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Die Seite 3
Das Beitragssatzsicherungsgesetz (BSSichG) scheint – aller Kritik zum Trotz – die wichtigsten parlamentarischen Hürden genommen zu haben. Die Bundesregierung geht davon aus, dass sie eine Zustimmung des Bundesrates nicht benötigt. Das allerdings ist durchaus fraglich.
Das BSSichG sieht vor, alle drei Stufen der Arzneimittelversorgung (Hersteller, Großhandel, Apotheken) "in die Pflicht" zu nehmen.
1. Die Hersteller sollen der GKV einen Rabatt von 6% (Bezugsbasis Herstellerabgabepreis) für alle zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen abgegebenen Arzneimittel gewähren, sofern für diese kein Festbetrag existiert (oder noch festgesetzt wird) oder sofern diese nicht von der Aut-idem-Regelung nach AABG (SGB V § 129 Abs. 1 Satz 4 und 5) erfasst worden sind oder werden.
2. Die Apotheken, deren Verpflichtung zur Zahlung eines Abschlages zugunsten der GKV Anfang 2002 schon von 5% auf 6% erhöht worden war (Bezugsbasis Apothekenabgabepreis), werden nunmehr zur Zahlung eines am Arzneimittelabgabepreis orientierten Abschlages in Höhe von 6% bis 10% verpflichtet. Dieser Abschlag bezieht sich auf alle zu Lasten der GKV von der Apotheke abgegebenen Arzneimittel
3. Der Großhandel hat der GKV einen Abschlag von 3% (Bezugsbasis Apothekenabgabepreis) zu gewähren, der sich auf verschreibungspflichtige und zu Lasten der GKV verordnungsfähige Arzneimittel bezieht. Dass diese Arzneimittel zu Lasten der GKV verordnet und abgegeben werden, ist nicht Bedingung. Diese Rabattverpflichtung bezieht sich also auch auf Arzneimittel, die z. B. vom Patienten direkt oder von der PKV bezahlt werden.
4. Das Inkasso all dieser Rabatte obliegt nach den Vorstellungen der Koalition den Apotheken. Ihnen werden auch die Rabatte der Hersteller und des Großhandels von der Rechnung abgezogen, mit denen die Krankenkassen für die Arzneimittel bezahlen, mit denen ihre Versicherten versorgt wurden. Die Apotheker sollen sich die Rabatte, die eigentlich der Großhandels- bzw. Herstellerstufe zuzuordnen sind, von diesen Marktpartner wiederholen. Wie das im Einzelnen funktionieren soll, ist ganz offensichtlich auch den Autoren des Gesetzeswerkes unklar.
Die neuen Regelungen, die allesamt nach den Vorstellungen der Koalition ab Januar 2003 greifen sollen, bürden den Apotheken – neben den unmittelbar und mittelbar von ihnen zu schulternden, drastisch erhöhten Rabatten – auch noch erhebliche Kosten und Risiken für die Vorfinanzierung und Abwicklung auf. Unabhängig von der politischen Bewertung dieser Eingriffe, die wegen ihrer Dimension in der bundesrepublikanischen Geschichte praktisch ohne Vorbild sind, stellt sich die Frage nach der rechtlichen Einschätzung.
I. Sind solche mit Blick auf die Apotheker weit überproportionalen, enteignungsähnlichen Eingriffe überhaupt zulässig? Kollidieren sie mit dem Willkürverbot von Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes? Sind sie – wenn überhaupt – zulässig, ohne den Betroffenen durch ihre überfallartige Einführung überhaupt eine Chance zu lassen, sich darauf einzustellen?
II. Ist das Maßnahmenpaket im Rahmen des so genannten Vorschaltgesetzes, hier insbesondere das Beitragssatzsicherungsgesetz (BSSichG) – wie von der Regierungskoalition behauptet – mit Blick auf den Bundesrat wirklich nicht zustimmungspflichtig?
Die erste Frage soll hier außen vor bleiben – ohne ihre Berechtigung in Frage stellen zu wollen. Nur soviel: Es ist schon ein beispielloser Vorgang, dass einer Berufgruppe mit einem gesetzgeberischen Federstrich überfallartig die Hälfte der bisher erzielten Erträge entzogen werden soll. Das riecht nach Rache, nach einer Retourkutsche für die Unterschriftenaktion "Pro Apotheke", die in der Koalition als unverschämte Provokation verstanden wurde. Die Nullrunde, die anderen Bereichen verordnet wurde und die sich sogar das Bundeskabinett jetzt zumuten will, nimmt sich gegenüber den Maßnahmen, die jetzt die Apotheken treffen sollen, geradezu als Streicheleinheit aus.
Mit der zweiten Frage hat sich der Stuttgarter Staatsrechtler Professor Dr. Rüdiger Zuck und sein Team in einem Kurzgutachten für die ABDA, das am 14. 11. 2002 vorgelegt wurde, auf immerhin 28 Seiten auseinandergesetzt. Er kommt zu dem Ergebnis,
- dass die Aufspaltung des Gesetzespaketes in das zustimmungspflichtige 12. SGB V-Änderungsgesetz und das angeblich zustimmungsfreie BSSichG gegen das Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, also als verfassungsrechtlich bedenklich einzustufen ist;
- dass das BSSichG hinsichtlich der Abschläge und Rabatte auf Arzneimittel der Zustimmung des Bundesrates nach Art. 84 Abs. 1 GG bedarf. Hintergrund ist, dass die Abschläge des BSSichG in den Regelungstatbestand der Arzneimittelpreisverordnung (AMpreisV) eingreifen, die ihrerseits nach der ausdrücklichen Vorgabe des Arzneimittelgesetzes (hier § 78) zustimmungspflichtig ist: "Die materiell-rechtlichen Vorschriften über Abschläge auf Arzneimittelpreise ändern die zustimmungspflichtige AMpreisV. Also ist das BSSichG insoweit selbst zustimmungspflichtig."
Hinzu kommt ein weiterer Aspekt, der (selbst wenn Zucks Argumentation hinsichtlich der Zustimmungspflichtigkeit des BSSichG nicht greifen würde) bei genauerer Betrachtung das BSSichG zumindest zum Teil (und damit ohne Abtrennung dieses Teils als Ganzes) zustimmungspflichtig macht. Wie ist diese Ansicht zu begründen?
Der Rabatt des Großhandels an die Krankenkassen, der über Artikel 11 BSSichG eingeführt werden soll, bezieht sich – wie ausgeführt – auf verschreibungspflichtige und zu Lasten der GKV verordnungsfähige Arzneimittel. Dass diese Arzneimittel zu Lasten der GKV verordnet und abgegeben werden, ist nicht Bedingung. Diese Rabattverpflichtung bezieht sich also nicht nur auf Arzneimittel für Versicherte der GKV, sondern auch auf Arzneimittel außerhalb des Regelungsbereichs des SGB V, auf Arzneimittel nämlich, die z. B. vom Patienten direkt oder von der PKV bezahlt werden.
Regelungen für diesen Bereich jenseits der GKV können jedoch nicht über das Sozialgesetzbuch getroffen werden; es ist hier nicht zuständig. Eine neue Rabatt- bzw. Preisregelung, die sich auch auf Arzneimittel bezieht, die zu Lasten der PKV bzw. gegen Bezahlung durch Selbstzahler abgegeben werden, wäre nur durch eine Änderung der Arzneimittelpreisverordnung (AMpreisV) möglich, deren Ermächtigungsgrundlage § 78 AMG ist.
Eine Änderung der AMpreisV bedarf jedoch – bislang unbestritten – der Zustimmung des Bundesrates. Deshalb ist diese den Großhandel betreffende Abschlagsregelung nach Artikel 11 des BSSichG (Gesetz zur Einführung von Abschlägen der pharmazeutischen Großhändler) in der vorliegenden Form unzulässig. Sie ist ohne Zustimmung des Bundesrates nicht umsetzbar.
Im Übrigen bleibt festzuhalten: Der vom Großhandel zugunsten der GKV geforderte Rabatt (nach Auffassung der Koalition 600 Mio. Euro, in Wirklichkeit eher mehr) übersteigt in der Summe weit die gesamte Umsatzrendite des deutschen Pharmagroßhandels (ca. 250 Mio. Euro). Er wird deshalb im Wesentlichen – in Form von Kürzung der bisher im Wettbewerb gewährten Rabatte – letztlich ebenfalls die Apotheken belasten. Der Großhandel wird sich durch Überwälzung dieser Rabatte auf die Apotheken – in Form einer Kürzung der bisher gewährten Rabatte des Großhandels zugunsten der Apotheken – letztlich mehr oder weniger schadlos halten
Klaus Kirschner (SPD), im Amt bestätigter Vorsitzender des Gesundheitsausschusses, hat im Gegensatz dazu in einer Antwort auf einen Brief von einer größeren Zahl von Apothekern die Auffassung vertreten, "durch die während der parlamentarischen Beratung am Gesetzentwurf angebrachten Änderungen ... nach Aussage des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherheit" werde "gewährleistet, dass von Großhandel und Herstellern zu erbringende Abschläge und Rabatte nicht auf die Apotheken abgewälzt werden können".
Er hat diese Einschätzung durch nichts belegt. Im Gesetzeswortlaut findet sich auch nichts dergleichen. Der gesetzgeberischen Arbeit stellt dies ein miserables Zeugnis aus. Weite Teile der politischen Klasse gehen nach wie vor von falschen Voraussetzungen aus: sie realisieren offensichtlich nicht, dass alle Rabatte, Boni und Skonti, die den Apotheken zufließen, bei Ausweis des betriebswirtschaftlichen Gewinns einer Apotheke (1,4% des Bruttoumsatzes) sowie des steuerlichen Betriebsergebnisses voll berücksichtigt sind.
Jede Kürzung des Rabattes, den der Großhandel bisher gewähren kann (und deshalb im Wettbewerb gewähren muss), schlägt also voll auf die Ergebnisse der Apotheken durch. Warum verschließt die Politik davor die Augen?
Klaus G. Brauer
Unausgegoren, maßlos, ungerecht und unzulässig
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