Arzneimittel und Therapie

Onkologie: Alternative Methoden unter evidenz-basierten Gesichtspunkten

Eine nordamerikanische Arbeitsgruppe untersuchte die häufigsten alternativen Heilmethoden unter evidenz-basierten Gesichtspunkten und beurteilte Nutzen und Risiken des komplementären Therapieansatzes in der Onkologie. Sinnvoll erscheinen eine Reduktion des Fettkonsums, die Supplementierung von Vitamin E sowie Akupunktur, Massagen und körperliche Bewegung. Abzulehnen sind restriktive Diäten, hochdosiertes Vitamin A und C sowie Phytoestrogene bei bestimmten Krankheitsbildern.

Viele Krebspatienten suchen im Lauf ihrer Erkrankung nach alternativen oder komplementären Heilverfahren. Das Angebot an Alternativmethoden ist beinahe unüberschaubar und für Arzt und Patient gleichermaßen schwierig zu werten. Für viele komplementäre Behandlungsmethoden sind weder Wirkung noch Unbedenklichkeit nachgewiesen, und dem Arzt fehlen oftmals zuverlässige Informationen, um den ratsuchenden Patienten richtig beraten zu können.

Um Nutzen und Schaden alternativer Heilmethoden einschätzen zu können, hat eine nordamerikanische Arbeitsgruppe die häufigsten alternativen Heilmethoden unter evidenz-basierten Gesichtspunkten untersucht und bewertet.

Bewertung unter evidenz-basierten Aspekten

Dazu wurde die aktuelle wissenschaftliche Literatur über die häufigsten komplementären und alternativen Heilmethoden in der Onkologie gesichtet und unter den Aspekten Wirksamkeit und Sicherheit bewertet. Bei der Wirksamkeit wurden direkt positive Effekte auf den Krankheitsverlauf (Progression und Überleben) sowie günstige palliative Effekte berücksichtigt; beim Aspekt der Sicherheit das Risiko von Nebenwirkungen sowie das Risiko einer Interaktion mit der schulmedizinischen Krebstherapie.

Um die Wirksamkeit einer Therapie zu evaluieren, erhielten kontrollierte randomisierte Studien die höchste Priorität, zur Evaluierung der Sicherheit wurden präklinische und klinische Daten herangezogen. Unter der Berücksichtigung von vorhandenem evidenz-basiertem Datenmaterial sowie dem Verhältnis von Nutzen und Risiko wurde eine Therapie dann als empfehlenswert, bedingt empfehlenswert, akzeptierbar oder nachteilig eingestuft.

Folgende komplementärmedizinische Ansätze wurden untersucht und bewertet:

  • bestimmte Ernährungsformen
  • Supplementierung mit hochdosierten Vitaminen und Soja
  • Phytopharmaka und biologische Mittel
  • Akupunktur
  • Massage
  • körperliche Aktivität
  • psychologische Therapieformen (z. B. Entspannungstraining)

Weniger Fett

Eine Fettreduktion kann sich günstig beim Mamma- und Prostatakarzinom auswirken. Eine geringere Fettaufnahme führt bei post- und prämenopausalen Frauen zu reduzierten Estrogenwerten. Inwieweit eine Fettreduktion die Prognose beim Mammakarzinom verbessern kann, ist zurzeit noch nicht eindeutig geklärt.

Der jetzigen Datenlage zufolge erscheint es sinnvoll, normal ernährten Frauen eine Reduktion des Fettkonsums zu empfehlen. Dasselbe gilt für Männer mit Prostatakarzinom. Die Empfehlung, weniger Fett zu sich zu nehmen, gilt allerdings nur für normal ernährte oder übergewichtige Patienten, nicht bei einer Unterernährung oder Malnutrition. Generell sollte jede einseitige, radikale Diät vermieden werden.

Vitamin E: ja, hochdosiertes Vitamin A und C: nein

Die antioxidativen Vitamine A, C und E werden in der primären Krebsprävention eingesetzt, da oxidative Zellschäden das Krebsrisiko erhöhen können und man hofft, durch Radikalfänger diese oxidativen Zellschäden zu verhindern.

Ihr Einsatz bei einer bereits bestehenden Krebserkrankung ist indes umstritten, da sie z. B. durch Induktion einer Zelldifferenzierung auch zu einem Krankheitsprogress beitragen können. Für Vitamin A konnte gezeigt werden, dass es die Inzidenz von Lungenkrebs bei Risikopatienten erhöht und die Entwicklung eines latenten Prostatakrebses zu einem klinisch manifesten Karzinom beschleunigt wird.

Aus diesem Grund ist eine Supplementierung von Vitamin A abzulehnen. Für die Einnahme von hochdosiertem Vitamin C bei onkologischen Erkrankungen konnte kein Nutzen festgestellt werden; angesichts der potenziellen Nebenwirkungen von Vitamin C (erhöhtes Blutungsrisiko bei Thrombozytopenien oder bei der Therapie mit Antikoagulanzien) wird von einer Supplementierung abgeraten.

Anders liegt der Fall bei Vitamin E: Es gibt aussagekräftige Studien, dass Vitamin E die Entwicklung eines latenten Prostatakrebses zu einem klinisch manifesten Karzinom verhindern kann. Möglicherweise zeigt Vitamin E auch bei anderen Tumorentitäten einen Benefit.

Da Vitamin E die Plättchenfunktion verringern kann, sollte es allerdings nicht bei Thrombozytopenien oder bei der gleichzeitigen Einnahme von Antikoagulanzien angewandt werden.

Keine Antioxidanzien während der Chemo- oder Strahlentherapie

Die Wirkung einiger Zytostatika wird durch freie Radikale und reaktive Sauerstoffspezies vermittelt, und die zytotoxischen Effekte der Strahlentherapie beruhen auf der Generierung freier Radikaler.

Antioxidanzien können nun durch Abfangen freier Radikaler diese antitumorale Wirkung beeinträchtigen. Bevor geklärt ist, unter welchen Voraussetzungen, bei welchem Therapieregime und bei welchen Zytostatika solche Interaktionen relevant sein können, sollte der Patient während der Strahlen- und Chemotherapie keine Antioxidanzien einnehmen.

Phytoestrogene je nach Krankheitsbild

Phytoestrogene – als Hauptvertreter Soja – können nicht generell empfohlen werden. Ungeeignet sind Sojaprodukte vor allem für Frauen mit estrogenrezeptor-positivem Brustkrebs (sowie bei Einnahme von Tamoxifen) oder für Patientinnen mit Endometriumkarzinom, da die in Soja vorhandenen Isoflavonoide eine schwache Estrogenwirkung aufweisen.

Diese schwache Hormonwirkung kann sich wiederum positiv bei Männern mit Prostatakarzinom auswirken. Phytoestrogene sind nicht nur in Soja enthalten, sondern finden sich z. B. auch in einigen Gingseng-Präparaten; des Weiteren sind einige Formen der makrobiotischen Diät reich an Phytoestrogenen.

Inwieweit die antioxidativen Eigenschaften der Isoflavonoide bei der Strahlen- und Chemotherapie eine Rolle spielen, wird diskutiert. Ferner sollten Patienten mit einer Thrombozytopenie besser keine Sojaprodukte zu sich nehmen, da Isoflavonoide die Thrombozytenaggregation hemmen können.

Vorsicht bei Phytopharmaka

Phytopharmaka und biologische Mittel werden in der onkologischen Komplementärmedizin teils als Antitumormittel, teils als Supportiva eingesetzt. Da eine Wertung jedes eingesetzten Mittels den Rahmen ihrer Arbeit sprengen würde, greifen die Autoren der Arbeitsgruppe exemplarisch einzelne – in den USA häufig gebrauchte – Phytopharmaka oder biologische Mittel heraus.

Bei der Einnahme von Johanniskraut während der zytostatischen Therapie ist Vorsicht geboten, da klinisch relevante Interaktionen auftreten können. Dies ist der Fall bei Zytostatika, die über Cytochrom P450-3A4 verstoffwechselt werden, wie z. B. Irinotecan (Campto®). Während einer Chemotherapie mit bestimmten Zytostatika sollte also kein Johanniskraut-Präparat eingenommen werden.

Nutzen und Wirkung des in den USA populären Haifischknorpelextrakts werden noch kontrovers diskutiert. Im Haifischknorpel finden sich Substanzen, welche die Angiogenese, also die Neubildung von Tumorgefäßen, hemmen können. Allerdings sind die kommerziell vertriebenen Produkte zur oralen oder rektalen Anwendung bestimmt, was eine Aufnahme der anti-angiogenetischen Proteine unwahrscheinlich macht.

Der hohe Anteil von Calcium im Haifischknorpel verbietet die Anwendung des Extraktes bei einer Hypercalcämie. Ansonsten sind keine unerwünschten Wirkungen bekannt. Eine genauere Wertung wird erst nach Vorliegen weiterer Daten möglich sein.

Benefit durch Akupunktur und Massagen

Mehrere Studien bestätigen den Nutzen einer Akupunktur (Stimulation des P6-Bereichs), um chemotherapiebedingte Übelkeit und Erbrechen abzuschwächen. Weitere, allerdings nicht so klare Ergebnisse sprechen für den Benfit einer Akupunktur bei chronischen, tumorinduzierten Schmerzen. Mithilfe gezielter Massagen können gleichfalls Übelkeit, Ängste und Schmerzen gelindert werden.

Spezielle Techniken sind zur Therapie von Lymphödemen geeignet. Es gibt keine Hinweise, dass durch Massagen Metastasen freigesetzt werden. Allerdings sollte nicht unmittelbar am Tumorgewebe massiert werden; bei Knochenmetastasen ist ebenfalls Vorsicht geboten, um Frakturen zu vermeiden.

Thrombozytopenien oder eine Therapie mit Antikoagulantien sind Kontraindikationen für Massagen und Akupunktur. Der Nutzen moderater körperlicher Anstrengung, der sich in einer verbesserten psychischen und physischen Verfassung zeigt, wurde in mehreren Studien nachgewiesen.

Literatur

Weiger, W., et al.: Advising patients who seek complementary and alternative medical therapies for cancer. Ann Intern Med 137, 889 – 903 (2002).

Empfohlene komplementäre Therapieansätze

  • bestimmte Ernährungsrichtlinien (bei Mamma- und Prostatakarzinom)
  • Supplementierung von Vitamin E
  • Supplementierung von Soja bei Prostatakarzinom
  • einige biologische Mittel
  • Akupunktur gegen chemotherapiebedingte Übelkeit sowie gegen Schmerzen
  • Massagen gegen Angstzustände oder Schmerzen
  • moderate körperliche Aktivität
  • psychologische Therapieformen (z. B. Entspannungstraining, Selbsthilfegruppen)

Nicht empfohlene komplementäre Therapieansätze

  • restriktive Diäten
  • Antioxidanzien während der Strahlen- oder Chemotherapie
  • Phytoestrogene beim Mamma- oder Endometriumkarzinom
  • hoch dosiertes Vitamin A und C
  • Johanniskraut bei bestimmten Chemotherapien
  • Akupunktur oder Tiefenmassage bei Thrombozytopenie oder bei Therapie mit Antikoagulanzien

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