Wirtschaft

Deflation – die Angst vor sinkeden Preisen

Die Apotheken leiden unter der Gesundheitspolitik der deutschen Bundesregierung. Doch die Apotheken sind keineswegs die einzige Branche, die derzeit wirtschaftliche Probleme hat. Die eigenen Sorgen verstellen möglicherweise den Blick für das ganze Ausmaß der Schwierigkeiten. Immer öfter macht das Schlagwort Deflation die Runde. Mitte Mai warnte sogar der Internationale Währungsfonds IWF, dass Deutschland in eine Deflation rutschen könnte.

Was würde das bedeuten? Was wäre so schlimm, wenn die Preise fallen? Haben wir nicht alle bei der Einführung des (T-)Euro eine zunehmende Inflation beklagt? Sollten wir uns nicht jetzt über moderate oder gar fallende Preise freuen? – So einfach ist das leider nicht. Denn eine Deflation ist für eine Volkswirtschaft eines der schlimmsten denkbaren Szenarien.

Sinkende Preise

Wenn die Preise langfristig sinken, schieben die Verbraucher ihren Konsum auf – in der Hoffnung, demnächst noch billiger einkaufen zu können. Dies ist schlecht für die Unternehmen. Um dennoch den Verkauf anzukurbeln, senken sie die Preise. Dies ist nicht bei allen Produkten möglich, aber Sonderangebote werden stärker hervorgehoben.

Genau das erleben wir derzeit in Deutschland immer mehr. Es wird keineswegs alles billiger. Einige Branchen haben offenbar den Euro genutzt, um abzukassieren oder vielleicht auch nur längst überfällige Preiserhöhungen möglichst unauffällig am Markt durchzusetzen. Jeder kennt Beispiele dafür. Doch an anderer Stelle spielen die Sonderangebote eine noch größere Rolle als früher. Was ursprünglich nur als Kundenmagnet gedacht war, um Leute anzulocken, wird zunehmend zum normalen Geschäft. Dies betrifft beispielsweise Lebensmittel, Textilien oder Elektronikartikel.

Vielleicht ist es auch schon in manchen Apotheken zu spüren, in denen auf Dumpingangebote im Randsortiment gesetzt wurde. Die Lockartikel lassen sich verkaufen, aber das erhöht noch lange nicht die anderen Umsätze. Den Gewinnen hilft das nicht. Den Unternehmen geht es schlecht, auch wenn die Umsätze nicht dramatisch einbrechen. In Deutschland ist diese Gefahr besonders groß, weil die Margen im Einzelhandel hier traditionell schon besonders eng sind. Deutschland ist schon lange ein Land der Schnäppchenjäger.

Sinkende Gewinne

Als Ergebnis der sinkenden Margen geht es den Produktions- und Handelsunternehmen schlecht, sie haben weder finanzielle Mittel noch Interesse für Investitionen. Darunter leiden wieder andere Unternehmen. In der Folge geht das Wachstum zurück. Die Arbeitslosigkeit nimmt zu. Es entsteht eine Abwärtsspirale.

Sinkende Beschäftigung

Um bei sinkenden Preise bestehen zu können, müssen die Unternehmen Kosten sparen. Dies geht vergleichsweise gut beim Service, auf den die Schnäppchenjäger gerne verzichten. So lassen sich insbesondere gering qualifizierte Arbeitskräfte einsparen. Die Arbeitslosigkeit wird weiter verstärkt. Auch dies lässt sich derzeit in Deutschland feststellen, inzwischen sogar in den Apotheken.

Die verbreitete Arbeitslosigkeit belastet die Konsumenten. Viel stärker als die Aussicht auf fallende Preise in der Zukunft wiegt bald die Sorge um die wirtschaftliche Entwicklung und den eigenen Arbeitsplatz. Es wird weniger konsumiert und mehr gespart, um für eine weitere Verschlechterung der Situation vorzusorgen. Das ist individuell betrachtet vernünftig, führt aber auf volkswirtschaftlicher Ebene die befürchteten Probleme gerade herbei. Denn der geringere Konsum gibt der Abwärtsspirale den entscheidenden Antrieb nach unten.

Sinkende Zinsen

Der fehlende Preisdruck ermöglicht den Notenbanken, die Leitzinsen deutlich zu senken, denn es gibt keine Inflation, die zu bekämpfen wäre. Die zusätzliche Liquidität durch die geringen Zinsen ist auch durchaus sinnvoll, um der Wirtschaft Impulse zu geben. Doch in der Deflation bleibt sie zumeist wirkungslos. Denn die Unternehmen fragen keine Kredite nach, weil sie nicht investieren wollen. Die Geschäftsbanken bieten auch kaum Kredite an. Denn bei niedrigen Zinsen lässt sich nur wenig daran verdienen. Dagegen wiegt das Ausfallrisiko in einer schlechten Wirtschaftslage viel schwerer. Dann verdienen die Banken lieber nichts als das Geld fragwürdigen Schuldern zu geben, die es möglicherweise später nicht zurückzahlen können.

Langfristig können die Banken aber ohne Geschäft nicht leben. Dann laufen ihnen auch die Sparer weg. In der Deflation wollen die Bürger sparen, aber die Banken haben keine attraktiven Zinsen zu bieten. Dann können sie ihr Geld auch zu Hause behalten. Dort ist es vielleicht sogar sicherer als bei einer Bank, die nichts mehr zu tun hat und vielleicht in Schwierigkeiten gerät – so jedenfalls laufen die typischen Gedanken ab, die immer tiefer in die Abwärtsspirale führen. Schließlich kommt zur Deflation die Rezession. Das heißt, die Wirtschaft schrumpft, die Wirtschaftsleistung geht zurück.

In Japan längst Realität

Dies alles ist keine graue Theorie aus dem volkswirtschaftlichen Lehrbuch. Es ist seit etlichen Jahren traurige Realität in der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt, in Japan. Die Investitionstätigkeit ist dort weitgehend zum Erliegen gekommen. Die Wirtschaft stagniert. Die vollkommen irrationalen Immobilienpreise der achtziger Jahre sind deutlich zurückgegangen. So haben sich dort die vermeintlich soliden Immobilien als besonders gefährliche Spekulationsobjekte erwiesen, eben gerade weil sie immobil sind.

Aus sich heraus bietet die japanische Volkswirtschaft schon seit Jahren keine Impulse für einen Ausweg aus der Abwärtsspirale mehr. Die Leitzinsen der japanischen Notenbank liegen kaum über Null. Ein Spielraum, um durch eine Zinssenkung doch noch einen Wachstumsimpuls zu geben, besteht dort nicht mehr.

Probleme durch den Euro

Letzteres ist in Europa anders. Wegen der europäischen Einheitswährung gilt für alle Euro-Länder ein Zinssatz und ein gemeinsamer Außenwert der Währung. Damit steht die Europäische Zentralbank vor einem Spagat. Einige Länder Europas, insbesondere Irland, entwickeln sich durch die europäische Integration großartig. Dort droht Inflation. Die Notenbank ist verpflichtet, dies zu bekämpfen. Daher muss sie die Zinsen relativ hoch halten, jedenfalls viel höher als es für Deutschland angemessen wäre.

Der im internationalen Vergleich noch immer relativ hohe Euro-Zins lockt internationales Kapital und treibt damit den Euro-Kurs in die Höhe. Dies hatten die Europäer sich lange Zeit gewünscht, nun kommt es im denkbar schlechtesten Moment. Immerhin senkt der starke Euro die Inflationstendenzen in Ländern wie Irland und verschafft der europäischen Zentralbank damit einen Spielraum für Zinssenkungen. Doch für die exportabhängige deutsche Wirtschaft ist der starke Euro ein massiver Wettbewerbsnachteil. So bleibt die Hoffnung, dass vom Handel mit den anderen Euro-Ländern genug Impulse ausgehen, um das Blatt in Deutschland zu wenden.

Deutschland vor der Entscheidung

Noch besteht in Deutschland keine Deflation. Der Export hat bisher auch eine Rezession halbwegs verhindert. Nach der Warnung des Internationalen Währungsfonds haben Politiker und der Bundesbankpräsident Ernst Welteke betont, weder in Deutschland noch sonst im Euro-Raum bestünden deflationäre Gefahren. Doch befindet sich die Volkswirtschaft im Moment offenbar am Scheideweg zwischen einer Spirale nach unten oder nach oben.

Hier wird ein massiver Nachteil der europäischen Einheitswährung deutlich. Zins und Wechselkurs sind die klassischen Instrumente um Ungleichgewichte zwischen Volkswirtschaften auszugleichen. Wenn dieser Ausgleich nicht mehr möglich ist, drohen kurzfristige Verschiebungen zu langfristigen Spannungen im internationalen Wirtschaftsgefüge zu werden. Dies wird wohl nur abzuwenden sein, wenn der wirtschaftliche Ausgleich zwischen unterschiedlichen Entwicklungen innerhalb der Euro-Zone auf andere Weise gut und schnell gelingt. Solange die politischen Bedingungen in den Ländern aber weiterhin so unterschiedlich bleiben, ist dies ein kühner Wunsch. Ein Paradebeispiel ist die Gesundheitspolitik.

Einerseits soll sie Sache der Mitgliedstaaten bleiben, andererseits werden den Apothekern und Arzneimittelherstellern in Deutschland immer wieder die niedrigeren Arzneimittelpreise anderer Länder vorgehalten, die dort mit Zwangsmaßnahmen oder in harten Preisverhandlungen durchgesetzt werden. Die Betrachtungen zur Deflation und Rezession zeigen: Nicht nur die Apotheken haben Probleme. Dass es auch anderen schlecht geht, ist in diesem Fall kein Trost. Es macht die Lage zunächst noch schlimmer, denn der Kampf um die noch vorhandenen Mittel wird dadurch umso härter.

Es macht aber auch Hoffnung. Denn die Wirtschaft verläuft erfahrungsgemäß immer zyklisch. Auch wenn die Erfahrungen aus Japan wenig Mut machen, würden Deflation und Rezession irgendwann enden. Dann ist der Nachholbedarf umso größer und es besteht die Hoffnung, dass sich viele Probleme wie von selbst lösen. Denn ebenso wie eine Abwärtsspirale kann es eine Aufwärtsspirale geben.

Die Apotheken sind keineswegs die einzige Branche, die derzeit wirtschaftliche Probleme hat. Die eigenen Sorgen verstellen möglicherweise den Blick für das ganze Ausmaß der Schwierigkeiten. Immer öfter macht das Schlagwort Deflation die Runde. Mitte Mai warnte sogar der Internationale Währungsfonds IWF, dass Deutschland in eine Deflation rutschen könnte. Was würde das bedeuten? Was wäre so schlimm, wenn die Preise fallen? Sollten wir uns jetzt nicht über moderate oder gar fallende Preise freuen? So einfach ist das leider nicht. Denn eine Deflation ist für eine Volkswirtschaft eines der schlimmsten denkbaren Szenarien.

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