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- DAZ 26/2003
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Die Seite 3
90 Prozent der heute bestehenden Apotheken werden mittel- und langfristig schließen müssen. Das ist die bittere Prognose zweier Verfassungsrechtler, die den Entwurf zum Gesundheitssystem-Modernisierungsgesetz (GMG) intensiv gelesen, analysiert und geprüft haben. Einen anderen Schluss lassen die von Rot-Grün geplanten Strukturänderungen im Apothekenbereich nicht zu.
Wir haben das von den Juristen Dettling und Lenz verfasste Rechtsgutachten in unserer DAZ-Montagsausgabe vom 23. Juni kurz vorgestellt und die zehn wichtigsten Thesen veröffentlicht. In einem Interview, das wir in dieser Ausgabe auf Seite 51 abdrucken, äußern sie ihre Einschätzung zu den Folgen eines solchen Gesetzes und die Chancen, es zu verhindern.
Ein zentraler Punkt ihres Gutachtens geht davon aus, dass die Zulassung von Versandapotheken in Verbindung mit deren Privileg, mit Krankenkassen Preise außerhalb der Arzneimittelpreisverordnung auszuhandeln, den Tod vieler "Präsenz-Apotheken" bedeuten wird. Die Krankenkassen werden – schon aus Verwaltungsgründen – nur mit einigen wenigen Versandapotheken solche Verträge zur Versorgung ihrer Versicherten abschließen. Für die Versandapotheken bedeutet dies, dass sie entsprechend große Arzneimittelmengen umsetzen und damit äußerst rational und kostengünstig Arzneimittel einkaufen können.
Die Krankenkassen werden ihre Versicherten zu den Versandapotheken umsteuern. Sie machen den Versicherten die Nachteile von Versandapotheken wie das umständliche Wegschicken von Rezepten oder die verhältnismäßig lange Wartezeit auf die Arzneimittel dadurch schmackhaft, dass dort geringere Zuzahlungen fällig werden, möglicherweise auch ein geringerer monatlicher Beitrag zu zahlen ist.
Präsenz-Apotheken dürfen da nicht mitmachen, sie dürfen, selbst wenn sie es wollten, keine niedrigeren Preise verlangen, sondern nur die der Arzneimittelpreisverordnung berechnen. Das ist eindeutig wettbewerbsverzerrend. Das ließe sich auf Dauer nicht halten. Bereits mit der Herausnahme des OTC-Bereichs aus der Preisbindung wurde der einheitliche Abgabepreis aufgeweicht. Würde zudem ein Apotheker dagegen klagen, dass Versandapotheken Sonderpreise berechnen dürfen, könnte das Bundesverfassungsgericht, so vermuten die Verfassungsrechtler, die Preisbindung generell nicht mehr halten.
Ein anderer wichtiger Punkt des Gutachtens: die Kürzung der Preisspannen ist ohne vorherigen Abbau aller versicherungsfremden Leistungen der GKV verfassungswidrig. Die Juristen gehen davon aus, dass der Gesetzgeber erst seine eigenen Fehler beseitigen müsste, nämlich die Belastung der Kassen mit Leistungen, die nicht in deren Zuständigkeit fallen. Gäbe es keine versicherungsfremden Leistungen, gäbe es kein Finanzierungsproblem für die gesetzliche Krankenversicherung. Schließlich greifen die Verfassungsrechtler auch die geplante Zulassung von Apothekenketten an. Denn: wenn die Kette kommt, kommt die Kommerzialisierung und das Gewinnstreben, möglichst viel Umsatz mit Arzneimitteln zu machen. Das fördert den Mehr- und Fehlgebrauch und gefährdet letztendlich die Gesundheit der Bevölkerung.
Mit ihrem Gutachten haben Dettling und Lenz versucht, die Konsequenzen darzustellen, die ein GMG in der jetzigen Form für den Arzneimittelvertrieb hätte. Der Deutsche Apotheker Verlag hat die Analyse des GMG-Entwurfs als Buch veröffentlicht. Das Buch wurde allen Bundestagsabgeordneten und allen wichtigen Vertretern im Bundesrat zugestellt – es kann nun keiner mehr sagen, er hätte nicht gewusst, worüber er demnächst entscheiden und abstimmen muss. Jeder kann es gewusst haben...
Noch besteht gute Hoffnung, dass der Gesetzgeber verantwortungsvoll handelt. So kommt der Entwurf der Unionsfraktion zu dem Schluss, dass Mehrbesitz zwangsläufig zum Fremdbesitz führt und dies in Verbindung mit der Einführung des Versandhandels die flächendeckende Versorgung mit Arzneimitteln gefährdet. Die unionsregierten Länder mit ihrer Macht im Bundesrat könnten so das Schlimmste verhindern helfen.
Wie negativ sich bereits das Beitragssatzsicherungsgesetz und Diskussionen zum GMG auf die Apothekenlandschaft auswirken, zeigen Erfahrungen mit Banken, die Apothekerinnen und Apotheker derzeit machen müssen. In welche kommerzielle Richtung Apotheken da gedrängt werden, zeigt folgendes Beispiel. Bei Darlehenszusagen für einen Apothekenkauf verlangt die standeseigene Deutsche Apotheker- und Ärztebank die Einschaltung einer von der Bank bestimmten Agentur, die "zur Verbesserung der Rentabilität der Apotheke" beitragen soll.
Im Klartext: ohne Unternehmensberater kein Geld. Die Apotheke soll auf Umsatz und Gewinn getrimmt werden. Die Bank glaubt nicht mehr an die eigene Leistung des freiberuflichen Apothekers, der Apotheker wird in seinen Entscheidungen abhängig von Beratungsagenturen und Banken. Auch das geht auf das Konto von Rot-Grün.
Peter Ditzel
Jeder kann es gewusst haben ...
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