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Antirheumatika: COX-2-Hemmer in der Schmerztherapie

Als nach einer anfänglichen Euphorie bei der Einführung der ersten nichtsteroidalen Antirheumatika die nüchterne Erkenntnis kam, dass ihr Langzeiteinsatz mit erheblichen Risiken insbesondere für Magendarmkomplikationen verbunden sein kann, waren nach der Entwicklung und Markteinführung der selektiven COX-2-Hemmer als nebenwirkungsfreierer Alternative die Reaktionen ähnlich euphorisch und hoffnungsvoll. Aber auch für sie stellte sich nach nun etwa fünf Jahren eine gewisse Ernüchterung und Relativierung der Erwartungen ein. Prof. Dr. Dr. Gerd Geißlinger, Institut für Klinische Pharmakologie der Uni Frankfurt, gab in der ersten wissenschaftlichen Sitzung im Sommersemester 2003 der DPhG-Landesgruppe Bayern-München am 7. Mai einen detaillierten Überblick zum Thema "COX-2-Hemmer: Pharmakologie und der Kenntnisstand nach ihrer Markteinführung". Die Sitzung wurde gemeinsam mit der Bayerischen Landesapothekerkammer veranstaltet.

Der Verbrauch von Schmerzmitteln steigt von Jahr zu Jahr, bestätigen die Marktanalysen. 2002 wurden allein in den USA Schmerzmittel für 30 Mrd. Dollar verkauft, vorrangig für Migräne-, Entzündungs-, Tumor- und rheumatoid-arthritische Schmerzen.

Herkömmliche unselektive Antiphlogistika (Spitzenreiter: Diclofenac) mit einem Anteil von 30% führten noch 2002 die Reihe der verkauften Schmerzmittel in Amerika an, gefolgt von COX-2-Inhibitoren mit einem Marktanteil von 23%. Bereits für 2005 erwartet man eine Umkehr dieses Verhältnisses von 21% NSAID zu 29% COX-2-Hemmern, und für 2010 wurde eine Steigerung des COX-2-Hemmer-Verbrauchs auf 31% und ein Rückgang von NSAIDs auf 14% errechnet.

Beste Wirkung, schwerste Nebenwirkungen

Unbestritten zählen Diclofenac und weitere nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR oder englisch NSAID) heute zu den effektivsten Schmerzmitteln, konnte Geißlinger belegen, aber auch zu denjenigen mit den schwerstwiegenden Nebenwirkungen.

Allein in den USA werden jährlich 13 Mio. Patienten wegen NSAID-induzierten Gastropathien hospitalisiert, 16 000 Menschen sterben daran. In Deutschland rechnet man mit 2000 durch NSAR verursachten Todesfällen im Jahr.

"Gutes" versus "böses" Enzym

Alle Antiphlogistika wirken über eine Hemmung der Cyclooxygenase(n), die u. a. die Entstehung der Prostaglandine und der wichtigsten Schmerz- und Entzündungsmediatoren regulieren. Vor ca. 10 Jahren wurden sie als zwei Isoenzyme, COX-1 und COX-2, mit unterschiedlicher Wirkungsweise differenziert.

Als konstitutives Enzym kommt COX-1 in fast allen Zellen vor und erfüllt durch die Produktion notwendiger Prostaglandine "housekeeping"- und Homöostase-Funktionen in Geweben und Organen. Es reguliert u.a. die Nierendurchblutung, Thrombozytenaggregation und den Schutz der Magenwand (bei Hemmung folglich Gefahr der Bildung von Ulzera).

COX-2 hingegen wird auf Entzündungsreize hin erst induziert und löst eine überschießende Prostaglandinproduktion mit der Folge von Schmerz, Fieber und Entzündung aus. Die Entwicklung selektiver COX-2-Inhibitoren als neue pharmakologische Wirkstoffklasse – zur Hemmung des "bösen" Isoenzyms COX-2 – ließ auf bessere Verträglichkeit bei gleicher Wirksamkeit gegenüber konventionellen NSAR hoffen.

Erfolgreichste Neueinführung aller Zeiten

Zumindest wirtschaftlich soll die Rechnung aufgegangen sein, berichtete Geißlinger. Celecoxib als Prototyp der COX-2-Hemmer zählt neben Viagra heute zu den erfolgreichsten Neueinführungen. Auch die klinischen Studien bestätigten den Riesenfortschritt: Celecoxib hemmte nicht die Thrombozytenaggregation (verglichen mit Naproxen und Plazebo) und zeigte sich in der Ulkusprävalenz signifikant besser (und fast nicht vom Plazebo unterscheidbar) als Diclofenac oder Acetylsalicylsäure.

Erst langfristige Endpunktstudien (CLASS und VIGOR) nach der US-Zulassung relativierten die ersten Ergebnisse. Gastrointestinale Komplikationen werden mit COX-2-Hemmern nur zu etwa 50% reduziert, bei Patienten, die dazu auch niedrig dosierte Acetylsalicylsäure zur Herzinfarktprophylaxe nehmen, war kein Vorteil mehr zu erkennen. Bei der Einnahme von Rofecoxib wurde eine Zunahme kardiovaskulärer Ereignisse registriert, während sich Celecoxib und Ibuprofen diesbezüglich nicht unterschieden.

COX-Hypothese neu überdacht

Inzwischen hat man die ursprüngliche COX-Hypothese neu überdacht, berichtete Geißlinger. Die Vereinfachung vom "guten" oder "bösen" Enzym greift nicht mehr. Durch Experimente mit COX-1-Knock-out-Mäusen und COX-2-Knock-out-Mäusen wurde erkannt, dass beide Isoenzyme an der Entstehung von NSAR-induzierten Ulzerationen beteiligt sind.

Nach neueren Erkenntnissen wird auch COX-2 in vielen Organen, so im Rückenmark, Uterus, Gehirn und in den Nieren, konstitutiv exprimiert. Es reguliert physiologische Adaptationsvorgänge, z. B. bei Stressreaktionen, aber auch die Reninproduktion, Embryoimplantation, Knochenrückbildung oder die Wundheilung, speziell der Magenschleimhaut. So finden auch später erst entdeckte Nebenwirkungen bei COX-2-Hemmung ihre Erklärung.

Noch nicht ganz abgeklärt ist ihr Einfluss auf das ZNS und bei Bronchospasmen. Aber Asthmapatienten dürfen hoffen, da bei selektiver COX-2-Hemmung keine erhöhte Asthma auslösende Leukotrienproduktion beobachtet wird (wie bei unselektiven NSAR).

Vielversprechend in der Tumortherapie

Auch Tumorzellen produzieren COX-2 und beeinflussen dadurch Apoptose und Proliferation. Man erwartet für die COX-2-Hemmer zukünftige Indikationen in der (adjuvanten) Tumortherapie. Celecoxib wird dementsprechend schon an vielen Tumorarten geprüft und ist in den USA bei Polyposis coli – Darmpolypen gelten als Kolon-Präkanzerose – bereits zugelassen (2 x 400 mg/d).

Kosten und Nutzen abwägen

Der Referent fand keine Berechtigung für ein blindes Überlaufen zu den COX-2-Hemmern. Wo sie nicht direkt indiziert sind, wie bei vielen älteren Patienten, sollte der erhebliche Kostenunterschied zu herkömmlichen NSAR bei gleicher Wirksamkeit bedacht werden. Zusammenfassend meinte er:

  • Weiterhin unübertroffen sind die herkömmlichen NSAR bei akuten Schmerzen.
  • Etwa gleichwertig sind beide Stoffklassen bei der Behandlung von Arthrosen und Rheumathoider Arthritis.
  • Für Migräne und Gicht ist die Wirksamkeit von COX-2-Hemmern noch nicht eindeutig geklärt.
  • Nach wie vor sind COX-2-Hemmer indiziert in präoperativen Phasen (keine Thrombozytenaggregation) und bei langfristiger Ulkusanamnese, jedoch kontraindiziert bei schon bestehendem Magengeschwür. Hier würde eine COX-2-Hemmung die Heilung eher erschweren.

In Neuentwicklungen mit angepriesener höherer COX-2-Selektivität sieht Geißlinger nicht unbedingt einen Fortschritt, jedoch in den neuen "sauren" COX-2-Hemmern, die als lösliche und parenteral einsetzbare Zubereitungen mit neuer Kinetik und Pharmakodynamik neue Anwendungsmöglichkeiten, z. B. nach Operationen, eröffnen.

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