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Wirtschaftstage des LAV Sachsen-Anhalt: Der Wille zum Konsens ist da, der Weg bl
Am zweiten Tag der Veranstaltung in Halle informierten sich etwa 120 Teilnehmer in einem Vortrag von ABDA-Hauptgeschäftsführer Prof. Dr. Rainer Braun über den aktuellen Stand des Gesetzgebungsverfahrens zum GMG und die Auffassung der ABDA. In einer Podiumsdiskussion mit Bundestagsabgeordneten wurden sowohl die Unterschiede in den Auffassungen der Parteien als auch der grundsätzliche Wille zum Konsens deutlich.
GMG – unwiderrufliche Zerstörung des Apothekenwesens
Braun stellte das GMG in der Fassung vor, die am 18. Juni in erster Lesung beschlossen wurde. Das Gesetz ziele angeblich auf die Verbesserung der Qualität der Gesundheitsleistungen und solle Anreize für wirtschaftliches Verhalten geben, doch erreiche es nach Ansicht der ABDA keines dieser Ziele. Stattdessen zerstöre es unwiderruflich das bestehende Apothekenwesen und die flächendeckende Arzneimittelversorgung.
Mit der Zulassung von Mehrbesitz werde das Leitbild des persönlich leitenden und haftenden Apothekers als tragende Säule des Apothekenwesens aufgegeben. An seine Stelle trete ein arbeitsrechtlich abhängiger Filialleiter. Als Folge dieser Entwicklung könne auch der Fremdbesitz nicht mehr rechtswirksam unterbunden werden. In Verbindung mit der Niederlassungsfreiheit würde der Firmenwert der Apotheken entwertet, was einer Enteignung gleichkomme. Dagegen gebe es keinen empirischen Anhaltspunkt, dass ein System mit Fremd- und Mehrbesitz die Versorgung billiger leisten könne.
Viele Änderungen – kein Nutzen
Auch die Öffnung der Krankenhausapotheken für die ambulante Versorgung werde als massive Wettbewerbsverzerrung abgelehnt. Sie führe ebenfalls zu Fremd- und Mehrbesitz und verspreche keine Einsparungen. Denn für die Industrie entfalle dann der Anreiz, verbilligte Krankenhausware zu liefern.
Auch der Versandhandel würde den Vertrieb nicht verbilligen. Anders lautende Gutachten beruhten auf hochpreisigen Teilmärkten und Margen von 1999. Dagegen werde die Arzneimittelsicherheit gefährdet. So hätten diverse Testkäufe angeblich gezeigt, dass Versandapotheken fehlerhaft ausgewählte Präparate mit geringfügig abweichenden Bezeichnungen, aber teilweise deutlich abweichenden Inhalten liefern und solche Bestellungen nicht anhand der schriftlichen Verordnungen korrigieren würden. Als Alternative zum grenzübergreifenden Versandhandel schlägt die ABDA das Home-Service-Konzept der Apotheken vor. Dies biete die gewünschten Bequemlichkeitsvorteile, ohne das System zu zerstören.
Preisbildung reformieren, aber fair
Für die Preisbildung schlägt die ABDA das Kombimodell mit einem preisunabhängigen Festzuschlag von 8,55 Euro und einer dreiprozentigen preisabhängigen Komponente vor. Der bisherige GMG-Entwurf mit einer fixen Komponente von nur 7,30 Euro sei dagegen nicht akzeptabel. Die Dynamisierung eines solchen Festzuschlages müsse – im Unterschied zur bisherigen GMG-Fassung – zuverlässig geregelt werden. Anderenfalls würden die steigenden Kosten kurzfristig in den Ruin führen. Außerdem dürfe eine solche neue Preisbildung nicht durch zahlreiche Ausnahmen ausgehöhlt werden. Wenn ein heilberufliches Honorar vom Gesetzgeber festgelegt werde, könne dies nicht an anderer Stelle zum Gegenstand von Vertragsverhandlungen erklärt werden. Zwischen Apotheken und den monopolitisch auftretenden Krankenkassen sei ohnehin ein fairer Ausgleich unmöglich.
Auch die Boni für Versicherte führten in die falsche Richtung. Wenn die Qualität der Versorgung verbessert werden solle, müssten die Patienten über den Qualitätswettbewerb, aber nicht über Dumpingangebote gelockt werden. Als Alternative biete sich das Hausapothekenmodell an, das in Niedersachsen und Schleswig-Holstein praktiziert und auch von Krankenkassen akzeptiert wird.
Die ABDA wendet sich auch dagegen, die nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimittel aus der Verordnungsfähigkeit zu entlassen. Dann würden die Ärzte auf teurere und risikoreichere verschreibungspflichtige Arzneimittel ausweichen. Die Preise der rezeptfreien Arzneimittel freizugeben, dürfte bei Signalartikeln zu einem Wettbewerb über den Preis und damit zu Mehrverbrauch führen. Insgesamt dürften die Preise aber eher steigen, denn dieser Bereich sei anerkanntermaßen in den Apotheken nicht kostendeckend. Alle diese Entwicklungen widersprächen dem Verbraucherschutz.
Als positiver Vorschlag des GMG sei die Telematik zu begrüßen. Insgesamt sieht Braun im GMG nicht den Versuch, das System bezahlbar zu machen, sondern gesellschaftliche Strukturen zu verändern. Es reihe sich in andere Angriffe auf die freien Berufe ein. Durch die Überführung in Kapitalgesellschaften werde das Gesundheitswesen für gewerkschaftliche Tätigkeiten geöffnet. Dagegen werde die Abschaffung angeblich verkrusteter Strukturen dort sehr vorsichtig angegangen, wo Gewerkschaften das Sagen hätten.
Allerdings deute sich an, dass Regierung und Opposition zu einer gemeinsamen Beratung über das GMG kommen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion habe in einem Entschließungsantrag zur Gesundheitspolitik ihr Bekenntnis zu einem freiberuflich geprägten Gesundheitssystem deutlich gemacht (siehe DAZ 25, Seite 21 f.). Damit biete sich die Hoffnung auf einen annehmbaren Kompromiss, doch werde es einen heißen Sommer und Herbst geben.
Neue Hoffnung auf Änderung des BSSichG
Wie ein Kompromiss aussehen könnte, wurde auch auf der anschließenden Podiumsdiskussion erörtert. Prof. Dr. Rainer Braun und Knut Vocke, Vorsitzender des Apothekerverbandes Sachsen-Anhalt, diskutierten mit Politikern von SPD, CDU und FDP, moderiert von Thomas Müller-Bohn, Süsel. Eckhart Lewering, SPD, MdB und Mitglied des Gesundheitsausschusses, erläuterte zunächst die neueste Entwicklung zum Beitragssatzsicherungsgesetz (BSSichG).
Er erkenne an, dass der Großhandel seine Rabattverpflichtung an die Apotheken weiterreiche, was dem Sinn und Geist des Gesetzes zuwiderlaufe. Daher werde am 24. Juni in der SPD-Fraktionssitzung über einen neuen Entschließungsantrag zu verhandeln sein, den er mit unterschrieben habe. Darin werde gefordert, die Apothekenrabatte des BSSichG zum 1. Juli außer Kraft zu setzen. Denn bis zu diesem Zeitpunkt hätten die Apotheken den gesamten für sie geplanten Sparbeitrag bereits erbracht.
Das Leitbild muss stimmen
Dr. Christoph Bergner, CDU, MdB und ehemaliger Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, kritisierte das bisherige Vorgehen der SPD beim BSSichG. Wenn Abgeordnete eine Überzeugung gewonnen hätten, müssten sie sich auch dann zu ihr bekennen, wenn dementsprechende Anträge von der politischen Gegenseite eingebracht würden. Dies sei eine wichtige Voraussetzung für künftige Verhandlungen, mit denen ein Konsens zum GMG erzielt werden solle.
Besonders schwierige Verhandlungen erwartet er bei den grundsätzlichen Einstellungen zum Gesundheitswesen. Denn die Union wolle nicht auf die Funktion von selbstständigen und eigenverantwortlichen Leistungserbringern verzichten. Außerdem sollte das Gesundheitswesen als Wachstumsmarkt verstanden werden, der nur begrenzt über Lohnnebenkosten finanziert werden könne.
Die Gesellschaft erwarte einen Konsens der Politiker, durch die Medien werde großer Druck aufgebaut. Doch sollte es bei der Konsenssuche keinen Kuhhandel geben, bei dem Leitbilder vermischt werden. Wenn das Ergebnis keinen Erfolg bringe, sollten die Wähler später erkennen können, an wem dies gelegen habe.
Nötige Regeln für das Gesundheitswesen
Als wesentliches Leitbild für Liberale hob Martin Matz, gesundheitspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion des Berliner Abgeordnetenhauses, die Freiberuflichkeit hervor. Damit das System funktioniert, müsse es Regeln geben, die auch Liberale gut fänden. Dies gelte insbesondere für das Fremd- und Mehrbesitzverbot, beim Versandhandel könne allerdings auf Dauer nicht erwartet werden, dass sich gar nichts verändere. Es sollte nicht immer nur über Einsparungen diskutiert werden, der Erhalt der freiberuflichen Strukturen sei ein weiteres Ziel. Das Sparen sei sogar als Ziel problematisch, denn es folge nur aus der Kopplung der Gesundheitsausgaben an die Lohnnebenkosten. In anderen Wirtschaftsbereichen würden Wachstum und neue Arbeitsplätze positiv gesehen. Darum sollte die Finanzierung des Gesundheitswesen von den Lohnkosten abgekoppelt werden. So könnte es aus der Mangelverwaltung geführt und zu einem Wachstumsmarkt werden.
Arzneimittel und Europa
Als Argument für die SPD-Forderung nach Arzneimittelversandhandel führte Lewering das laufende Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof und die Gesamtentwicklung in der Europäischen Union an. Braun hielt dagegen, die SPD wolle den Versandhandel unabhängig vom Ausgang des Rechtsverfahrens. Doch müsse sie dann auch für eine wirkliche Harmonisierung in Europa ohne administrierte Preisbildung in anderen Ländern eintreten. Denn in Deutschland seien nicht die Apotheken teuer, sondern die Industrieabgabepreise seien im internationalen Vergleich höher.
Nicht Revolution, sondern Reform
Daneben betonten Braun und Vocke die Möglichkeiten zu Veränderungen innerhalb des bestehenden Apothekensystems. Braun erläuterte, wie sich die Idee der Fixzuschläge seit 1988 entwickelt hat. Die jetzt vorgeschlagenen Festzuschläge sind als extreme Form der früher diskutierten "Drehung" der Arzneimittelpreisverordnung anzusehen. Das Kombimodell der ABDA werde von der Apothekerschaft insgesamt positiv eingeschätzt. Kritiker in den eigenen Reihen wären meist schnell zu überzeugen, wenn sie die Zahlen genau betrachten.
Vocke forderte einen Wettbewerb mit "gleich langen Spießen". Das Kombimodell könne nur nützlich sein, wenn es nicht durch Ausnahmen ausgehöhlt werde. Auch den gewünschten Internethandel könnten die Apotheken durch ihr Home-Service-Modell bieten. Weitere Angebote zu einer besseren Versorgung hätte der Apothekerverband Sachsen-Anhalt in seinem Diabetes-Modell-Projekt zur pharmazeutischen Betreuung erprobt. Die Apotheker könnten viel leisten, wenn man sie nur ließe.
Suche nach Konsens
Für die anstehenden Verhandlungen zum GMG sieht Lewering eine "große Chance zum Konsens". In vielen Positionen seien Regierung und Opposition nicht weit auseinander. Man müsse sich bewegen, und die SPD werde dies tun. Angesichts des enormen Drucks auf den Sozialsystemen sollten alle Parteien an einem tragfähigen Gesetz interessiert sein.
Bergner und Matz mahnten an, bei allen Änderungsvorschlägen den jeweils möglichen Sparbeitrag und das Verhältnis von Aufwand und Ersparnis zu berücksichtigen. Nach Auffassung von Bergner sollte angesichts der geringen steuerbaren Reserven im Apothekensystem im Zweifel auf Bewährtes gesetzt werden. Er erwarte eine schwierige Suche nach einem Kompromiss eher bei den brisanten Finanzierungsfragen. Doch setze sich die Erkenntnis durch, dass die paritätische Finanzierung nicht dauerhaft weiterführe.
Bei Vergütungsfragen ist nach Einschätzung von Matz stets ein Mittelweg zu erwarten. Doch werde die FDP keine Kompromisse bei der Freiberuflichkeit eingehen, die als strukturprägendes Merkmal des Gesundheitswesens erhalten bleiben müsse. Er betonte, dass die FDP über Koalitionsregierungen in den Ländern auf ein Drittel der Bundesratsstimmen Einfluss nehmen könne. Sie werde nicht zustimmen, wenn die großen Parteien einen Kompromiss aushandeln würden, der nach Auffassung der FDP in die falsche Richtung weise.
Braun sieht die Chance zu Kompromissen bei der Preisbildung und beim Versandhandel. Denn die Apotheken würden mit ihrem Home-Service-Konzept den gleichen Service wie Versandhändler, aber schneller und besser bieten. Außerdem könne mit dem Kombimodell die Kompetenz der Apotheker noch besser für die ökonomische Beratung der Ärzte genutzt werden.
Vocke forderte die Politiker auf, sich auf die Leistungsfähigkeit der Apotheker zu besinnen und das funktionierende System zu stärken, das sich weiter entwickeln könne.
Einen Bericht über die Mitgliederversammlung des LAV Sachsen-Anhalt, die ebenfalls im Rahmen der Wirtschaftstage stattfand, lesen Sie auf Seite 73.
Die Wirtschaftstage des Apothekerverbandes Sachsen-Anhalt am 20. und 21. Juni in Halle (Saale) standen ganz im Zeichen des kurz zuvor in erster Lesung verabschiedeten Gesundheitssystem-Modernisierungsgesetzes (GMG). Trotz aller Sorgen über die Gesetzesinhalte war die Veranstaltung größtenteils von Optimismus geprägt. Denn angesichts zahlreicher Signale über eine mögliche Einigung der Parteien auf einen breiten Konsens in Bundestag und Bundesrat war die Hoffnung zu verspüren, das bewährte Apothekensystem könne weiterhin erhalten bleiben. Doch auch zum BSSichG gab es Neuigkeiten.
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