Berichte

AK Berlin: Patientenorientierte Pharmazie

Am 9. März 2003 fand der 7. Fortbildungstag der Apothekerkammer Berlin zum Thema Patientenorientierte Pharmazie Klinische Pharmazie statt. Etwa 180 TeilnehmerInnen versammelten sich im Audimax der Charitť, Campus Virchow Klinikum, in Berlin.

Der Präsident der Apothekerkammer Berlin, Norbert Bartetzko, wies in seiner Begrüßungsansprache auf die Ergebnisse der Berliner Apothekenumfrage hin, die von der Apothekerkammer im Januar 2003 bei öffentlichen Berliner Apotheken durchgeführt worden war (siehe auch DAZ Nr. 7, Seite 35). Die Reaktionen auf die gegenwärtige politische und wirtschaftliche Situation waren dramatisch: 90 Prozent der 292 Apotheken, die sich an der Umfrage beteiligt hatten, äußerten Existenzängste und Ohnmacht, 75 Prozent der Apothekenleiterinnen und -leiter befürchteten Umsatzeinbußen.

Die Organisatoren des Fortbildungstages zeigten sich jedoch entschlossen, gerade in dieser schwierigen Zeit den Kopf nicht in den Sand zu stecken: Sechs Referenten, Apothekerinnen und Apotheker von Universitäten, Krankenhäusern und der ABDA, zeigten Wege auf, wie man Klinische Pharmazie in die tägliche Arbeit integrieren und diese damit noch patientenorientierter gestalten kann.

Klinische Pharmazie - was steckt dahinter?

Apothekerin Dr. Charlotte Kloft, Leiterin der Abteilung Klinische Pharmazie am Institut für Pharmazie der Freien Universität Berlin, erläuterte die historische Entwicklung der Klinischen Pharmazie. Im Geburtsland USA hatten seit Ende der 50er-Jahre zwei Bestrebungen zur Herausbildung von Clinical Pharmacy geführt:

  • einerseits Bestrebungen an den Universitäten, zunehmend klinische Ausbildungsinhalte in das Pharmaziestudium zu integrieren, und
  • andererseits Dienstleistungsangebote von Krankenhausapothekern, um die Arzneimittelversorgung in der Klinik patientenorientierter zu gestalten.

Aufbauend auf den Erfahrungen aus den USA kam es in Großbritannien ab Mitte der 70er-Jahre zu einer raschen Entwicklung der Klinischen Pharmazie, sodass 1996 an den Pharmazeutischen Instituten bereits 14 Professuren für Clinical Pharmacy/Pharmacy Practice existierten. In Deutschland waren Krankenhausapotheker die Vorreiter der Klinischen Pharmazie, die auf Basis der Erfahrungen aus den USA etwa ab Anfang der 80er-Jahre entsprechende Dienstleistungen anboten.

Daneben begann man Mitte der 80er-Jahre an einzelnen Universitäten damit, Vorlesungen und Seminare in Klinischer Pharmazie in die Ausbildung zu integrieren. 1999 wurde am Pharmazeutischen Institut der Universität Bonn die erste Professur für Klinische Pharmazie eingerichtet. In der Offizin hielt die Klinische Pharmazie in Form der Pharmazeutischen Betreuung Einzug. Ein Meilenstein in der Entwicklung der Klinischen Pharmazie in Deutschland war die Novellierung der Approbationsordnung, die seit 1. Oktober 2001 in Kraft ist. Damit ist die Klinische Pharmazie fünftes Prüfungsfach im Zweiten Staatsexamen.

Das am Institut für Pharmazie der Freien Universität Berlin entwickelte Konzept zur Umsetzung der Vorgaben der neuen Approbationsordnung umfasst Vorlesungen und Seminare in Krankheitslehre, Pharmakotherapie, Klinischer Pharmazie und Pharmakoepidemiologie/-ökonomie sowie den Kurs Klinische Pharmazie Pharmazeutische Betreuung und Pharmakotherapie. In dieser siebentägigen Ganztags-Lehrveranstaltung werden in Zusammenarbeit mit Krankenhausapothekern, Ärzten und Pflegekräften und unter Anwendung innovativer Lehrmethoden von den Studierenden Patientenfälle bearbeitet. Dazu gehören Plausibilitäts-Checks der verordneten Arzneimittel, interdisziplinäre Diskussionen auf der Station und schließlich Kurzpräsentationen der Arbeitsergebnisse. Bei den Studenten genießt der Kurs hohes Ansehen.

Kloft betonte, dass das Ziel der neuen Ausbildungsinhalte nicht darin besteht, Mini-Ärzte auszubilden. Vielmehr sollen die zukünftigen Apotheker nicht nur in ihren klassischen Tätigkeitsfeldern der Herstellung, Prüfung und Distribution von Arzneimittel kompetent sein, sondern zukünftig verstärkt Verantwortung für die richtigen Anwendung der Arzneimittel am Patienten übernehmen.

Pharmazeutische Betreuung Umsetzung in der Apotheke

Dr. Christiane Eickhoff vom Zentrum für Arzneimittelinformation und Pharmazeutische Praxis (ZAPP) der ABDA in Berlin erläuterte, wie die Pharmazeutische Betreuung als neue Dienstleistung in der Apotheke etabliert werden kann. Sie machte dabei deutlich, dass Pharmazeutische Betreuung mehr ist als Beratung: Nach der Definition von Hepler und Strand (1990) versteht man darunter die konsequente Wahrnehmung der Mitverantwortung des Apothekers bei der Arzneimitteltherapie mit dem Ziel, konkrete therapeutische Ergebnisse zu erreichen, die geeignet sind, die Lebensqualität des Patienten zu verbessern.

In der öffentlichen Apotheke kann Pharmazeutische Betreuung vor allem durch das Erkennen und Lösen arzneimittelbezogener und patientenspezifischer Probleme realisiert werden. Grundlage dafür ist die Dokumentation der Arzneimittel des Patienten in einem Medikationsprofil, das entweder tabellarisch oder auf elektronischen Wege mit Hilfe von Modulen, die die Apothekensoftwarehäuser anbieten, erstellt werden kann.

Für Apotheken, die Pharmazeutische Betreuung in ihren Alltag integrieren wollen, ist die ABDA der richtige Ansprechpartner, betonte Eickhoff. Mit der Förderinitiative Pharmazeutische Betreuung werden seit 1997 zahlreiche Modellprojekte finanziell unterstützt. Dass die Angebote auch angenommen werden, beweisen nicht zuletzt die Teilnehmerzahlen der Fortbildungsseminare, die die ABDA gemeinsam mit ihren Kooperationspartnern zur Pharmazeutischen Betreuung anbietet. Die zertifizierten Fortbildungsseminare Diabetes mellitus und Asthma bronchiale wurden bis Ende 2002 von ca. 4700 bzw. 2000 Teilnehmern besucht.

Arzneimittelinteraktionen - Beispiele aus der Praxis

Dr. Jörg Brüggmann und Andrea Hartmann von der Zentralapotheke des Unfallkrankenhauses Berlin zeigten an zahlreichen Beispiele aus ihrer täglichen Arbeit einige arzneimittelbezogene Probleme, die es zu erkennen gilt. Bei Patienten, die verschiedene Medikamente parallel einnehmen, kommt es häufig zu Interaktionen bei der Metabolisierung. So ist mittlerweile gut bekannt, dass die Inhaltsstoffe von Johanniskraut induzierend auf CYP3A4 wirken, ein Cytochrom-P450-Isoenzym, über das ca. 50 Prozent aller oxidativ metabolisierten Arzneistoffe (z. B. Ciclosporin, Erythromycin, Clarithromycin, Lovastatin, Terfenadin) verstoffwechselt werden. Vor der Empfehlung eines Johanniskraut-Präparats in der Apotheke muss daher die sonstige Medikation des Patienten, falls nicht bekannt unbedingt erfragt werden, betonten die Referenten. Beachtet werden sollte auch, dass nicht jede theoretisch mögliche Interaktion auch eine klinische Relevanz besitzt. Klinisch relevant ist eine Interaktion vor allem dann, wenn sie bereits bei normaler Dosierung auftritt, die Arzneistoffe eine geringe therapeutische Breite oder eine steile Dosis-Wirkungs-Kurve besitzen.

Ein bewährtes Instrument zum Aufspüren arzneimittel- und patientenspezifischer Probleme ist die Arzneimittelanamnese, die sich in etwas abgewandelter Form auch auf die öffentliche Apotheke übertragen ließe (siehe Kasten). Brüggmann und Hartmann betonten, dass jedoch generell der Grundsatz gilt: Der Apotheker berät, der Arzt entscheidet. Im Unfallkrankenhaus Berlin werden die Dienstleistungen der Apotheke von den Ärzten überwiegend dankbar angenommen, vor allem bei multimorbiden Patienten mit längeren Liegezeiten.

Patientenorientierte Pharmazie - Der Krebspatient

Krebspatienten sind eine besonders betreuungsbedürftige Patientengruppe. Wie Apothekerin Martina Westfeld vom Arbeitskreis Klinische Pharmazie am Pharmazeutischen Institut der Universität Bonn darstellte, hat der Apotheker grundsätzlich vielfältige Möglichkeiten, zum Erfolg einer Krebstherapie beizutragen. Dies beginnt mit der Gewährleistung einer sicheren Zytostatika-Herstellung, umfasst weiterhin die Förderung der Compliance durch Verbesserung des Therapieverständnisses des Patienten und Unterstützung des Selbstmanagements, die Förderung des Informationsflusses zwischen Arzt, Patienten und Pflegekräften sowie die Optimierung der Supportivtherapie.

Im Projekt Pharmazeutische Betreuung onkologischer Patienten vor, während und nach ambulanter Chemotherapie am Arbeitskreis Klinische Pharmazie erarbeitet Westfeld mit ihren Kollegen unter anderem Empfehlungen zur Behandlung therapieassoziierter Nebenwirkungen. Dazu zählen vor allem Nausea und Emesis, Mukositis (Entzündungen und Ulzerationen der Schleimhäute in Mund, Rachen und Magen-Darm-Trakt), Kachexie, Fatigue, Alopezie, Obstipation/Diarrhö und Schmerzen. Die Empfehlungen reichen dabei von unterstützenden Hinweisen zur Anpassung der Ernährung bei Emesis und Mukositis bis hin zur Empfehlung von OTC-Präparaten wie Vitaminen, Spurenelementen oder Immunstimulanzien. Das vorrangige Ziel der Supportivtherapie bei Krebspatienten besteht darin, die Lebensqualität des Patienten vor, während und nach der Therapie zu erhalten bzw. zu verbessern.

Checkliste Arzneimittelanamnese

  • Gibt es aktuelle Interaktionen AMAM?
  • Gibt es mögliche Interaktionen AMNahrung?
  • Ist die Dosierung richtig?
  • Ist die Arzneiform optimal gewählt?
  • Gibt es Doppelmedikationen?
  • Ist eine kostenintensive Therapie dabei?

(Quelle: Brüggmann/Hartmann, Unfallkrankenhaus Berlin)

Zitat

Die Abgabe des Arzneimittels ist der Anfang und nicht das Ende der Medikation. Ch. D. Hepler

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