- DAZ.online
- DAZ / AZ
- DAZ 11/2003
- Antarktis: Suchen nach ...
DAZ wissenswert
Antarktis: Suchen nach Leben im Wostok-See
4000 Meter unter dem Eis
Der Wostok-See ist mit 240 km Länge und 50 km Breite etwa halb so groß wie der Baikalsee. Aber niemand hat ihn bisher gesehen. Radarmessungen und seismische Experimente offenbaren jedoch, dass er sichelförmig und bis zu tausend Meter tief ist.
Das Eis wurde durch Geothermie und Eisdruck verflüssigt. Die Wärme des radioaktiven Zerfalls im Erdinneren schmelzt die Gletscher von unten, gemeinsam mit dem Druck des Eigengewichts des 4 km dicken Eises von fast 400 bar. Das Wasser strömt in unterirdischen Flüssen und sammelt sich in Seen. Wostok ist der größte unter ihnen. Sein Eisdeckel aus gefrorenem und vergletschertem Schnee ist mindestens 450 000, wahrscheinlich aber mehrere Millionen Jahre alt. Er gibt dem See auch eine schräge Oberfläche.
Wo das Eis dünner ist, liegt die Seeoberfläche höher. Die unterschiedliche Dicke des sich langsam bewegenden Eisstroms auf dem See führt zu Temperaturdifferenzen innerhalb der Wassermasse. Ein Wasserkreislauf erscheint deshalb als sehr wahrscheinlich (Tab. 1). Vermutlich schmilzt das Gletschereis im Norden des Sees, strömt gen Süden, wo es wieder gefriert. Mit Schnee und Eis gelangen organische und anorganische Nährstoffe in den Eisdeckel und wandern von dort ganz langsam in den See, der vermutlich aus Süßwasser besteht.
Der See als fossiles Museum
Dass der See, der zwanzig Mal so viel Wasser wie der Bodensee enthält, bisher nicht direkt angebohrt worden ist, liegt wohl auch am Respekt, den man ihm entgegenbringt. Mit einiger Wahrscheinlichkeit regt sich Leben in den dunklen, kalten Fluten. Ein einzigartiges Biotop könnte durch kontaminierte Bohrmeißel verfälscht werden.
500 000 Jahre könnte es dauern, bis gefrorener Schnee zur Seeoberfläche wandert. Mit ihm sinken Sedimente und Organismen in die Tiefe. Es könnten also sehr alte Mikroben dort unten eingeschlossen sein; auch ganz unbekannte Organismen sind zu erwarten. Bei der künftigen Suche nach Leben in diesem kalten Verlies hoffen die Forscher auf den eingetragenen Sauerstoff. Denn die Oxidation organischer Materie und die von Sulfiden scheint die einzige Möglichkeit, Energie zu gewinnen. Sonnenlicht gibt es nicht, und hydrothermale Quellen wie in der Tiefsee erscheinen nach heutigem Kenntnisstand ebenfalls als unwahrscheinlich. Möglicherweise existieren heterotrophe Organismen, die von den Resten der Primärorganismen leben.
1999 waren überraschend Mikroorganismen im Eis dicht über dem See entdeckt worden. Die Bohrung einer russischen Expedition Mitte der Neunzigerjahre war 150 Meter über der Seeoberfläche gestoppt worden. Sie hatte Eis einer besonderen Kristallstruktur zutage gefördert, die darauf hinwies, dass es sich um gefrorenes Seewasser handelt. Die dort eingefrorenen Mikroorganismen waren aber mehrheitlich keine typischen Extremophilen, sondern durchreisende Gäste von der Erdoberfläche (Tab. 2).
Mikroorganismen mit Frostschutzmechanismus?
In einigen Jahren werden der Wostok-See und vor allem sein Sediment, das die Geschichte des Sees birgt, ihre Geheimnisse offenbaren. Bis dahin dienen kleinere Seen der Vorbereitung. Geübt wird derzeit am Vida-See. Er liegt in der McMurdo-Region, einer trockenen Eiswüste mit einer mittleren Jahrestemperatur von – 30 °C. Den sieben Quadratkilometer großen See versiegeln nur 19 Meter Eis. Sein Wasser ist sieben Mal salziger als Meerwasser und hat eine Temperatur von – 10 °C.
1996 waren aus dem Eisdeckel des Vida-Sees zwei Proben gezogen worden. Die 14 und 16 m tiefen Eisbohrkerne bestanden am unteren Ende aus matschigem Salzwassereis. Die Seeoberfläche war also fast erreicht worden. Die Bohrkerne enthielten mindestens 2800 Jahre alte organische Ablagerungen und ebenso alte, lebensfähige Bakterien und Algen. Vermutlich lebten diese Organismen ursprünglich nahe der Wasseroberfläche, bis sie einfroren. Da Teile des Sees einem Zyklus aus Auftauen und Gefrieren unterworfen sind, wird vermutet, dass die Mikroorganismen über einen unbekannten Frostschutzmechanismus verfügen.
Ein Vorspiel für Mars und Europa
Die Erforschung des Vida ist nicht nur ein Vorspiel für die Erforschung des weit größeren Wostok, sondern auch von extraterrestrischem Leben in unserem Planetensystem. Auf dem Mars ist definitiv gefrorenes Wasser gefunden worden. Es könnte also dort zumindest in früheren Zeiten Leben gegeben haben oder heute noch in unterirdischen Seen geben.
Die phantastischen Bilder des Jupitermondes Europa zeigen sogar eine Eiskruste. Magnetfeldmessungen der Sonde Galileo haben 7,5 km darunter Störungen entdeckt, die sehr deutlich auf flüssiges Wasser hinweisen. Vermutlich ist der Eis-Wasser-Ozean 160 km tief, also 15 Mal so tief wie der Marianengraben.
Der Jupitermond Europa, der etwa so groß ist wie unser Erdmond, könnte auf verschiedene Weise Hitze entwickeln und das Eis schmelzen, obwohl die Oberfläche eine Temperatur von – 162 °C aufweist. Bei einer Umlaufbahn von 85 Stunden zerrt die starke Gravitation des Jupiters gezeitenähnlich am Eispanzer, der sich periodisch um 30 m heben und senken könnte. Im Zusammenspiel mit dem radioaktiven Zerfall im Inneren und mit hydrothermaler Energie könnte dies zu großen Mengen flüssigen Wassers führen. Bereits 1998 hatte die NASA das Motto "Ein Tag auf Europa" ausgerufen, um für die Eroberung dieses fernen Gefährten zu werben. Vorerst beteiligt sie sich an der Erforschung von Vida und Wostok.
Sterilität ist gefragt
Das Eindringen in den Wostok-See soll durch ein Vehikel, den Cryobot, erfolgen, der später auch auf dem Mars eingesetzt werden könnte. Der erste Cryobot wurde bereits auf Spitzbergen erprobt. Er sinkt wie ein heißer Nagel durch das Eis. Auf dem Weg in die Tiefe sendet er laufend chemische Analysendaten und Videobilder über Kabel an die Forschungsstation an der Oberfläche. Hinter ihm friert das Eis wieder zu. Bevor er die Seeoberfläche erreicht, muss sich der Cryobot selbst sterilisieren. Im See angekommen, soll er den Hydrobot freisetzen, ein propellergetriebenes U-Boot, das seinerseits Daten sendet.
Es ist schade, dass der Wostok-See bereits vor seiner eigentlichen Erkundung schon teilweise hinter noch größeren Projekten verschwindet. Seine Erforschung ist eine ganz eigene Herausforderung an Mensch und Material in der extrem unwirtlichen Antarktis.
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.