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- DAZ 28/2003
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Praxis
T. Müller-BohnDistribution – ist das wirklich
Glücklicherweise war der Patient in der nahe gelegenen V.-Apotheke mit seiner Kundenkarte registriert. So konnte seine Dauermedikation schnell ermittelt und der Patient nach einer kurzen Rücksprache mit dem behandelnden Arzt unverzüglich versorgt werden. Es bleibt offen, wie dieser Fall von einer Versandapotheke hätte bearbeitet werden können.
Teil des Versorgungsprozesses
In der vorigen, fünften Folge dieser Serie wurden die speziellen Probleme beschrieben, die sich im Apothekenalltag bei der Versorgung chronisch kranker Patienten auf den verschiedenen Stufen des Versorgungsprozesses ergeben. In den vier Folgen davor war es stets um Schwierigkeiten gegangen, die sich aus der ärztlichen Verordnung oder aus dem geäußerten Patientenwunsch ergaben. Dabei wurden zahlreiche verschiedenartige Fehlerquellen aufgezeigt.
Darüber hinaus erfüllen Apotheken auch auf den weiteren Stufen der Arzneimittelversorgung wichtige Aufgaben. Daher soll hier nun die nächste Stufe des Versorgungsablaufes, die Distribution selbst, betrachtet werden. Die dargestellten Probleme sind wieder sämtlich aus dem realen Apothekenalltag entnommen1.
Mehr als nur Technik
Viele Darstellungen in der Öffentlichkeit vermitteln den Eindruck, die Distribution sei ein vollkommen banaler Vorgang. Dieser Gedanke wird im Begriff des "Schubladenziehens" versinnbildlicht. Die Distribution selbst wird kaum noch als werthaltige Leistung wahrgenommen. Hierzu trägt vielleicht auch die Tatsache bei, dass sie aufgrund der Anstrengungen in den Offizinapotheken und aufgrund der enormen logistischen Leistung des pharmazeutischen Großhandels so gut funktioniert.
Doch auch in der Apothekerschaft wird die Distributionsleistung oft eher heruntergeredet. Die Apotheker stützen ihr Selbstverständnis auf die Beratung und die pharmazeutischen Leistungen im engeren Sinne. Diese würden aber wirkungslos bleiben, wenn sie sich nicht auf eine funktionsfähige Distribution als Basis stützen könnten.
Die Leistungsfähigkeit der Apotheken bei der Arzneimitteldistribution stützt sich in dem eingangs dargestellten und in den nachfolgend ausgeführten Beispielen auf drei grundlegende Eigenschaften der Apotheken:
- Geschwindigkeit: Durch ihre räumliche Nähe zu Ärzten und Patienten können Arzneimittel aus Apotheken sehr schnell geliefert werden.
- Dezentrale Organisation: Durch das dichte Netz der Apotheken sind Fachwissen und gespeicherte Informationen über Patienten dezentral dort vorhanden, wo sie benötigt werden.
- Möglichkeit zu unbürokratischer Hilfe: Durch den direkten Kontakt zu Ärzten und Patienten und durch die überschaubare Betriebsgröße der Apotheken sind in außergewöhnlichen Fällen unbürokratische Lösungen möglich, die vom "normalen" Versorgungsablauf abweichen.
Schnelle Hilfe vor Ort
Diese Vorteile kommen keineswegs nur in Fällen wie dem beschriebenen Explosionsunglück zum Tragen, sie wirken sich auch in wesentlich weniger spektakulären Situationen aus. So wird aus einer Apotheke in Heimbach berichtet, dass in einer Arztpraxis die Computeranlage komplett ausgefallen war. Daraufhin wurde auf Rezepten beispielsweise "Insulin wie immer" verordnet. In der Apotheke konnte dies problemlos "übersetzt" werden, wenn die Patientendaten dort gespeichert waren.
Die gleiche Apotheke lieferte bei einem lebensbedrohlichen Krampfanfall eines Kindes mit dem Apothekenfahrzeug innerhalb von zehn Minuten Diazepam Desitin® Rectiolen. Der Hausarzt konnte damit das Kind schneller behandeln als der Rettungsdienst. Denn der Rettungswagen und der Hubschrauber trafen erst 13 Minuten später ein, wie aus der Apotheke berichtet wird.
Auf Minuten kommt es bei der Arzneimittellieferung nur selten an, doch manchmal würden ohne den schnellen Einsatz der Apotheke vor Ort Tage vergehen, bis der Patient sein Arzneimittel erhält. So wird aus der gleichen Apotheke auch von eiligen Belieferungen an Sonn- und Feiertagen berichtet. Beispielsweise wurde an einem Feiertagsabend bei starkem Schneefall nach dem Anruf eines Arztes ein Asthmaspray an einen Patienten geliefert, der die Apotheke nicht aufsuchen konnte. Dabei wurde auch die Handhabung des Sprays erläutert. In einem Sonntagsnotdienst erhielt diese Apotheke den Anruf einer Schwangeren mit Verdacht auf Hypertonie. Nach Ausleihen eines Blutdruckmessgerätes wurde der Verdacht bestätigt und mit dem Frauenarzt das weitere Vorgehen abgeklärt. Ein Tourist aus den Niederlanden wandte sich mit einem Problem bezüglich seiner Insulintherapie an die Apotheke. Er versuchte, Insulin der Firma Lilly mit einem Novopen zu applizieren, was nicht gelingen konnte. Glücklicherweise konnte die Apotheke mit einem Pen der Firma Lilly aushelfen, der als Muster verfügbar war.
Dass diese vielfältigen Beispiele in nur einer Apotheke gesammelt wurden, lässt vage erahnen, wie viele solcher Fälle täglich geschehen, aber nicht dokumentiert werden. Sie erscheinen als geradezu selbstverständliche Leistung. In der politischen Diskussion kommen sie daher nicht vor, aber sie können die hervorragenden Ergebnisse der Apotheken in diversen Befragungen zur Kundenzufriedenheit erklären.
Vorteile auch bei langwierigen Versorgungsprozessen
Die Probleme im Zusammenhang mit der Distribution betreffen keineswegs nur besonders eilige Fälle. Außerhalb von Apotheken scheinen manchmal sogar simpelste Liefervorgänge Anlass für Schwierigkeiten zu sein. Darüber wird aus der I.-Apotheke in Duisburg berichtet. Die Apotheke hatte sich lange um die Genehmigung einer Inkontinenzverordnung bemüht. Als die Genehmigung eintraf, erhielt der Patient die Nachricht, die Krankenkasse wolle ihn über ein entfernt gelegenes Sanitätshaus beliefern.
Über einen Monat später wurde die Verordnung erneut vorgelegt. Das Sanitätshaus soll drei Wochen lang gar nicht geliefert und dann endlich Inkontinenzartikel in der falschen Größe geschickt haben, obwohl in der Apotheke zuvor durch intensive Beratung die passende Größe ermittelt wurde. Daraufhin war die Krankenkasse nun bereit, die Belieferung durch die Apotheke zu bezahlen.
Inkontinenzprodukte scheinen eine "unendliche Geschichte" zu sein. Denn jeder einzelne Patient kann dabei langwierige Versorgungsabläufe auslösen. Ein Beispiel wurde in der Ä.-Apotheke in Essen dokumentiert. In diesem Fall waren sechs Beratungen über eine Woche nötig, bis die Patientin zufrieden und mit einem geeigneten Produkt versorgt war.
Am ersten Tag wurden Proben verschiedener Hersteller mitgegeben. Daraufhin erklärte die Patientin am nächsten Tag, bei ihrem alten Produkt bleiben zu wollen, von dem sie täglich zehn Einlagen benötigte. Nach weiteren ausführlichen Beratungen willigte sie am dritten Tag ein, ein weiteres Produkt zu testen, das ihr in die Wohnung geliefert wurde. Am vierten Tag beklagte sich die Patientin, dass die Vorlagen "kratzen". Am fünften Tag wurden weitere Proben abgegeben und schließlich akzeptiert. Daraufhin holte der Fahrer der Apotheke die zuvor gelieferte Ware wieder ab und brachte das nun gewünschte Produkt zur Patientin. Letztlich war eine Mitarbeiterin der Apotheke eine Woche lang jeden Tag etwa eine halbe Stunde mit der Patientin beschäftigt, was angesichts der Margen im Inkontinenzgeschäft betriebswirtschaftlich nicht tragbar ist.
Komplexe pharmazeutische Logistik
Doch nicht nur bei Inkontinenzprodukten zeigen sich die Vorteile der eingespielten Logistik von pharmazeutischem Großhandel und Apotheken. Ein Problem stellen auch Arzneimittel dar, die nur direkt ausgeliefert werden. Neben den Fällen, die immer wieder in der Rubrik Leserbriefe zu finden sind, wird aus der P.-Apotheke in Düsseldorf über eine solche Direktbestellung im Dezember 2001 berichtet. Der Hersteller hätte die Lieferung für den nächsten Tag zugesagt. Wegen der Weihnachtsfeiertage dauerte die Lieferung dann eine Woche anstatt einen Tag.
Aufgrund der Vielfalt der Arzneimittel ist das Zusammenwirken von Apotheken und Großhandel manchmal auch für die Akutversorgung erforderlich. Dies zeigt ein Beispiel aus der Ä.-Apotheke in Essen. Dort konnte im Feiertagsnotdienst ein Rezept der Uni-Klinik über einen antibiotikahaltigen Saft für ein Kind nicht beliefert werden. Auch die anderen dienstbereiten Apotheken der Stadt hatten den Saft nicht vorrätig. Der Großhandel lieferte erst am Abend des Feiertages. Doch auch in der Zwischenzeit blieb der Patient nicht unversorgt. Denn wegen des Verdachts auf Meningitis musste die Therapie schnell beginnen. Daher erhielt die Apotheke mit einigen Mühen aus der Uni-Klinik eine Tablette, die aufgelöst wurde, um eine erste Dosis herzustellen.
Patientennähe ist entscheidend
Bei aller Verschiedenartigkeit zeigen die dargestellten Beispiele immer wieder die Vorteile der Apotheken bei der Distribution. Diese gründen sich neben der erprobten Logistik wesentlich auf die Dichte des Versorgungsnetzes und damit auf die Nähe zu Ärzten und Patienten. Wie oben bereits angedeutet wurde, ist oft auch die Fähigkeit der Apotheken zu schnellen und unbürokratischen Lösungen entscheidend für die erfolgreiche Versorgung.
Aufgrund wirtschaftlicher Zwänge und wegen der Anforderungen der Qualitätssicherung müssen in allen Unternehmen standardisierte Arbeitsabläufe geschaffen werden, wenn diese effektiv arbeiten sollen. Dies betrifft selbstverständlich auch Apotheken und drückt sich beispielsweise im verstärkten Einsatz von Qualitätsmanagementsystemen (QMS) aus. Doch so sinnvoll und notwendig die Standardisierung im Normalfall ist, so wichtig kann im begründeten Einzelfall die Möglichkeit zu einer Ausnahme von der Regel sein.
Hier liegt ein wesentlicher Unterschied zwischen Großbetrieben, wie beispielsweise Versandapotheken, und Offizinapotheken in ihren üblichen Größenordnungen. Großbetriebe, in denen – vergleichbar mit einem Fließband – viele Personen nacheinander an einem Versorgungsprozess beteiligt sind und in mehreren Schichten arbeiten, können praktisch nicht von standardisierten Vorgehensweisen abweichen. Anderenfalls wären Fehler oder Betriebsstörungen vorprogrammiert.
In kleinen Betrieben können dagegen einzelne Personen einen Vorgang vollständig an sich ziehen und damit auf unvorhersehbare Ausnahmesituationen eingehen, ohne dass die Qualität des Versorgungsprozesses darunter leiden müsste. Solche Einzelfälle sind arbeitsintensiv und damit teuer. Dafür erzielen sie aber auch großen Nutzen und können hohe Folgekosten im Gesundheitssystem ersparen.
In der vorigen, fünften Folge dieser Serie wurden die speziellen Probleme beschrieben, die sich im Apothekenalltag bei der Versorgung chronisch kranker Patienten auf den verschiedenen Stufen des Versorgungsprozesses ergeben. Darüber hinaus erfüllen Apotheken auch auf den weiteren Stufen der Arzneimittelversorgung wichtige Aufgaben. Daher soll hier nun die nächste Stufe des Versorgungsablaufes, die Distribution selbst, betrachtet werden. Die dargestellten Probleme sind wieder sämtlich aus dem realen Apothekenalltag entnommen.
Die hier vorgestellten Fälle gehen auf Meldungen nordrheinischer Apotheken zurück und wurden vom Apothekerverband Nordrhein gesammelt. Doch sicher lassen sich in Apotheken anderswo in Deutschland ähnliche Erfahrungen machen.
Wir bitten daher Leserinnen und Leser aus allen Apotheken, uns ihre persönlichen Erfahrungen mitzuteilen. Wir möchten damit eine noch breitere Basis gewinnen, um die Öffentlichkeit möglichst repräsentativ über die Leistungen der Apothekerschaft informieren zu können.
Bitte senden Sie uns Ihre Erlebnisse unter dem Stichwort "Arzneimittelsicherheit" per Brief, Fax oder E-Mail an DAZ-Redaktion, Stichwort Arzneimittelsicherheit, Postfach 10 10 61, 70009 Stuttgart, Fax (07 11) 25 82-2 92, E-Mail: daz@deutscher-apotheker-verlag.de
Falls Ihnen ein problematisches Rezept vorliegt, wäre es sinnvoll, es zur Dokumentation und zum Beweis zu kopieren und mit einzuschicken (nach Anonymisierung durch Schwärzung der Arzt- und Patientendaten).
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