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Recht aktuell
"Off-Label-Use" – Auswirkungen auf die Apotheker
Das BSG hat die Klage des Patienten auf Kostenerstattung bzw. auf Übernahme künftiger Kosten für das Fertigarzneimittel zwar – ebenso wie die Vorinstanzen – abgewiesen. In seiner Entscheidung kommt das BSG jedoch zu dem Ergebnis, dass der Ausschluss des zulassungsüberschreitenden Einsatzes eines Fertigarzneimittels in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht ausnahmslos gelte. Die Verordnung eines Fertigarzneimittels außerhalb der zugelassenen Anwendungsgebiete komme vielmehr dann in Betracht, wenn
- es sich um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung handele,
- keine andere Therapie verfügbar sei und
- aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht bestehe, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden könne.
Letzteres sei dann der Fall, wenn eine Zulassungserweiterung bereits beantragt und Ergebnisse einer Studie der Phase III veröffentlicht wurden, die eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen, oder zu außerhalb des Zulassungsverfahrens gewonnenen Erkenntnissen, die über die Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen, in den Fachkreisen ein Konsens über den voraussichtlichen Nutzen des Arzneimittels bestehe.
Noch Unklarheiten
Diese Vorgaben, die das BSG schon in seiner Pressemitteilung Nr. 16/02 am 19.3.2002 mitgeteilt hatte, sind leider in den jetzt veröffentlichten Entscheidungsgründen nicht präzisiert worden. Nach den knappen Darstellungen des BSG zur Verordnungsfähigkeit von Sandoglobulin bei Multipler Sklerose scheint es so, als ob das BSG einen "Konsens" dann verneinen möchte, wenn der Nutzen des Arzneimittels in den Fachkreisen "kontrovers diskutiert" wird.
Von einem "Konsens" könnte man dann nur sprechen, wenn in den Fachkreisen tatsächlich Einvernehmen über den Nutzen der Therapie erzielt worden ist. Eine solche Forderung dürfte im Ergebnis das BSG – auch unter Beachtung seiner insoweit missverständlichen Formulierungen – nicht erheben. Denn es muss bezweifelt werden, dass eine solche Interpretation des Begriffes "Konsens" überhaupt noch Raum für außerhalb des Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse lässt, die zu einer Verordnungsfähigkeit des Arzneimittels außerhalb der zugelassenen Indikation führen können.
Diese Zweifel ergeben sich daraus, dass selbst bei zugelassenen Arzneimitteln der Nutzen keineswegs einheitlich beurteilt wird, sondern durchaus auch Gegenstand von Diskussionen ist. Derartige kontroverse Diskussionen dürften sich gerade bei neuartigen Therapien in nahezu allen Fällen finden. Schon nach dem Urteil des BSG soll jedoch unter den drei genannten Voraussetzungen der zulassungsüberschreitende Einsatz von Arzneimitteln möglich sein. An das Vorliegen dieser Voraussetzungen sollten keine übermäßigen Anforderungen gestellt werden. Es dürfte deshalb auch dann von einem Konsens auszugehen sein, wenn lediglich vereinzelte Stimmen in der Wissenschaft dem Arzneimittel den Nutzen absprechen.
Nicht verkehrsfähig?
Neben diesen Fragen zur Verordnungsfähigkeit, die primär den Verantwortungsbereich des Arztes treffen, enthält das Urteil aber auch Aussagen, die sich unmittelbar auf den Apotheker beziehen. So vertritt das BSG die Ansicht, ein Fertigarzneimittel sei für einen Einsatz außerhalb der zugelassenen Anwendungsgebiete nicht verkehrsfähig. Es dürfe, wie sich aus § 21 Abs. 1 S. 1 AMG und dem Zusammenhang mit den übrigen Zulassungsvorschriften ergebe, nur für die Zwecke und mit den Merkmalen in Verkehr gebracht werden, die Gegenstand des Zulassungsverfahrens gewesen seien.
Für ein anderes Anwendungsgebiet dürfe es demgemäß nicht zum Verkauf oder zu sonstiger Abgabe vorrätig gehalten, feilgehalten, feilgeboten oder an andere abgegeben werden (§ 4 Abs. 17 AMG). Der Hersteller dürfe bei den Apothekern für das Arzneimittel nur insoweit werben, als die zugelassenen Anwendungsgebiete betroffen seien. Der Apotheker dürfe das Arzneimittel nicht zu anderen als den zugelassenen Zwecken anbieten oder verkaufen. Verstöße gegen das Verbot des Inverkehrbringens seien strafbar (§ 96 Nr. 5 AMG).
Gleichwohl sei der Arzt nicht gehindert, das Arzneimittel zulassungsüberschreitend zu verordnen und einzusetzen, da die unmittelbare Anwendung am Patienten nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keine Abgabe im Sinne des AMG darstelle.
Verkehrsfähig, wenn zugelassen
Diese Ausführungen gehören sicherlich nicht zu den tragenden Gründen der Entscheidung. Das BSG hat sich nicht mit der Frage beschäftigt, ob der Apotheker rechtmäßig handelt, wenn er Arzneimittel abgibt, die außerhalb der zugelassenen Indikation eingesetzt werden sollen. Die Überlegungen des BSG geben gleichwohl Anlass zu einer kritischen Betrachtung:
Zunächst ist schon die Prämisse des BSG fraglich, dass ein zugelassenes Arzneimittel – außerhalb der zugelassenen Indikation – als nicht verkehrsfähig anzusehen ist. Es ist zwar richtig, dass die Zulassung produkt- und personenbezogen erteilt wird. Zudem erfolgt die Zulassung nur anhand der nach § 22 AMG vom pharmazeutischen Hersteller überlassenen Unterlagen. Andererseits findet sich aber in § 21 Abs. 1 S. 1 AMG über die Produkt- und Personenbezogenheit der Zulassung des Arzneimittels hinaus keine weitere Beschränkung der Verkehrsfähigkeit nur auf die zugelassenen Anwendungsgebiete.
Der Wortlaut des § 21 Abs. 1 S. 1 AMG, wonach Fertigarzneimittel in Deutschland nur dann in den Verkehr gebracht werden dürfen, wenn sie zugelassen sind, spricht eher für eine weite Auslegung der Verkehrsfähigkeit. Denn dort heißt es eben nicht, dass Arzneimittel nur in den Verkehr gebracht werden dürfen, "soweit sie" zugelassen sind, sondern "wenn sie ... zugelassen sind". Dass das Arzneimittel zugelassen ist, steht aber außer Frage. Insofern hätte es zumindest einer Begründung der vom BSG vertretenen Auffassung bedurft.
Begeht der Apotheker Rechtsbruch...?
Folgt man allerdings der Auffassung des BSG zur fehlenden Verkehrsfähigkeit des Arzneimittels außerhalb der zugelassenen Indikation, wird der Patient bzw. Arzt im Ergebnis nur durch einen Rechtsbruch des Apothekers in den Besitz eines nach § 43 AMG apothekenpflichtigen Fertigarzneimittels gelangen können. Dies ergibt sich daraus, dass der Apotheker gegen § 21 Abs. 1 S. 1 AMG verstößt, wenn er nicht verkehrsfähige Fertigarzneimittel – also auch solche außerhalb der zugelassenen Indikation – an den Patienten bzw. Arzt abgibt. Diese Abgabe stellt – anders als die unmittelbare Anwendung durch den Arzt – ohne Zweifel ein "Inverkehrbringen" im Sinne der §§ 4 Abs. 17, 43 Abs. 1 AMG dar.
Soweit der Apotheker vorsätzlich handelt, etwa weil ihm der zulassungsüberschreitende Einsatz bekannt ist, könnte er sich nach § 96 Nr. 5 AMG strafbar machen. Diese Straftat kann mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe geahndet werden. Die fahrlässige Begehung der Tat wird nach § 97 Abs. 1 AMG als Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße bis zu Euro 25 000 geahndet. Nimmt der Apotheker die in § 20 Apothekenbetriebsordnung verankerte Beratungspflicht gegenüber dem Patienten ernst und gibt dann das Arzneimittel in Kenntnis des geplanten Anwendungsgebietes ab, dürfte einiges für eine Straftat nach § 96 Nr. 5 AMG sprechen.
Unabhängig von der strafrechtlichen Komponente liegt es auch nicht fern, im Verhalten des Apothekers unter Verstoß gegen § 21 Abs. 1 S. 1 AMG ein wettbewerbswidriges Verhalten zu sehen, da er sich durch einen Rechtsbruch, der Abgabe von Arzneimitteln außerhalb der Zulassungsindikation, einen Wettbewerbsvorteil gegenüber seinen sich rechtstreu verhaltenden Kollegen verschafft. Darüber hinaus handelt der Apotheker durch den Verstoß gegen die Bestimmungen des AMG auch berufswidrig.
Die Problematik der Abgabe von Arzneimitteln außerhalb der zugelassenen Indikation wird durch die Entscheidung des BSG auch auf den Apotheker erstreckt. Das BSG versäumt es jedoch, zugleich eine Lösung für den Apotheker aufzuzeigen, wie er ohne Rechtsbruch ein apothekenpflichtiges Arzneimittel, das nach seiner Auffassung nicht verkehrsfähig sein soll, an den Patienten bzw. Arzt abgeben kann.
Einsatz darf nicht am Apotheker scheitern
Im Ergebnis würde damit eine weitere Hürde für dieses gerade in den Bereichen der Pädiatrie und Onkologie bedeutsame und oft alternativlose Einsatzfeld von Arzneimitteln geschaffen. Nimmt man das BSG beim Wort, dürfte zukünftig selbst in den Ausnahmefällen, in denen das BSG einen zulassungsüberschreitenden Einsatz für zulässig erachtet, allein schon angesichts des strafrechtlichen Risikos eine Belieferung des Patienten bzw. Arztes durch den Apotheker ausscheiden.
Diese Intention kann auch das BSG nicht verfolgt haben, da es ja selbst Ausnahmefälle benannt hat, bei denen der zulassungsüberschreitende Einsatz möglich sein und sicherlich auch nicht am Apotheker scheitern soll. Es steht deshalb aber außer Frage, dass der Apotheker nicht in diese Auseinandersetzung zwischen Krankenkasse und Patient einbezogen oder sogar mit einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit konfrontiert werden sollte.
Es bietet sich zur Rechtfertigung des Handelns des Apothekers zum einen eine weite Interpretation des § 21 Abs. 1 AMG an, die dazu führt, dass das Fertigarzneimittel als verkehrsfähig anzusehen ist. Zum anderen könnte darauf abgestellt werden, dass der Apotheker zumindest im Rahmen eines sein Handeln rechtfertigenden Notstandes tätig wird, wenn er ein Fertigarzneimittel zum zulassungsüberschreitenden Einsatz an den Patienten bzw. Arzt abgibt.
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