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- DAZ 45/2002
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Rechtsprechung aktuell
Ärzte dürfen Rezepte für Medizinprodukte sammeln
Ein Apotheker aus W., hatte gegen einen Arzt, der im Stadtgebiet von W. die einzige diabetologische Schwerpunktpraxis betreibt, Klage erhoben. Grund: Patienten des Beklagten, die von diesem Zuckerteststreifen verordnet bekommen, können ihr Rezept direkt in der Praxis einlösen. Dabei, so behauptete der Kläger, würden die Patienten nicht hinreichend darüber aufgeklärt, dass sie die Teststreifen auch in der Apotheke erhalten können.
Diese Vorgehensweise schließe alle Apotheken in W. vom Abgabemarkt für Zuckerteststreifen aus. Da der Arzt so gegen das Apothekengesetz, die Apothekenbetriebsordnung, die ärztliche Berufsordnung und das allgemeine Wettbewerbsrecht verstoße, stünde ihm, dem Kläger, ein Anspruch auf Unterlassung zu.
Sachverhalt
Das Landgericht Dessau hatte der Klage des Apothekers in erster Instanz stattgegeben. Doch die Oberlandesrichter aus Naumburg sahen es in der Berufungsinstanz anders. Sie wiesen die Klage ab. Dabei gingen die Richter von folgendem Sachverhalt aus: Wenn der Beklagte einem seiner Diabetes-Patienten Zuckerteststreifen verordnet, so händigt er ihm nach der Behandlung ein Rezept hierfür aus.
Im Anschluss daran findet häufig eine Nachschulung bzw. Einweisung des Patienten in die Hilfsmittel und Therapeutika durch Praxis-Mitarbeiter statt. Diese weisen den Patienten darauf hin, dass er die Hilfsmittel auch kostengünstig vor Ort beziehen könne. Ist der Patient damit einverstanden, so muss er eine aufgestempelte Erklärung unterschreiben und den Erhalt der Ware quittieren. Der Stempel enthält folgenden Text: "Aus wirtschaftlichen Gründen möchte ich die Artikel hier vor Ort erhalten.
Das Personal der medizinischen Einrichtung nahm keinen Einfluss auf meine Entscheidung. Alternative Bezugsquellen sind mir bekannt". Die Zuckerteststreifen werden dabei einem Depot eines Diabetikerversandhandels entnommen, das der beklagte Arzt unterhält. Demzufolge werden die Rezepte auch eben dieser Firma zugeführt. Die Preise des Versandhandels liegen unter den Apothekenpreisen.
Auf welche Weise der Patient über die ihm zustehende Wahlfreiheit aufgeklärt wird, konnte für das Gericht dahingestellt bleiben. Aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung sei davon auszugehen, dass der Hinweis auf die Möglichkeit, die verordneten Mittel gleich in der Praxis erhalten zu können, dazu führe, dass nahezu jeder Patient davon Gebrauch machen werde. Das Gericht ging auch davon aus, dass die Vorgehensweise des Arztes sich erheblich auf den örtlichen Abgabemarkt für Teststreifen auswirke, da er die einzige diabetologische Schwerpunktpraxis im Umkreis betreibe.
OLG sieht kein wettbewerbswidriges Verhalten
Dennoch konnte der entscheidende Senat kein wettbewerbswidriges Verhalten des Arztes erkennen. Zwar sei der Kläger nach § 13 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) klagebefugt, denn der Beklagte handelte im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs. Dabei beeinflusste er auch den Wettbewerb der in W. ansässigen Apotheken. Sein Vorgehen stelle aber keine rechtwidrige Verletzungshandlung dar, so die Richter.
Keine unerlaubte Rezeptsammlung
Insbesondere habe der Arzt nicht gegen das Verbot der Einrichtung einer Rezeptsammelstelle bei einem Angehörigen der Heilberufe (§ 24 Abs. 1 und 2 Apothekenbetriebsordnung – ApBetrO) verstoßen, wie es die Vorinstanz angenommen hatte. Die Richter des OLG schickten voraus, dass sie § 24 ApBetrO ebenso wie das grundsätzliche Versandhandelsverbot gemäß § 17 ApBetrO für uneingeschränkt geltendes Recht halten – "mag auch der Arznei- und Heilmittelsektor in starkem Maße gesundheitspolitisch in Bewegung geraten".
Sie stellten fest, dass der Beklagte zwar tatsächlich eine Rezeptsammelstelle unterhalte. Diese werde auch nicht dadurch legal, dass die Patienten sich diese im Einzelfall ausdrücklich wünschen (kundgetan durch die unterschriebene Erklärung). Eine derartige Rezeptsammlung sei jedoch kein Verstoß gegen § 24 ApBetrO, weil diese Vorschrift bei der gebotenen restriktiven Auslegung nur das Sammeln von Rezepten über Arzneimittel umfasse.
Bei Urinzuckerteststreifen oder Blutzuckerstreifen handle es sich jedoch um Medizinprodukte, die als apothekenübliche Waren im Sinne des § 25 ApBetrO gelten und auch in Sanitätshäusern oder über den Diabetikerversand erhältlich sind. Rezepte über derartige rezept- und apothekenfreie Medizinprodukte würden von § 24 ApBetrO nicht umfasst. Dies leitet der Senat daraus ab, dass das Apothekengesetz und die auf diesem beruhende ApBetrO Einschränkungen der freien Berufsausübung sind, die durch ein besonderes Gemeinwohl, nämlich die Sicherung der Gesundheit der Bevölkerung, gerechtfertigt sind.
Beide Gesetze stellten aber lediglich auf die Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung ab – nicht-apothekenpflichtige Medizinprodukte seien keine Arzneimittel in diesem Sinne. Diese Auffassung werde auch dadurch gestützt, dass sich in § 24 Abs. 1 ApBetrO die "ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung" als zentraler Begriff ausdrücklich wiederfinde.
Vorteile des "verkürzten Versorgungswegs" rechtfertigen Handlungsweise
Ebenso wenig hafte der Beklagte auf Unterlassung, weil er gegen ärztliches Standesrecht verstoßen hätte: Nach § 34 Abs. 5 der einschlägigen Berufsordnung (Sachsen-Anhalt) ist es dem Arzt nicht gestattet, Patienten ohne hinreichenden Grund an bestimmte Apotheken, Geschäfte oder Anbieter von gesundheitlichen Leistungen zu verweisen. Hinreichende Gründe kann der beklagte Arzt nach Auffassung des Gerichts jedoch geltend machen. So sei es sowohl wirtschaftlicher für den Arzt als auch bequemer für den Patienten, dass die Teststreifen direkt in der Praxis erhältlich sind.
Hier folgte der Senat des OLG der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zum "verkürzten Versorgungsweg" (vgl. Urteil des BGH vom 15. November 2001, Az.: I ZR 275/99, GRUR 2002, S. 271 ff). Der BGH hatte in einem ähnlich gelagerten Verfahren eines Hörgeräteakustikers gegen eine HNO-Ärztin entschieden, dass ein Wettbewerbsvorsprung, der sich aus einer größeren Bequemlichkeit eines bestimmten Versorgungsweges oder aus Kostenvorteilen eines Anbieters ergäbe, im Interesse der Entwicklung zu einer insgesamt besseren Versorgung erwünscht sei.
Auch im vorliegenden Fall, so die OLG-Richter, sprächen das Wirtschaftlichkeitsgebot, dem der Arzt unterliegt sowie die Bequemlichkeit für den Patienten für die Zulässigkeit des verkürzten Versorgungswegs. Für den Patienten sei es zudem vorteilhaft, dass er direkt in der Fachpraxis durch geschultes Personal Einweisungen und Erläuterungen erhalten könne.
Kein Verstoß gegen allgemeines Wettbewerbsrecht
Letztlich könne der klagende Apotheker einen Unterlassungsanspruch auch nicht auf die Generalklausel des § 1 UWG in Verbindung mit dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) stützen. Die Vorschriften des GWB beziehen sich auf Unternehmen. Ärzte und Apotheker sind nach dem mittlerweile herrschenden funktionalen Unternehmensbegriff nicht mehr grundsätzlich aus dem Anwendungsbereich des GWB ausgeschlossen.
Eine genauere Prüfung erübrigt sich nach Auffassung des Gerichts jedoch, da weder eine "missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung" (§ 19 GWB) noch eine "unbillige Behinderung oder sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung" (§ 20 GWB) gegeben sei. Grund: die oben zum verkürzten Versorgungsweg ausgeführten Rechtfertigungsgründe griffen auch hier.
Da der Kläger unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt mit seinem Unterlassungsbegehren durchdrang, änderte das OLG die vorangegangene Entscheidung des Landgerichts Dessau und wies die Klage ab.
Kasten
"Es ist nicht Aufgabe des Wettbewerbsrechts zu verhindern, dass Vorteile, die sich aus einer größeren Bequemlichkeit eines bestimmten Versorgungsweges oder aus Kostenvorteilen eines Anbieters ergeben, im Wettbewerb eingesetzt werden können. Ein Wettbewerbsvorsprung, der sich aus solchen Vorteilen ergibt, ist nicht nur wettbewerbsrechtlich unbedenklich, sondern vielmehr im Interesse der Entwicklung zu einer insgesamt besseren Versorgung der Patienten erwünscht." BGH "Verkürzter Versorgungsweg" in GRUR 2002, S. 271 f. (272)
Kastentext: Leitsätze:
1. § 24 ApBetrO ist restriktiv auszulegen und umfasst nicht das Sammeln von Rezepten für rezept- und apothekenfreie Medizinprodukte. 2. Die Vorteile des so genannten verkürzten Versorgungsweges sind hinreichende Gründe für die Bevorzugung bestimmter Anbieter gesundheitlicher Leistungen. 3. Dieselben Erwägungen verbieten es – unbeschadet des Vorliegens sonstiger tatbestandlicher Voraussetzungen – dasselbe Verhalten als Verstoß gegen das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) anzusehen.
Kastentext: § 24 Apothekenbetriebsordnung
(1) Einrichtungen zum Sammeln von Verschreibungen (Rezeptsammelstellen) dürfen nur mit Erlaubnis der zuständigen Behörde unterhalten werden. Die Erlaubnis ist dem Inhaber einer Apotheke auf Antrag zu erteilen, wenn zur ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung von abgelegenen Orten oder Ortsteilen ohne Apotheken eine Rezeptsammelstelle erforderlich ist. (...) (2) Rezeptsammelstellen dürfen nicht in Gewerbebetrieben oder bei Angehörigen der Heilberufe unterhalten werden. (3) – (4) (...)
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