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Kommt der Versandhandel – oder kommt er nicht? Wird der Europäische Gerichtshof das in Deutschland und fast allen anderen EU-Ländern geltende Verbot, apothekenpflichtige Arzneimittel via Versand an den Mann und die Frau zu bringen, für unzulässig erklären – und so einem europaweiten Arzneimittelversandhandel Tür und Tor öffnen?

Zur Abschätzung dieser Fragen lohnt, noch einmal einen genaueren Blick in den schon im März vorgelegten Schlussantrag der Generalanwältin Christine Stix-Hackl zu werfen. In 261 Punkten setzt sie sich – auch vor dem Hintergrund der einschlägigen bisherigen Urteile des EU-Gerichtshofes – detailliert mit der Rechtslage auseinander. Und sie beleuchtet die Stellungnahmen der Prozessbeteiligten (Deutscher Apothekerverband, DocMorris) ebenso wie die Statements der EU-Kommission und der Regierungen Deutschlands, Frankreichs, Österreichs und Irlands. Unterhaltsam ist's nicht. Aber erhellend durchaus.

Schlussanträge der Generalanwälte vor dem Europäischen Gerichtshof sind zweifellos wichtige Wegmarken. Meist folgt das Gericht in seinen Entscheidungen der Sichtweise des Generalanwalts – eine Institution, die der Europäische Gerichtshof aus dem französischen Rechtssystem entlehnt hat. In einem Fünftel der Fälle hat der Gerichtshof jedoch anders entschieden, als im Gutachten des Generalanwaltes vorgesehen.

Im vorliegenden Fall könnte eine Rolle spielen, dass die Generalanwältin dem Gericht empfiehlt, von den Grundzügen seiner bisherigen Entscheidungen in einschlägigen Fällen abzurücken. Man könnte spekulieren, dass dies die Wahrscheinlichkeit eher erhöht, dass das Gericht seiner Generalanwältin in diesem Fall nicht folgt.

Die Generalanwältin kommt zu dem Schluss, das deutsche Versandhandelsverbot sei zwar gerechtfertigt, sofern es sich auf in Deutschland nicht zugelassene Arzneimittel beziehe; für in Deutschland zugelassene Arzneimittel sei es jedoch unverhältnismäßig (DocMorris vertreibt Arzneimittel mit und ohne deutsche Zulassung). Die deutschen Werbeverbote für den Bezug auf dem Versandweg seien zulässig, sofern sie sich einerseits auf rezeptpflichtige und andererseits auf in Deutschland nicht zugelassene Arzneimittel beziehen; sofern es um in Deutschland zugelassene und nicht rezeptpflichtige Arzneimittel gehe, sei das Werbeverbot jedoch unverhältnismäßig.

Der Internetauftritt von DocMorris sei als "Öffentlichkeitswerbung" anzusehen, da er Angaben über Arzneimittel und Bestellformulare enthalte. Er sei nicht als bloßer "Verkaufskatalog" oder "Preisliste" privilegiert, sei also als verbotene Werbung für den Versandhandel anzusehen – auch wenn dies zur Folge habe, dass grenzüberschreitende, internetgestützte Arzneimittelbestellungen inklusive der grenzüberschreitenden Auslieferung dadurch erheblich erschwert würden. Die Zulässigkeit des Versandhandelsverbotes müsse unabhängig von der Zulässigkeit des Werbeverbotes beurteilt werden.

Vor dem Hintergrund der bisherigen Rechtsprechung des EuGH – so die Generalanwältin – sei das deutsche Versandhandelsverbot wohl als – zulässige – Verkaufsmodalität zu werten; es würde sich demnach (nach der so genannten "Keck-Formel") um eine Reglementierung handeln, die für inländische und ausländische Anbieter gleichermaßen gelte – und deshalb zulässig sei. Die vom EG-Vertrag geforderte Warenverkehrsfreiheit wäre demnach nicht tangiert.

Die Generalanwältin plädiert jedoch für eine Weiterentwicklung der bisherigen Rechtsprechung des EuGH. Der "entscheidende Aspekt" sei die "Wirkung auf den Marktzugang" (Nr. 74 ff.). Zwar betreffe das deutsche Versandhandelsverbot in- und ausländische Apotheken "formal gleich".

Ausländische Apotheken hätten aber dadurch einen "Nachteil", dass "sie im Unterschied zu deutschen Apotheken stärker auf die verbotene Vertriebsform angewiesen sind". Dies werde durch die Tatsache demonstriert, dass es deutschen Kunden schwerer fallen dürfte, persönlich bei der ausländischen Apotheke vorbei zu kommen als bei ihren heimischen Apotheken".

Dieses, nach Einschätzung der Generalanwältin "entscheidende" Argument, ist allerdings reichlich skurril. Es ist überhaupt nicht schlüssig. Für die Aachenerin Ulla Schmidt ist es sicher leichter, bei DocMorris "vorbei zu kommen", als bei jeder Apotheke in Köln, Kiel oder Konstanz. Die ausländische Apotheke wird in keiner Weise im Vergleich zu inländischen Apotheken diskriminiert.

Die Apotheken in Köln, Kiel und Konstanz wären, um Aachener Patienten zu erreichen, ebenfalls auf Versandhandel angewiesen. Umgekehrt: DocMorris hätte bezogen auf Aachener den Vorteil der Nähe. Für die "Erschließung" des Aachener "Marktes" ist eine Kerkrader Apotheke nicht auf Versand angewiesen – viel weniger jedenfalls als jede Apotheke in Köln, Kiel oder Konstanz.

Irgendwie scheint die Generalanwältin gewittert zu haben, dass ihre Argumentation auf schwachen Füßen steht. Sie versucht, den Kopf mit einer apodiktischen Aussage aus der Schlinge zu ziehen (Nr. 88), die sie ohne Begründung im Raum stehen lässt: "Dass auch der Zugang deutscher Präsenzapotheken zum deutschen Endverbrauchermarkt insofern beschränkt ist, als diese nur über ein begrenztes Einzugsgebiet verfügen, spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle".

Wie bitte? Es spielt natürlich sehr wohl eine Rolle, eine große, eine "entscheidende" sogar: auch in Bezug auf das "entscheidende" Kriterium des Marktzugangs gibt es durch das deutsche Versandhandelsverbot keine Ungleichbehandlung, keine Diskriminierung ausländischer Apotheken, die das Verbot als europarechtlich unzulässig erscheinen ließe.

Klaus G. Brauer

Er kommt, er kommt nicht, er kommt ...

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