- DAZ.online
- DAZ / AZ
- DAZ 8/2002
- Fortbildung: Seminar ...
Berichte
Fortbildung: Seminar Suchtpharmazie
Wenn die Sucht zum Problem wird
Ob Medikamentenabhängigkeit, Spielsucht oder die Sucht nach legalen und illegalen Rauschmitteln – der Ansatz einer Sucht ist häufig der gleiche. Der Betroffene versucht seinen gegenwärtigen Zustand zu verbessern und sucht Hilfsmittel. Sucht kommt also häufig von "suchen" und macht vor keiner Gesellschaftsschicht halt. Die zunächst einsetzenden angenehmen Gefühle durch ein bestimmtes Mittel, die eine Verdrängung des eigentlichen Problems bedeuten, werden schließlich selbst zum Problem. Es bedeutet häufig einen langen Leidensweg der Betroffenen, bis die Erkenntnis einsetzt und schließlich geeignete Schritte zur Suchtbewältigung eingeleitet werden.
Nicht selten ist es der Apotheker, dem die Medikamentensucht auffällt, da immer mehr und öfter ein bestimmtes Präparat gekauft oder verordnet wird. Spätestens, wenn in der Apotheke ein Methadon-Rezept vorgelegt wird oder ein Patient ein Nicotinpflaster wünscht, müssen sich die Apotheken-Mitarbeiter mit der Sucht-Thematik beschäftigen.
Abhängigkeitssyndrom
Das Seminar Suchtpharmazie erarbeitete mit Dr. Albrecht Günthner, Diplom-Psychologe und Chefarzt der Fachklinik Eußerthal, eine Definition der Sucht. Dabei wurde deutlich, wo die Grenzen zwischen Abhängigkeit und schädlichem Gebrauch liegen. Bei Alkohol ist z. B. nicht die Trinkmenge entscheidend. Das Abhängigkeitssyndrom ist gekennzeichnet durch
- einen starken Wunsch oder Zwang, das Suchtmittel zu konsumieren,
- eine verminderte Kontrolle darüber,
- eine erhöhte Toleranzbildung und
- ein Entzugssyndrom.
Suchtkranke vernachlässigen ihre Interessen und führen den Konsum trotz eindeutiger Schäden fort. Von einem schädlichen Gebrauch wird gesprochen, wenn ein Suchtmittel eine tatsächliche gesundheitliche Schädigung (psychisch wie physisch) nach sich zieht.
Spielsucht
Andreas Lindner, therapeutischer Leiter der Fachklinik Münzesheim in Gaggenau, referierte über die Sucht nach Glücksspielen. Sie ist eine nicht stoffgebundene Sucht, von der schätzungsweise 25 000 bis 130 000 Personen betroffen sind. Sie tritt allerdings häufig in Zusammenhang mit Alkohol- (ca. 50%) oder Nicotinabhängigkeit (ca. 95%) auf. Besonders problematisch stellt sich bei diesem Personenkreis die Tatsache dar, dass nach circa 6 Jahren exzessiven Glücksspiels – etwa 85% spielen an Geldspielautomaten – durchschnittlich 50 000 bis 100 000 Euro verspielt wurden und bei Behandlungsbeginn ein Schuldenberg von circa 20 000 Euro vorhanden ist.
Frauenspezifische Probleme
Von besonderen frauenspezifischen Problemen der Sucht berichtete Ulrike Ohnemeiß, Diplompädagogin und Geschäftsführerin der Frauen-Suchtberatungsstelle LAGAYA in Stuttgart. Das "immer funktionieren müssen" vieler Frauen mit Doppel- und Dreifachbelastungen kann zu Abhängigkeiten führen. In vielen Fällen steht ein (sexueller) Missbrauch der Frau in der Vergangenheit im Hintergrund. Frauen sind häufig von legalen Suchtstoffen abhängig; oft äußert sich die Sucht in Essstörungen.
In LAGAYA sind mehrere Hilfeeinrichtungen koordiniert: niedrig schwellige Angebote für junge Mädchen mit Drogenerfahrung, Gruppeneinrichtungen für Frauen mit Essstörungen sowie Beratung und Vermittlung in Therapien.
Frauenspezifische Suchthilfe berücksichtigt immer das Umfeld und die starke Verantwortung, die Frauen für dieses Umfeld haben: Kinder, Partner, Familie, Arbeitsplatz. Frauen stellen nach Therapien häufig die Frage, warum sie keiner – obwohl sie auffällig waren – auf ihre Erkrankung angesprochen hat.
Arzneimittelabhängigkeit
Der stellvertretende Vorsitzende des LAK-Arbeitskreises Sucht, Krankenhausapotheker Dr. Ernst Pallenbach aus Villingen-Schwenningen, begeisterte mit einem informationsreichen Vortrag über die pharmakologischen Eigenschaften von Suchtstoffen und die äußerlichen Anzeichen der Suchterkrankungen. Insbesondere wurde hier auf die Arzneimittelabhängigkeit eingegangen. Dazu zählen Analgetika, Antitussiva, Hypnotika und Sedativa, Psychostimulanzien, Appetitzügler, Anticholinergika, Narkosemittel, Laxanzien, Nasentropfen, Anabolika und alle alkoholhaltigen Arzneimittel. Auch Cannabis, Heroin und Ecstasy, die ehemals Arzneimittel waren, wurden in dem Vortrag behandelt.
Nicotinsucht
Dr. Anil Batra, Oberarzt und Leiter der Suchtstation der Tübinger Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychologie, sprach über die Bewältigung der Nicotinsucht. Entgegen aller Annahme ist eine Sucht nach Zigaretten nicht schädlicher als die nach Zigarren oder Pfeife. Die "krankmachenden" Stoffe sind im Tabak enthalten.
Dr. Batra gab praktische Tipps zur Ansprache und zum Umgang mit Suchtkranken. Fragetechniken, die in der Apotheke angewendet werden können, wurden dargestellt. Batra machte aber kein Hehl daraus, dass lediglich bei 5% aller angesprochenen Suchtkranken ein Bewusstsein für ihre Suchterkrankung geschaffen wird, sodass sie weitere Maßnahmen zur Suchtbewältigung ergreifen.
Die Sucht in Zahlen
Dr. Oliver Pagallies, Ärztlicher Leiter der Drogenhilfe Tübingen, brachte einige statistische Zahlen zur Sucht ins Spiel: Nach der Schätzung der Deutschen Hauptstelle gegen die Suchtgefahren gibt es 1,5 Mio. Medikamentenabhängige (1,2 Mio. Abhängige von Benzodiazepinderivaten) in Deutschland. Nur 250 000 bis 300 000 Konsumenten harter illegaler Drogen (Opiate, Cocain, Ecstasy) stehen dieser Zahl gegenüber, schätzungsweise 100 000 bis 150 000 Abhängige konsumieren ihren "Stoff" in riskanter Höhe. Die Zahl der Alkoholkonsumenten steigt: Nach einer Hochrechnung waren im Jahr 2001 1,6 Mio. Menschen in Deutschland alkoholabhängig, 2,7 Mio. betrieben Alkoholmissbrauch, und 9,3 Mio. konsumierten Alkohol in riskanter Höhe.
Darüber hinaus stellte Dr. Pagallies die Kosten für verschiedene Entwöhnungsbehandlungen (stationär in Fachkliniken, ambulant mit Suchtberatungsstellen und speziellen Institutsambulanzen, Reha-Einrichtungen) vor.
Substitutionstherapie
Die Behandlungsmöglichkeiten in der ärztlichen Praxis, insbesondere von Drogenabhängigen, wurden von Dr. Richard Haumann, praktischer Arzt in Tübingen, dargestellt. Es wurden die unterschiedlichen Substitutionsmittel mit ihren Wirkungsspektren und Rezeptorbindungen vorgestellt. Behandlungsebenen und -phasen zeigten, dass ein Lösen von der Sucht meist Jahre dauert. Rückfälle gehören mit zur Therapie. Entscheidend ist, wie damit umgegangen wird. Ein Therapieabbruch ist jedoch nur in seltenen Fällen angezeigt.
In einem beeindruckenden Vortrag schilderte Hansdieter Beck, Apothekenleiter in Stuttgart und Mitglied des LAK-Arbeitskreises Sucht, den geschichtlichen Werdegang der Substitutionstherapie und die Qualitätssicherung in der Apotheke. Gerade bei den Rezepturen kann sich schnell ein Fehlerteufel einschleichen, daher ist ein gutes Qualitätsmanagement unumgänglich. Anhand seiner praktischen Erfahrungen verdeutlichte er auch den Umgang mit der besonderen Klientel, die belastende Verhaltensmuster in die Offizin hereinträgt.
Beck stellte auch das so genannte Stuttgarter Modell vor. Mittels eines EDV-gestützten Dosiersystems (Dosierautomat) kann ein Splitting von Betäubungsrecht (Bestellung der Arzneimittel mittels BtM-Rezept) und abrechnungstechnischen Maßnahmen (Abrechnung auf "Muster 16") erfolgen. Dies lohnt sich, wenn große Mengen an Substitutionsmitteln hergestellt werden.
Einen Überblick über die Herstellung, Abpackung und Kennzeichnung von Substitutionsarzneimitteln im rezepturüblichen Maßstab gab Hans-Dieter Hirt, Apothekenleiter und Pharmazierat in Fellbach. Er stellte neben den Pflichtangaben auch mögliche Mittel zur Patienteninformation, z. B. die Erstellung eines Merkblattes, vor.
Wichtig sind die möglichen Interaktionen der Substitutionsmittel. So dürfen Methadon-Patienten nicht mit Ciprofloxacin behandelt werden, weil der Ciprofloxacin-Wirkspiegel zu gering ist. Auch darf Methadon nicht in Grapefruitsaft eingenommen werden, da es dann aufgrund einer Enzymhemmung zur Wirkungsverstärkung des Methadons kommt.
BtM-Recht
Der Stuttgarter Apotheker und Mitglied im LAK-Arbeitskreis Sucht Dr. Hans La Roche erklärte die Regelungen des Betäubungsmittelrechts in der Substitutionstherapie und ging auf die Vertragsgestaltung im Sichtbezug (dem unmittelbaren Überlassen von Substitutionsmitteln) zwischen Arzt und Apotheke ein. Er verdeutlichte auch die haftungsrechtlichen Aspekte. La Roche konnte durch seine jahrelange Erfahrung praktische Tipps weitergeben und einen Bezug zur pharmazeutischen Betreuung herstellen.
Bei einem Blick in die Betäubungsmittelverschreibungsverordnung zeigte Karin Kegel vom Info-Center der LAK, unterstützt von Hans-Dieter Hirt, dass nur in der Hälfte aller Absätze des § 5 die apothekenrelevante Basis für die Substitutionstherapie zu finden ist.
Zum Schluss konnten die Teilnehmer in einer kleinen Fragerunde das Gelernte anwenden. Anhand von Rezeptbeispielen zeigten sie, dass sie nun "fit" sind für die Suchtpharmazie. Die Teilnehmer erhielten ein Zertifikat, das ihnen die Sachkunde im Bereich der Suchtpharmazie bescheinigt.
Die Seminare werden fortgesetzt. Der Frühjahreskurs ist bereits ausgebucht. Noch frei sind die Termine 28./29. September, 19. Oktober und 16. November 2002 in Stuttgart. Anmeldung bei: STP – Suchtmedizin in Theorie und Praxis, Lindenbühlweg 17, 70736 Fellbach, Fax (07 11) 5 18 07 99, E-Mail: stp-weiser-jansen@t-online.de Kosten pro Tag (8 Stunden) 120 A + MwSt., gesamtes Seminar 480 A + MwSt. Infos auch bei der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg, Karin Kegel, Tel. (07 11) 9 93 47-31, E-Mail karin.kegel @apothekerkammer-bw.de
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.