Feuilleton

Zum Tag des Schlafes: Sonnenuhr als Monduhr

Zu den Künsten, denen sich die Mönche des Mittelalters und der frühen Neuzeit besonders widmeten, zählt die Chronometrie. Kein Wunder, ist doch der zeitliche Tagesablauf in den Klöstern seit jeher streng geregelt. Da die Mönche auch nachts längere Zeit wach sind, kam ihnen der Gedanke, die Sonnenuhr auch als Monduhr zu verwenden.

Wachen und Schlafen

Ein Mensch kann bis zu einem gewissen Grade Herr über sich selbst sein, aber viele Dinge, die mit seinem Körper zusammenhängen, sind seinem Willen entzogen, teils weil sie in seiner Veranlagung begründet sind, teils weil sie von außen auf ihn einwirken. Diese Dinge gehören quasi zur Natur des Menschen oder zur Natur seiner Umwelt.

Andere Dinge kann der Mensch durch sein Verhalten steuern – welche Rolle hier der "freie Wille" spielt, ist ein altes philosophisches und zugleich ein aktuelles neurologisches Problem, das hier nicht erörtert werden soll. Diese steuerbaren Dinge nannte man seit der Spätantike die "unnatürlichen Dinge" ("res non naturales").

Ein "unnatürliches Ding" ist beispielsweise, ob der Mensch wach ist oder schläft. Zwar kann es vorkommen, dass einen Menschen wider Willen der Schlaf übermannt oder dass er sich zur Ruhe legt und trotzdem keinen Schlaf findet. Wenn er sich jedoch das "natürliche" Schlafpensum gönnt, das sein Körper von ihm fordert, und wenn er gesund ist, kann der Mensch seine Wach- und Schlafzeiten im Wesentlichen selbst bestimmen.

Ob das selbstbestimmte Schlafverhalten dem Menschen gut tut oder nicht, ist eine andere Frage. Die Erfahrungen sprechen dafür, dass ein kontinuierlich gleichmäßiger Tagesablauf zu seiner Gesundheit und zu seinem Wohlbefinden beitragen.

Im Rhythmus der Zeit

"Bete und arbeite", dieser Spruch fasst das Wesentliche der klösterlichen Lebensweise zusammen. Gotteslob und Arbeit sind freilich ohne Erholung nicht denkbar. Und so hatte der Heilige Benedikt vor nahezu 1500 Jahren in seiner Ordensregel auch bestimmt, dass die Mönche zu bestimmten Zeiten ruhen oder schlafen sollen: Eine exakte Zeitmessung kannte Benedikt noch nicht, aber im Tagesablauf nach seiner Regel summieren sich die Schlafzeiten auf etwa sieben Stunden.

Das Schlafpensum nehmen die Mönche nicht auf einmal, sondern stückweise. Sie gehen 18.45 Uhr zu Bett und unterbrechen schon kurz nach Mitternacht ihren Schlaf, um sich zum Nachtgebet (Vigilien) um 0.30 Uhr zu versammeln. Nach dem zweiten Zubettgehen um 2.30 Uhr folgt um 4.00 Uhr das Frühgebet (Matutin). Um 4.30 Uhr legen sie sich nochmals kurz nieder, um dann um 5.45 Uhr den Tag zu beginnen. Nach der Mittagsmahlzeit gibt es von 12.45 bis 14.00 Uhr eine Ruhepause, in der die Mönche, wenn sie es wünschen, ein Schläfchen halten dürfen.

Es versteht sich von selbst, dass die Klöster sich mechanische Uhren beschafften, nachdem diese erfunden und erhältlich waren. Sonnenuhren, die bei bedecktem Himmel nicht funktionieren, dürften seither auch im Kloster weniger einen praktischen als einen künstlerischen Wert gehabt haben.

Horologium lunare

Zu einer Zeit, als es zur Allgemeinbildung gehörte, am Stand der Gestirne die nächtliche Uhrzeit zu bestimmen, lag der Gedanke nicht fern, die Sonnenuhr auch als Monduhr ("horologium lunare") zu benutzen. Für die Mönche, die ihren Schlaf nachts dreimal unterbrechen, muss dies einen besonderen Reiz gehabt haben.

Um bei nächtlichem Mondschein die Uhrzeit ablesen zu können, bedurfte es nur einer zusätzlichen Berechnung mit Hilfe einer kleinen Tabelle, die mancher Mönch auswendig gewusst haben dürfte. Im Zisterzienserkloster Heiligen Kreuz bei Wien hat man eine solche Tabelle direkt neben die Sonnenuhr gemalt.

Wenn der Mond genau bei Sonnenuntergang aufgeht, steht er in Opposition oder in einem Winkel von 180 Grad zur Sonne und erscheint als Vollmond. Im Laufe dieser Nacht steht er jeweils in einem zeitlichen Abstand von zwölf Stunden in denselben Himmelsrichtungen, wo die Sonne am Tage gestanden hat (nur die Höhe über dem Horizont ist verschieden), und zeigt dem gemäß auf dem gemalten Zifferblatt die gleichen Uhrzeiten an.

Geht man davon aus, dass eine Mondperiode (ein "Monat") 30 Tage dauert (tatsächlich sind es nur 29 1/2 Tage), dann geht der Mond jeden folgenden Tag 48 Minuten später auf (30 x 48 min = 1440 min = 24 h). Das bedeutet für das Ablesen der Uhrzeit: In der dem Vollmond vorausgehenden bzw. folgenden Nacht sind von der angezeigten Zeit 48 Minuten zu subtrahieren bzw. zu ihr zu addieren; bei zwei Nächten jeweils zweimal 48 Minuten, bei drei Nächten dreimal usw.

Man kann auch auf Subtraktionen verzichten, wenn man mit größeren Zahl umgehen kann. Auch die Tabelle von Heiligen Kreuz addiert nur, z. B.: + 11.12 Stunden statt – 0.48 Stunden.

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