs und kardiovaskulären Erkrankungen vorzubeugen und besitzen potenzielle protektive Eigenschaften bei der Entstehung von Osteoporose.
Auch wenn eine endgültige Bewertung dieser Pflanzenstoffe noch aussteht, werden sie nach dem derzeitigen Wissensstand eher nützlich als gesundheitsschädlich eingestuft. Es fehlen auch noch ausreichende Unterlagen über die richtige Dosierung und mögliche Nebeneffekte von supplementierten Phytoöstrogenen. Nach dem jetzigen Stand der Kenntnisse empfiehlt es sich, so Adlercreutz in seinem Schlusswort, Phytoöstrogene vor allem durch eine ausgewogene, dunkelgetreidereiche Ernährung zuzuführen. Und zwar je früher desto besser, am besten schon in Kindheit und Adoleszenz, wie neueste Langzeituntersuchungen annehmen lassen!
Kastentext: PhytoSERMs – PhytoSERMs – weit verbreitet im Pflanzenreich
Aus etwa 300 Pflanzen von 16 Pflanzenfamilien hat man inzwischen PhytoSERMs isoliert. Sie stammen aus den Stoffgruppen der Lignane (bevorzugt in Vollkorngetreide, Ölsamen wie Lein, Sesam, Sonnenblumenkernen, Beeren, Früchten, Hülsenfrüchten und Cruciferengemüsen), Stilbene (z. B. das Resveratrol aus dem Wein), Flavonoide und Isoflavonoide. Von letzteren leiten sich die auch sehr aktiven Cumestane (in Klee und Alfalfa-Sprossen) ab und die bekanntesten und bestuntersuchten Phytoöstrogene, die Isoflavone Genistein und Daidzein (reichste Quelle: Soja und Rotklee).
Kastentext: Festsymposium in Helsinki zur Phytoöstrogenforschung
Einer der Begründer und der ganz Großen der Phytoöstrogenforschung stammt aus Finnland: Professor Dr. Herman Adlercreutz. Er feierte in diesem Jahr seinen 70. Geburtstag. Sein ebenso berühmter finnischer Forscherkollege, Professor Dr. Max von Schantz, seit mehr als 40 Jahren Mitglied und seit 1987 Ehrenmitglied der Gesellschaft für Arzneipflanzenforschung, vollendete 2002 sein 80. Lebensjahr. Aus diesem Anlass veranstaltete die Gesellschaft für Arzneipflanzenforschung zusammen mit der Universität von Helsinki, wo beide Wissenschaftler forschen und lehren, ihren verdienten Mitgliedern am 5. Juli in Helsinki ein Festsymposium zu diesem aktuellen Thema.
Quellen
Prof. Dr. A. Vlietinck, Antwerpen, Prof. Dr. C. Wähälä, Helsinki, Dr. R. Lampe, Seattle, Prof. Dr. I. Rowland, Ulster-UK, Prof. M. Tikkanen, Helsinki, Prof. Dr. H. Adlercreutz, Helsinki; Festsymposium der Gesellschaft für Arzneipflanzenforschung, 5. Juli 2002, Helsinki. Adlercreutz, H.: Phytoöstrogens and cancer. Lancet Oncology 3, 364 – 373 (2002).
In Finnland mit einem hohen Anteil der Nahrung an dunklem Vollkornbrot soll das Brustkrebsrisiko nach epidemiologischen Studien nur etwa halb so hoch sein wie in den USA. In asiatischen Ländern mit einer an Phytoöstrogenen reichen Ernährung treten klimakterische Symptome, Osteoporose und koronare Herzerkrankungen seltener auf. Mehr denn je wird den Phytoöstrogenen großes Interesse entgegengebracht. Ein Symposium der Gesellschaft für Arzneipflanzenforschung bot einen Überblick über die therapeutischen Möglichkeiten und internationalen Forschungsergebnisse der letzten Jahre.
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.