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DAZ-Interview mit ABDA-Präsident Friese: "Fachliche Unabhängigkeit ist der Wer

FRÖNDENBERG (bra/diz). Das Jahr 2002 wird für die Apotheken nicht einfach werden. Das Arzneimittelausgaben-Begrenzungsgesetz ist in Vorbereitung, das den Apotheken u. a. einen höheren Kassenrabatt und eine zweifelhafte Aut-idem-Regelung abverlangen wird. Hinzu kommt, dass sich das Bundesgesundheitsministerium für einen nationalen Versandhandel ausspricht. Wie geht unsere Berufsvertretung in dieses harte Jahr? Wie beurteilt die ABDA die derzeitige Gesundheitspolitik? Fragen, die wir dem ABDA-Präsidenten Hans-Günter Friese vorlegten und mit ihm diskutierten.

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Herr Friese, wir stehen am Anfang eines neuen Jahres. Wie wird 2002 für die Apotheker werden?

Friese:

Lassen Sie mich unterscheiden zwischen der finanziellen Ertragslage unseres Berufes und der strukturellen Situation. Durch Maßnahmen wie Festbetragsanpassung, lmportquotenregelung und Kassenrabatterhöhung wird es sicher zu finanziellen Einbußen kommen. Aber größere Sorgen macht mir die Frage, wie geht es mit der Struktur der Arzneimittelversorgung, mit dem Apothekenwesen innerhalb unserer Gesundheitsversorgung weiter?

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Das macht Ihnen Sorgen?

Friese:

Ja, weil eine Reihe derzeitiger Diskussionspunkte an die Grundprinzipien unserer Berufsausübung herangehen. Ich denke hier z. B. an die Diskussionen um den Versandhandel, die Freigabe des Verbotes von Fremd- und Mehrbesitz und die Inhalte des Sachverständigengutachtens, so z. B. das Thema der Freigabe des einheitlichen Apothekenabgabepreises bei OTC-Produkten.

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Wie konnte es so weit kommen. Stellen sich da für Sie Fragen? Wieso sehen wir uns auf einmal einer Front von Gegenpositionen gegenüber, die wirklich an den Grundpfeilern der deutschen Apotheken rütteln?

Friese:

Der Einschub auf einmal ist in diesem Zusammenhang nicht angebracht, das ist eine Entwicklung. Hier sollte man genau analysieren. Seit mehr als zehn Jahren propagieren die Kassen den Versandhandel - bislang ohne politischen Erfolg. Wir haben innerhalb Europas - Deutschland schert da nicht aus - starke Liberalisierungstendenzen, die auch vor dem Gesundheitswesen nicht Halt machen. Ein Blick in Nachbarstaaten, nach Großbritannien und in die Niederlande, außerhalb der EU auch in der Schweiz zeigt dies.

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Aber diese Tendenzen haben wir doch schon viele Jahre.

Friese:

Und die zeigen doch auch in ganz Europa Wirkung. Nicht nur in der EU. Nehmen Sie Norwegen, wo innerhalb eines halben Jahres mehr als die Hälfte der Apotheken zu Kettenapotheken wurden. Nachdem die so genannten Bangemannschen Round-Table-Gespräche nicht den erhofften Durchbruch für einen größeren Wettbewerb im Arzneimittelbereich brachten, hat man auf der EU-Ebene zu anderen Mitteln gegriffen. Man greift zu Methoden des Benchmarkings, bei dem ich die Sorge habe, dass eben nur Preise mit Preisen verglichen werden und nicht alle tatsächlich dahinter stehenden Leistungen, die die deutsche Apotheke erbringt im Verhältnis zu einer Apotheke im benachbarten Ausland. Ich zitiere hier gerne Professor Hoppe, der für die Ärzteschaft von einer gewissen Vergewerblichung der Heilberufe spricht, offensichtlich ein Trend innerhalb unserer Gesellschaft. In der Gesundheitspolitik wird die Blickrichtung mehr und mehr durch eine Ökonomisierung, also durch das Geld überlagert. Aspekte wie Solidarität, Allgemeinwohl, Gleichbehandlung, Daseinsvorsorge etc. geraten dabei ins Hintertreffen. Es wird für jeden Berufsstand immer schwerer, die Leistungen sachgerecht darzustellen, die seinen Verdienst für die Gesellschaft ausmachen.

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Aber wir haben doch seit vielen Jahren in England eine andere Entwicklung als z. B. in Frankreich, Italien und Deutschland. Man kann doch nicht generell sagen, dass die Apothekensysteme traditioneller Ausprägung vor dem Kippen sind. Sie haben ihre Leistungsfähigkeit bewiesen. In Frankreich denkt z. B. kein Mensch über Versandhandel nach. Selbst in Holland spielt Versandhandel keine Rolle, innerhalb des Landes. Warum bei uns?

Friese:

Versandhandel spielt in den Niederlanden eine untergeordnete Rolle, weil er keinen Preisvorteil bietet. Der Europäische Binnenmarkt, das Internet und jetzt auch die Transparenz des Euro wecken bei den Kassen die Begehrlichkeit, die Preisgefälle in Europa, die aus den unterschiedlichen Herstellerabgabepreisen resultieren, zu nutzen. Man muss da genau hinschauen. In Frankreich sind die Preise staatlich heruntergeregelt - da entfällt der Preisvorteil. In einer Situation, in der alles nur noch nach Kostengesichtspunkten bewertet wird, fällt es in der Tat schwerer, die Dienstleistung, die die Apotheken in Deutschland erbringen, der Politik, der Gesellschaft in Bezug zum verdienten Geld darzustellen. Was die Politik möchte, ist der Erhalt der Sicherheit und der vorzüglichen Leistung der Apotheken, aber zu einem geringeren Entgelt. Das ist überall so. Es ist uns offensichtlich nicht gelungen, darauf hinzuweisen und glaubhaft zu kommunizieren, dass die Reserven maßlos überschätzt werden und dass, wenn überhaupt Reserven da sind, die in ganz anderen Bereichen liegen. Was auffällt, ist doch das Zusammenlaufen der Bedrohungen. Aus allen Richtungen hagelt es Angriffe und man hat den Eindruck, keiner hört uns mehr zu.

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Nehmen wir z. B. Angriffe der Krankenkassen, aber auch von Verbraucherverbänden, die z. B. lautstark den Versandhandel fordern. Warum?

Friese:

Weil sie sich davon günstigere Preise für den Verbraucher erhoffen. Das Paket an Versorgung - nicht nur die Belieferung mit Arzneimitteln - und den damit verbundenen Dienstleistungen, wird von den Verbraucherverbänden zwar geschätzt, Arzneimittelsicherheit wird aber eher als selbstverständlich hingenommen. Arzneimittelsicherheit wird erst dann wahrgenommen, wenn sie nicht mehr gegeben ist. Ich denke hier an das Thema BSE und Arzneimittel oder die Situation um das Cerivastatin. Der Behauptung, die ABDA oder der Berufsstand habe hier in der Darstellung gefehlt, dem trete ich ganz energisch entgegen. Es wird einfach immer schwieriger darzustellen, dass die Leistung etwas wert ist. Dieses Problem haben nicht nur wir, das haben auch die Ärzte, das hat die pharmazeutische Industrie, das haben auch Krankenkassen.

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Allerdings hat man den Eindruck, Ärzte, Industrie, unsere Marktpartner haben es leichter oder es gelingt ihnen besser, ihre Positionen rüberzubringen. Könnte das auch ein Kommunikationsproblem unserer Außendarstellung sein?

Friese:

Erstaunlich ist, dass ich von Vertretern der Krankenkassen, der pharmazeutischen Industrie, aber auch von Politikern mitgeteilt bekomme, dass die Arbeit der Apotheker gerade auch im politischen Raum im Vergleich zu anderen Berufen oder Institutionen außerordentlich erfolgreich war und ist.

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Da hören wir was anderes.

Friese:

Die Ärzte Zeitung, die sich gerade in letzter Zeit nicht eben freundlich mit den Apothekern auseinandergesetzt hat, bezeichnete die ABDA als den erfolgreichsten Interessenverband im gesamten Gesundheitswesen. Auch hier ist es wichtig, die Dinge von allen Seiten zu betrachten. Warum titelt dann dieselbe Zeitung, die heimlichen Gewinner beim Sparpaket sind die Apotheker? Warum kommen Firmenvertreter auf einen zu und sagen, es sei doch erstaunlich, was unser relativ kleiner Berufsstand doch noch erreicht bzw. bisher verhindert habe? Zum Thema Kommunikationsproblem: Die ABDA hat kein Kommunikationsproblem, wenn, dann gibt es vielleicht ein Kommunikationsmissverständnis mit der ABDA. Und das nehme ich allerdings ganz ernst. Einzelkritik, wie sie auch in Leserbriefen sichtbar wird, nehme ich schon ernst. Wir wissen, dass in den Apotheken zunehmend mehr Dienstleistungen abgefordert werden, denken wir nur an die Verpßichtung zur Schaffung einer Möglichkeit der vertraulichen Beratung in der Apotheke, Dienstleistungen, die auch Geld kosten. Aber dies dient auch der Zukunftssicherung unseres Berufsstandes. Vielleicht benötigt der eine oder andere mehr Hintergrundinformation, um zu verstehen, warum diese oder jene Entwicklung notwendig war. Dies darzustellen, ist eine Aufgabe der ABDA.

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Die nicht immer gelungen ist?

Friese:

Ich lass mich da nicht in die Ecke stellen. Die Tatsache, dass wir trotz der jahrelangen Diskussion noch keinen Versandhandel haben, die Tatsache, dass aut idem nun im Gesetz verankert ist, das alles zeigt doch, wie sehr unsere Argumente gehört werden. Ich kann nur sagen, unsere Öffentlichkeitsarbeit ist gut, selbstverständlich aber immer weiter verbesserungsfähig. Ich muss allerdings auch sagen, wer regelmäßig PZ und DAZ, auch den politischen Teil, liest, der sollte über die Entwicklungen im Gesundheitswesen und den Hintergründen schon sehr gut Bescheid wissen. Die ABDA leistet sehr gute kommunikative Arbeit im Bereich der Mitgliedsorganisationen, die als selbstständige Institutionen auch eigene PR machen und die PR der ABDA ergänzen. Und wir versuchen der Kollegenschaft die politischen Hintergründe klarzumachen, damit Verständnis für die Haltung der ABDA entsteht.

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Dennoch, man hat den Eindruck, dass im Zusammenhang mit den gesundheitspolitischen Vorhaben, die jetzt anstehen, das Verhältnis zu unseren Marktpartnern deutlich schlechter geworden ist. Haben wir keine Verbündete im Gesundheitswesen mehr? Was ist da passiert?

Friese:

Es war klar, dass zum Beispiel bei aut idem unterschiedliche Interessen existieren und natürlich auch mit Nachdruck kommuniziert wurden. Dennoch: Die Kommunikationsdichte mit Verbänden wie z. B. dem VFA oder BAH war noch nie so hoch wie jetzt. Wir stehen auch in ständigen Gesprächen mit den Krankenkassen, dem pharmazeutischen Großhandel. Die ABDA-Politik hat sich in der Vergangenheit dadurch ausgezeichnet, dass sie immer auf der Ebene von nachvollziehbaren Fakten und Argumenten nach Verbündeten suchen musste - das wird auch in Zukunft so sein. Wir werden nie einen Generalpartner haben, das wird es nie geben können, da jeder seine unterschiedlichen Interessen vertritt.

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Aber haben wir im Augenblick nicht weniger Verbündete denn je?

Friese:

Das kann ich nicht so sehen. Wir haben in dem einen Punkt hier einen Verbündeten und wir haben in einem anderen Punkt dort einen Verbündeten. Wir haben gegen den Versandhandel sicher im Bereich der pharmazeutischen Industrie und des Großhandels Verbündete. Wir haben dort in diesem Punkt jedoch keine Verbündeten auf Seiten der Krankenkassen. Oder: wenn ich Verbündete bei den Arbeitgebern habe, finde ich sie nicht bei den Gewerkschaften, bei der Arbeitnehmerschaft.

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Umso mehr erschreckt folgender Eindruck: Es gibt eine natürliche Nähe der Gewerkschaften und der Krankenkassen zu der gegenwärtigen Regierung. Das würde uns an sich mit der Opposition zusammenschweißen müssen oder die Opposition müsste unseren Forderungen gegenüber wohlgestimmt sein. Aber davon merkt man gar nichts. Selbst die Opposition kritisiert uns.

Friese:

Da müssen wir uns die Opposition mal genau ansehen. Die FDP ist eine Partei, die Liberalisierungstendenzen nicht abgeneigt ist und mehr Wettbewerb möchte. Wir selbst befürworten Wettbewerb, aber in Sachen pharmazeutischer Dienstleistung. Was wir ausdrücklich nicht wollen, ist ein ungeregelter und unfairer Wettbewerb zwischen verschiedenen Versorgungssystemen, einen Wettbewerb allein über den Preis.

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Die FDP-Wirtschaftsminister haben über Jahrzehnte den einheitlichen Abgabepreis von Arzneimitteln gehalten. Waren sie da nicht unsere Verbündete?

Friese:

Ihr Argument zielt nur isoliert auf die Arzneimittelpreisverordnung. Aber es hat auch hier ständiger Überzeugungsarbeit durch die ABDA bedurft. Durch andere politisch mögliche Maßnahmen würde allerdings sofort die Ökonomie mit ins Spiel kommen. In dem Moment, wo ich dem Versandhandel das Wort rede, ist eine vorstellbare Konsequenz, dass der einheitliche Apothekenabgabepreis nicht mehr gegeben ist. Was ist, wenn z. B. eine Apotheke in Griechenland Arzneimittel mit anderen Preisen nach Deutschland liefern darf? Auch mit der CDU stehen wir ständig im Gespräch und sind weitgehend im Einklang.

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Niemand bestreitet, dass Sie Gespräche führen. Aber die Fragen, die sich stellen, sind die nach den Ergebnissen und nicht die nach den geführten Gesprächen.

Friese:

Die Ergebnisse, besser die Erfolge, habe ich ja bereits mehrfach in diesem Interview erwähnt. Natürlich haben wir in unserem Berufsstand vielleicht eine eher kritische Sichtweise des Dachverbandes. Das ist ein Schicksal, was wir mit allen Verbänden teilen. Aber ich bleibe dabei, die ABDA hat eine sehr erfolgreiche Arbeit geleistet, allein, wenn man bedenkt, welchen Angriffen wir ausgesetzt waren.

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Dennoch versucht man, die Apotheken weiter auszupressen, obwohl es nicht sehr Erfolg versprechend ist - bei Umsatzrenditen der Apotheken von rund 1% und beim Großhandel von durchweg maximal 1,5%. Aber es gelingt uns offensichtlich nicht zu transportieren, dass Marktbeteiligte mit Umsatzrenditen von 10, 20 oder 30%, wie sie z. B. noch in der Industrie anzutreffen sind, eher zur Diskussion gestellt werden sollten, oder?

Friese:

Lassen Sie mich vorweg sehr deutlich sagen: Den Kassen geht es letztlich nicht allein um Einsparungen. Sie wollen die Systemveränderung, die Zerschlagung des jetzigen Apothekensystems, sie wollen mehr Macht. Das kommunizieren wir auch sehr deutlich. Wir müssen uns fragen, warum denn die Begehrlichkeit nach der Marge der Apotheken nicht in Prozent, sondern in Mark und Pfennig noch so hoch ist. Vielleicht schauen wir hier einmal auf den Großhandel. Derzeit muss der Großhandel nachfrageorientiert reagieren, er muss das liefern, was die Apotheken bestellen. Wenn er Apotheken selbst in der Hand hätte, stünden ihm natürlich ganz andere strategische Möglichkeiten offen. Jetzt flössen zwei Margen zusammen. Der Großhandel könnte Bedarf wecken und Vermarktungen steuern.

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Aber das tun die Apotheken gerade nicht. Ist das nicht ihr gesundheitspolitischer Vorteil?

Friese:

Der Wert der Apotheke ist die fachliche Unabhängigkeit des Apothekers. Da stellt sich die Frage für die Politik: Was ist diese fachliche Unabhängigkeit der Politik wert? Oder soll das Verordnungsverhalten der Ärzte beeinßusst werden dürfen durch ökonomisierende Tendenzen? Sind wir inzwischen schon zu "lästig" geworden? Noch denke ich, dass diese Lästigkeit, die fachliche Unabhängigkeit des Apothekers, gesellschaftlich gewollt ist, sie kommt gerade dem Verbraucherschutz in Sachen Arzneimittelsicherheit zu gute. Fachliche Unabhängigkeit ist der Wert des Apothekers, das Faustpfand, mit dem wir in der Politik antreten. Wir werden unsere fachliche Unabhängigkeit ganz stark in den Vordergrund stellen, und zwar noch pointierter als bisher.

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Kommen wir zu aut idem. Die ABDA war für eine Aut-idem-Regelung. Kann sie mit der Aut-idem-Regelung, die jetzt verabschiedet werden soll, leben oder nicht?

Friese:

Es ist selbstverständlich, dass wir erfreut waren, als wir hörten, der Maßnahmenkatalog für Einsparungen im Gesundheitswesen sieht eine Aut-idem-Regelung vor. Wir konnten zunächst sogar davon ausgehen, dass vor dem Hintergrund notwendiger Einsparungen im Gesundheitswesen aut idem auch die Zustimmung in der breiten Ärzteschaft erfährt. Mittlerweile sehen Ärzte dies anders, die Industrie hat die Regelung aufgeweicht, was dazu führte, dass die Politik aut idem zwar beibehalten hat, aber die vorliegende Regelung erfüllt längst nicht unsere Erwartungen, die wir eingangs hatten. Wir sollten sehen, dass mit der jetzigen Aut-idem-Regelung der Apotheker aus der mehr oder weniger passiven Rolle herauskommt. Ich verknüpfe damit die Hoffnung, dass uns über den Einstieg, den wir jetzt haben, bei der nach der Bundestagswahl zu erwartenden Strukturreform vielleicht im Jahre 2003 oder 2004 der endgültige Durchbruch gelingt. Das wird auch davon abhängen, wie sich unser Umgang mit aut idem in der Praxis bewährt. Also: Wir hatten uns etwas anderes vorgestellt, aber ich bin auch nicht ganz unglücklich darüber, was wir jetzt erreicht haben, weil es einen Boden darstellt, auf dem wir für die Zukunft weitermachen können.

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Wie hoch, glauben Sie, ist der Prozentsatz an Ärzten, der aut idem freigibt?

Friese:

Anfangs sind Krankenkassen, das Ministerium und die Industrie und wir auch davon ausgegangen, dass der Arzt bei jeder zweiten Verordnung, bei der aut idem möglich ist, die Auswahl dem Apotheker überlässt. Deswegen kommt das Einsparpotenzial von 450 Mio. DM zustande. Man wird abzuwarten haben, wie sich die Situation darstellen wird. Ärzte und Industrie werden auf den neuen Entscheidungsspielraum des Apothekers ganz erheblich achten.

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Warum hat die ABDA nicht frühzeitig Kriterien für fachlich sinnvolles, fachlich verantwortbares Substituieren diskutiert - zum Beispiel auf dem Apothekertag? Ob aut idem für die Apotheker gut ist und für die Patienten erträglich, zeigt sich ja nur an den Kriterien, nach denen substituiert werden kann. Jetzt dürfen wir nur nach Preiskriterien substituieren.

Friese:

Am 17. September, also kurz nach dem Apothekertag, tagte der Runde Tisch. Dort ist kein Wort über aut idem gesprochen worden. Exakt eine Woche später, am 24. September, erfuhren wir dann von dem geplanten Sparpaket mit der Aut-idem-Regelung aus dem Ministerium. Deshalb konnten wir die Kriterien auf dem Apothekertag nicht diskutieren. Aut idem war noch nicht spruchreif. Wir haben selbstverständlich vor zwei, drei Jahren Voraussetzungen für aut idem definiert, auch Kriterien festgelegt, wann der Arzt nicht freigeben kann.

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Unter welchen Bedingungen könnte dies der Fall sein?

Friese:

Wenn es Bestandteil einer Therapiemaßnahme ist, bei der lediglich der Arzt die Rahmenbedingungen kennt, die zu dieser Therapie geführt haben und wir nicht, dann denke ich, ist es nicht angebracht, dass es ein 100%iges Aut-idem gibt. Hier bin ich der Auffassung, der Arzt ist verpßichtet, aut idem nicht an den Apotheker freizugeben.

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Gut, aber dort, wo er freigegeben hat, sollen für uns nur noch Preiskriterien gelten?

Friese:

Ich bin schon der Auffassung, dass der Apotheker bei der Auswahl qualitative Gesichtspunkte zu berücksichtigen hat. Qualitativ heißt nach entsprechenden Qualitäten, die am Markt verfügbar sind. Die seinerzeit vom ZL angestoßene Diskussion zum Thema Bioverfügbarkeit hat einen Erziehungsprozess in der pharmazeutischen Industrie mit sich gebracht, sich Qualitätsparametern entsprechend zu widmen.

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Nehmen wir an, dem Apotheker Hans-Günter Friese wird ein Rezept vorgelegt über ein retardiertes Arzneimittel. Wird er aus dem unteren Preisdrittel substituieren?

Friese:

Unterstellt, er kann und darf es, dann wird er in der Tat substituieren unter der Berücksichtigung, dass er hier ein Präparat vorliegen hat, das die gleiche Wirkstoffdynamik, das gleiche therapeutische Profil hat.

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Er müsste bei Retardarzneimitteln dann gegebenenfalls auch ohne Bioverfügbarkeitsuntersuchung substituieren. Ist das richtig? Oder würde er dann ablehnen, wenn er nichts darüber weiß?

Friese:

Nein, auch dann würde er austauschen können. Mit der Auswahl durch den Apotheker wird ja die Therapie nicht schlechter. Wie wir wissen, wechselt auch der Arzt häufig, ohne überhaupt unterschiedliche Qualitäten zu kennen, d. h., es kann durch den Apotheker nur eine Verbesserung geben. Die dazu noch ganz erheblich besser wird, weil ein Aspekt der Arzneimittelversorgung auch immer die schnelle Verfügbarkeit eines Arzneimittels ist. In dem Moment, wo der Apotheker auswählt, ist die Verfügbarkeit wesentlich höher.

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Wie stellen wir sicher, dass der verordnende Arzt weiß, was wir abgeben?

Friese:

Die ABDA hat dafür die Idee des Arzneimittelpasses vorgeschlagen, der sich allerdings noch in der Entwicklung befindet. Noch müssen wir mit Zwischenlösungen auskommen. Da ist z. B. die Nachfrageverpßichtung des Apothekers, etwa "Haben Sie das Arzneimittel schon einmal gehabt?". Wenn es gelänge, dass diese Frage in jeder Apotheke gestellt würde, dann hätte der Apotheker seiner Rolle schon Genüge getan.

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Diese Eingangsfrage bezogen auf das konkrete Arzneimittel oder auf den Wirkstoff?

Friese:

Der Patient kennt sich nicht mit Wirkstoffen aus. Der Apotheker muss laienverständlich fragen, etwa "Kennen sie das Produkt, haben sie diese Packung schon einmal gehabt?" Und dann erkläre ich ihm, dass ich ihm aufgrund einer qualitativen Verbesserung ein anderes gebe.

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Nochmals eine Frage an den Apotheker. Wenn sie ein Rezept bekommen über eine schnell freisetzende Form eines Antiepileptikums. Geben Sie einem Patienten das gleiche Präparat wie vorher oder substituieren Sie auch ein Präparat aus dem unteren Preisdrittel?

Friese:

Da muss ich gerade bei dieser genannten lndikation ganz sicher sein, dass ich hier ein gleichwertiges Ersatzpräparat habe, sonst würde ich hiervon absehen. Aber in so einem Fall muss man vielleicht zum Telefonhörer greifen und mit dem Arzt reden.

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Sehen Sie in der Aut-idem-Regelung, wie wir sie jetzt bekommen, eine Kompetenzerweiterung oder sehen die Gefahr, dass wir in vielen Fällen gegen den pharmazeutischen Sachverstand substituieren müssen?

Friese:

Ich denke, wir werden lernen, mit dieser Aut-idem-Regelung umzugehen. Wir sollten sie nicht immer nur negativ sehen. Natürlich sehe ich gegenüber der zunächst gewünschten Aut-idem-Regelung eine ganz erhebliche Einschränkung, aber sie bietet uns die Chance, sie als Einstieg zu sehen.

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Also, die vorliegende Regelung ist nicht das Ende, sondern wir bauen jetzt darauf auf und versuchen das zu optimieren?

Friese:

Richtig. Im übrigen, die größte Schwierigkeit bei aut idem sehe ich im Zusammenhang mit der Importquote, die wir erfüllen müssen. Es gibt sicher viele Generika im unteren Drittelbereich, die günstiger sind als die Importpräparate und die wir daher abgeben müssen. Dann kann der Apotheker seine lmportquote überhaupt nicht erfüllen. Durch die Gesetzeslage ist möglicherweise die Vertragslage überholt.

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Lassen Sie uns auf das Thema Öffentlichkeitsarbeit kommen. Wir bekommen zunehmend Rückmeldungen von der Basis, man sei mit der Darstellung der Apotheke nach außen unzufrieden. Immer wieder hört man auch von Beiträgen in den Medien, in denen wir Apotheker schlecht wegkommen. Die Apotheker scheinen es nicht zu schaffen, sich und ihre Leistungen positiv darzustellen. Setzt bei der ABDA ein Umdenken ein, wie man den Apotheker und seine Leistungen draußen in der Öffentlichkeit besser darstellen kann? Mit Plakaten scheint es nicht so richtig zu funktionieren.

Friese:

Seien sie sicher, dass wir dies gerade genau analysieren. Wir stellen fest, dass das Arzneimittel nicht mehr als besondere Ware verstanden wird. Und diesem Gedanken liegt alles zugrunde. Beim Thema Öffentlichkeitsarbeit der ABDA mache ich mir ganz große Sorgen insoweit, als es darum geht, dass wir der Öffentlichkeit vermitteln müssen, dass es sich beim Arzneimittel um eine Ware besonderer Art und beim Patienten um einen besonderen "Verbraucher" handelt. Die Frage nach der Öffentlichkeitsarbeit hat zunächst einmal auch damit etwas zu tun, ob wir denn in der öffentlichen Apotheke tatsächlich die Besonderheit des Produktes, das wir abgeben, und unsere notwendige Erklärungsbereitschaft signalisieren. Es ist bereits beschlossen, dass die Öffentlichkeitsarbeit in diesem Jahr wesentlich politischer wird. Entsprechende Konzepte, zum Beispiel auch gegen den Versandhandel sind bereits in Erarbeitung. Dennoch glaube ich, dass die Öffentlichkeitsarbeit der ABDA sehr viele Erfolge gebracht hat. Aber die Öffentlichkeitsarbeit der ABDA kann lediglich Begleitmusik sein für das, was jeder einzelne von uns bereits gut macht und was sicherlich auch ausbaufähig ist. Das Bild der Apotheke in der Öffentlichkeit wird primär von den Apotheken vor Ort selbst geprägt.

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Herr Friese, wie schätzen Sie die Bedrohungen ein, mit denen sich die Apotheken gesundheitspolitisch konfrontiert sehen? Sind Sie optimistisch, dass das nicht alles so kommt? Z. B. die Freigabe der Preise im OTC-Bereich?

Friese:

Ich denke, wir haben gute Argumente, für den einheitlichen Apothekenabgabepreis bei den apothekenpßichtigen Arzneimitteln zu plädieren. Da ist der Aspekt der Arzneimittelsicherheit und das Argument, dass aus einem Preiswettbewerb immer auch eine Anstachelung der Nachfrage entsteht, wie Zahlen aus den USA zeigen. Das kann bei Arzneimitteln nicht gewollt sein. Ich bin also optimistisch insoweit, als ich denke auf Truppen zu setzen, die uns im einheitlichen Preis unterstützen. Ich denke auch, die Industrie hat ein Interesse daran, dass es den einheitlichen Apothekenabgabepreis gibt und dass er bleibt.

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Ein abschließendes Wort zum Erwerb des Palais in Berlin. Wir haben den Kauf des Hauses in der Jägerstraße 49/50 kritisch begleitet, von der Basis erreichten uns nur kritische Stimmen. Hauptkritikpunkte sind der hohe Preis von rund 47 Mio. DM und das herrschaftliche Aussehen des Gebäudes, das bei Politikern und unseren Partnern im Gesundheitswesen möglicherweise den Eindruck erweckt, den Apothekern gehe es "zu gut".

Friese:

Zunächst: eines der wichtigsten Argumente für eine Immobilie ist die Lage. Und hier muss ich sagen, dass das neue ABDA-Haus excellent liegt und vorzeigbar ist. Der Gebäudepreis beläuft sich auf 36 Mio. DM. Eine Summe, die auch für andere Bürobauten in vergleichbarer Lage und Größe gefordert wurde. Der Rest der Summe entfällt auf Courtage, Grunderwerbsteuer, Einrichtung, technische Ausstattung und umzugsbedingte Einmalkosten. Weiterhin: Wir haben insgesamt mehr als 20 Objekte geprüft, entsprechend einem vorgegebenen Anforderungsprofil, ausgehend von der Zielsetzung: Was wollen wir erreichen? Mit wie viel Personen wollen wir das erreichen? Was brauchen wir an Büroräumen, Versammlungsräumen, Lobbyräumen? Wir luden zu einem Besichtigungstermin vor Ort. Nachdem jeder das Haus kennen gelernt hatte, blieb für jeden drei Wochen Zeit, in seinen Vorständen darüber zu berichten. So war es keineswegs eine undemokratische Entscheidung, sondern alles lief mit größtmöglicher Transparenz ab. Ich habe überhaupt kein Verständnis dafür, dass dieses Procedere jetzt angegriffen wird. Wir hatten ein Gebäude gefunden, das unserem Anforderungsprofil entspricht. Wir sind froh darüber, es hat einen gewissen repräsentativen Charakter und es hat den großen Charme, dass wir in Kürze dort einziehen können. Der Umzug findet Anfang Juli statt. Ich persönlich stehe zu dem Haus und die große Mehrheit unserer Mitgliedsorganisationen ebenfalls, 73% haben, wie Sie wissen, in der außerordentlichen Mitgliederversammlung für den Erwerb dieser Immobilie gestimmt.

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Herr Friese, wir bedanken uns für dieses Gespräch!


Zitate

"Arzneimittelsicherheit wird erst dann wahrgenommen, wenn sie nicht mehr gegeben ist. " Hans-Günter Friese

"Es wird für jeden Berufsstand immer schwerer, die Leistungen sachgerecht darzustellen, die seinen Verdienst für die Gesellschaft ausmachen." Hans-Günter Friese

"Das Bild der Apotheke in der Öffentlichkeit wird primär von den Apotheken vor Ort selbst geprägt." Hans-Günter Friese

Das Jahr 2002 wird für die Apotheken nicht einfach werden. Das Arzneimittelausgaben-Begrenzungsgesetz ist in Vorbereitung, das den Apotheken u. a. einen höheren Kassenrabatt und eine zweifelhafte Aut-idem-Regelung abverlangen wird. Hinzu kommt, dass sich das Bundesgesundheitsministerium für einen nationalen Versandhandel ausspricht. Wie geht unsere Berufsvertretung in dieses harte Jahr? Wie beurteilt die ABDA die derzeitige Gesundheitspolitik? ABDA-Präsident Friese stand Rede und Antwort.

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