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Geruchssinn: Von Pheromonen zum therapeutischen Parfüm
Der menschliche Embryo legt in der Nasenschleimhaut das Vomeronasalorgan (VNO) an, das in der 20. Schwangerschaftswoche maximal entwickelt ist. Seine Funktion outet es erstmals beim Säugling, der mit dem einpaarig angelegten Organ Signalstoffe detektiert, die von der Brustwarze der Mutter ausgehen und ihn sicher zur Nahrungsquelle führen. Beim Erwachsenen hielt man das VNO, das der dänische Militärarzt Jacobson 1811 bei Säugetieren und später beim Menschen beschrieb, lange Zeit für rudimentär und funktionslos. Seine Renaissance begann mit der Entdeckung der Pheromone.
Fernsteuerung durch Pheromone
Pheromone sind Substanzen, die ein Individuum ausscheidet, um bei Artgenossen eine bestimmte Verhaltens- oder Entwicklungsreaktion bzw. endokrine Reaktion auszulösen. Es handelt sich um kleine, flüchtige, geruchlose Moleküle. Das erste Pheromon isolierte im Jahr 1959 nach 20-jähriger Vorarbeit der Chemie-Nobelpreisträger Adolf Butenandt: Bombykol (10,12-Hexadecadienol), den Sexuallockstoff des weiblichen Seidenspinners.
Heute sind Pheromone bei vielen Tierarten nachgewiesen. Ob Bienen, Graskarpfen oder Gorillas, die ätherischen Botenstoffe markieren Reviergrenzen, warnen vor Feinden oder hemmen die Geschlechtsreife der Konkurrenten. Mehr als 50 Pheromone sind mittlerweile auch beim Menschen bekannt. Man unterscheidet drei Gruppen:
- Kopuline, die im Vaginalsekret vorkommen,
- Delta-16-Androstene, Abkömmlinge von Androgenen, und
- Vomeropherine, die beiden Geschlechtern eigen sind, in einer geruchlosen (weiblich) und einer stark riechenden Form (männlich).
Wie auch das eigentliche Riechorgan, verfügt das VNO über eine direkte nervale Verbindung zum limbischen System. Im Gegensatz zum Geschmackssinn, dem zweiten der "chemischen" Sinne, arbeitet das VNO weitgehend unbehelligt vom "Zensor" Neocortex. Es vermittelt also Botschaften, die Bewusstsein und Kontrolle weitgehend entzogen sind, und dient zwei komplementären Strategien: Frauen wählen so einen Partner mit vielversprechendem genetischem Potenzial – Männer spüren paarungsbereite Frauen auf.
Nasaler Attraktivitätstest
Der Mensch hat zwei bis drei Millionen Schweißdrüsen, mehr als jede andere Spezies. Die meisten sind in der Achselhöhle lokalisiert. Achselhaare funktionieren wie Dochte: An jeder Wurzel sitzt eine Drüse, die mit dem Schweiß auch Pheromone sezerniert. Über die große Oberfläche der Haare verdunsten sie, gelangen in die nähere Umgebung – die Reichweite menschlicher Pheromone beträgt nur wenige Zentimeter.
Sehr viele Pheromone sollen auch in der vom Nasenflügel zum Mundwinkel verlaufenden Nasolabialfalte gebildet werden. Der Kuss könnte insofern als Test auf ein passendes Pheromon- bzw. Gewebemuster interpretiert werden. Jede Körperzelle trägt auf ihrer Oberfläche ein charakteristisches Muster von MHC-Antigenen (major histocompatibility complex), die bei der immunologischen Erkennung von "Selbst" und "Fremd" eine Rolle spielen. Man vermutet, dass Menschen mit dem gleichen MHC-Muster den Körpergeruch des anderen als unangenehm empfinden, wenn er vom anderen Geschlecht ist.
Es ist zu fragen, welche Rolle unbewusste Duftwahrnehmungen angesichts der kulturellen Überformung unseres Verhaltens noch spielen. Der kultivierte Mensch will nicht riechen und wäscht, duscht und parfümiert seine natürlichen Ausdünstungen mehrmals täglich weg. Er verwendet künstliche Parfüms, die Pheromon-ähnliche Substanzen enthalten, z. B. Zibet, Moschus, Myrrhe, Weihrauch, Galbanum, Storax oder Benzoe. Welche Wirkungen damit erzielt werden, entzieht sich wissenschaftlicher Erkenntnis.
Nicht so manipulierbar
Die einschlägige Industrie testet die Pheromone durch. Es gibt messbare Effekte auf Scheidenfeuchte, Penissteife, Traumfantasien. Und doch enttäuschen die Superparfüms in praktischen Tests. Denn anders als bei Versuchstieren oder Laborversuchen, ist das Phänomen der Anziehung hochkomplex.
"Wenn zwischen Zweien keinerlei erotische Spannung aufkommt oder wenn sie/er partout nicht will, aus welchen Gründen auch immer, dann funktioniert nichts, ähnlich wie bei Viagra", konstatiert Prof. Dr. Dietrich Wabner, Chemiker in Garching. "Leider oder Gott sei dank sind wir also nicht so manipulierbar, wie sich der Duftforscher das gern vorstellt." Wo die Pheromon-Strategie immer funktioniert, ist im Kopf von Spermatozoen. Dort sitzt ein Rezeptor, der den Duft der weiblichen Eizelle aufnimmt.
Pflanzliche Pheromon-Alternativen
Doch der Duft-Spezialist Wabner und seine Arbeitsgruppe haben konventionelle Alternativen in petto. Sie experimentieren mit Signalstoffen aus dem Pflanzenreich. 0,2 Sekunden nach dem Auftreffen einiger Duftmoleküle auf die Riech-Zilien sind veritable Effekte festzustellen:
- Muskateller-Salbei, Jasmin, Patchouli oder Ylang-Ylang regen die Hypophyse zur Bildung von Endorphinen an. Effekt: Erhöhung von Wohlbefinden und Libido, mithin ein Kick in Richtung Verführung.
- Kamille (Echte und Römische), Lavendel, Majoran und Neroli regen die Serotoninproduktion an. Effekt: körperliche und seelische Entspannung.
- Kardamom, Wacholderbeere, Lemongras und Rosmarin setzen aus dem Locus coeruleus Noradrenalin frei. Effekt: körperliche, geistige und seelische Anregung.
- Muskateller-Salbei, Grapefruit, Rose und Jasmin setzen aus dem Thalamus Enkephaline (körpereigene Opioide) frei. Effekt: Wohlfühlen, Anheben der Stimmung.
Parfüms auf Basis von pflanzlichen, aber auch tierischen Duftstoffen haben eine lange Tradition. Ein berühmtes altes Parfüm ist "Indulgence" – das Lieblingsparfum von Königin Elisabeth I. (1558 – 1603), mit dem sie ihre Liebhaber betört haben soll. Es enthält Gewürznelke, graue Ambra, Moschus, Ladanum, Storax und Zibet. In früherer Zeit parfümierte man damit auch Gegenstände: das Bett, den Hut oder den Handschuh.
Aromatherapie am eigenen Leib
Clou der Forschung von Wabner und Arbeitsgruppe ist das "Therapeutische Parfüm", eine besondere Form der Aromatherapie (vgl. Kasten). Es soll das Wohlbefinden verbessern und Effekte hervorrufen, wie sie von so unterschiedlichen Tätigkeiten wie Marathonlauf, Hyperventilation, Sex und Schokoladengenuss bekannt sind. Ein weiterer Tipp vom Geruchsspezialisten: das Verduften des Parfüms in Räumen, z. B. auch in Praxis bzw. Offizin – nicht mit dem Zweck der Verführung, sondern des Wohlfühlens. "Aber Verführung ist es allemal", sinniert Wabner.
Kastentext: Das Therapeutische Parfüm
- Absicht und Wirkung: nicht nach außen, sondern nach innen, auf die eigene Person
- Anwendung: gegen Melancholie, Stimmungsschwankung, Mangel an Selbstvertrauen
- Rezepturbestandteile: Muskateller-Salbei, Grapefruit, Rose und Jasmin
- Wirkung: Bildung von Enkephalinen, besseres Befinden
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