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Glossorial: Götterdämmerung
"Wie bekommen wir Geld in unsere leeren Kassen?" Seit Tagen fiel den Ratgebern nichts mehr ein. Die Benzin-, Zigaretten- und Alkoholverkäufer waren bereits zu heimlichen Steuereintreibern geworden, aber nun murrte das Volk, denn beim Spaß hört der Spaß bekanntlich auf.
Als ersten warf seine Majestät den Berater in den Kerker, der den Vorschlag zur weiteren, drastischen Erhöhung der Steuern auf Alkohol und Zigaretten gemacht hatte, denn er wollte gleichzeitig die Pillen entsprechend weniger belasten.
"Die Leute sind krank, weil sie arbeitslos sind", sprach ein weiterer Volksvertreter aus dem Süden des Landes "die Menschen gehen zu den Ärzten, weil sie Langeweile haben und wir müssen dann die Pillen gegen die Langeweile bezahlen!"
Da wurde es dem König zu bunt, er schlug mit der Faust auf den Tisch, schickte auch diesen Berater in die Verbannung und schrie: "Die Pillenverkäufer sind an allem schuld!" Sofort spielte des Königs liebster Minnesänger Verdi den Triumphmarsch. Er hatte einen Hass auf die Pillenverkäufer, weil diese lieber selbständig bleiben wollten und seinem Gesangsverein nicht beitraten.
Die Vertreter der Pillenverkäufer wurden in die Burg zitiert und sollten Vorschläge machen, wie man Geld sparen könnte. "Die Pillen für die Krankenhäuser sind so billig, nehmen wir doch die", sagte der rheinische Vertreter, aber den nahm keiner ernst. Der König traute sich insgeheim auch nicht, gegen den Fabrikanten der Pillen etwas zu unternehmen, war dieser doch groß und mächtig. Erfolglos verließen die Pillenverkäufer den großen, runden Tisch und zogen traurig aus der Burg.
In seiner Ratlosigkeit gab der König seiner obersten, für die Gesundheit des Volkes verantwortlichen Beraterin eine allerletzte Chance. Inzwischen war diese sichtlich nervös geworden, als ihr in letzter Minute der rettende Gedanke kam: "Wir kaufen künftig alle Pillen im Ausland, je weiter weg, desto billiger. Inzwischen versenden sie die Pillen von dort mit Billigfliegern und was Luftbrücken betrifft, so haben wir hier in der Königsstadt bereits beste Erfahrungen gesammelt. Was den Pillenverkäufern dann noch übrig bleibt, das besteuern wir ab sofort mit dem Doppelten!" Die Beraterin für den Verbraucherschutz des Volkes wollte gerade noch etwas sagen, aber Verdi hatte mit einem erneuten Triumphmarsch alles übertönt.
In der Burg waren alle guter Stimmung, die der König mit einer Bekanntmachung nochmals steigern konnte: Ab sofort wurden nämlich die Diäten und Renten der Berater wegen des genialen Sparvorschlages erhöht! Man aß und trank bis zum Morgen, schließlich sollte das Volk glauben, dass man die ganze Nacht gearbeitet hätte.
Der König zog sich mit seiner Gemahlin zurück und als diese schlief, befragte er heimlich das Orakel nach der Zukunft. Im dämmrigen Licht des weiten Schlafgemaches erschien auch bald die Antwort, die mit unsichtbarer Hand an die Wand geschrieben da lautete: "Gehe raus und Du findest Phönix in der Asche der Pillenverkäufer. Dir zahlt niemand mehr Steuern, weil sich alle Aktiengesellschaften ins Ausland verzogen haben. Deshalb kehre an den Rhein zurück, nimm ein Boot und wirf die Liebe endgültig über Bord. Suche wie einst Alberich nach den drei Rheintöchtern. Entreiße ihnen den Schatz mit dem Ring aus den Tiefen des Rheins und erhalte Dir somit die Macht ..."
Der König lachte dankbar und erleichtert auf, setzte sich zufrieden in den Sessel und zündete sich mit ruhiger Hand eine seiner Lieblingszigarren an. Der Rauch legte sich wie Nebel vor seine Augen und so geschah es, dass er den letzten Teil des Orakels nicht mehr lesen konnte, welcher begann mit "Götterdämmerung" ...
Klaus Grimm, Wesseling
Vorabdruck aus "Apotheke und Krankenhaus", Ausgabe 4, 2002
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