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Generika-Märkte in EU und USA: Was ist gleich? Was ist anders?

WIEN (hb). Der Einsatz von Generika zur Begrenzung der Arzneimittelausgaben ist in den meisten Arzneimittelmärkten verbreitet und anerkannt. Ein internationales Symposium anlässlich des weltweiten Relaunches des Firmennamens Sandoz, der die Novartis Generics ablöst, am 21. Mai 2003 in Wien, warf den Fokus vor allem auf die regulatorische und die Marktsituation in Europa und in den USA. Zwar gibt es Unterschiede in den Strukturen und Konzepten, aber die Hoffnungen der Generikahersteller auf eine stärkere Durchdringung der Märkte sind hüben wie drüben gleich groß.

Dass Generika durchaus einen bemerkenswerten Beitrag zur Entlastung der Gesundheitssysteme leisten können, unterstrich Georg Nederegger, Partner von McKinsey & Company, München, in seinen Ausführungen zu der deutschen Situation. Im Jahr 2002 wurden hierzulande im Gesundheitsbereich folgende Steigerungsraten verzeichnet: Arzneimittelausgaben 4,5 %, Krankenhausbereich 3,1 %, niedergelassene Ärzte 1,2 %, alle anderen insgesamt 3 %.

Als Hauptkostentreiber im Arzneimittelbereich nannte er den vermehrten Einsatz teurer Innovationen in der Therapie (Struktureffekt) und machte anhand der ACE-Hemmer deutlich, welche Einsparungen durch Generikasubstitution möglich sind. So konnten die täglichen Behandlungskosten im Falle von Captopril um 73 % und für Enalapril und Lisinopril um 56 % gesenkt werden.

Nederegger präferiert vor allem die folgenden Maßnahmen und Anreize bei den im Gesundheitsbereich tätigen Interessengruppen, um den Nutzen der Nachahmerpräparate noch erheblich besser als bisher auszuschöpfen:

  • Ärzte: Budgets mit erhöhten Sanktionen bei Überschreitung, verbindliche Anordnung von INN-Verschreibungen,
  • Apotheken: Abgabepauschale anstelle von Handelsspannen,
  • Krankenhäuser: Angaben zu Arzneimitteln in Entlassungsbriefen nur noch als INN, Verbot des Direktvertriebs durch die Pharmaunternehmen,
  • Patienten: höhere Zuzahlungen für Originalpräparate nach Patentablauf.

Die Situation auf den europäischen Märkten

Als Repräsentantin des europäischen Generikahersteller-Verbandes (European Generics Association/EGA) beleuchtete Suzette Kox die Situation auf den europäischen Märkten.

Mehr als 50 % der in der europäischen Union bzw. im europäischen Wirtschaftsraum konsumierten Arzneimittel sind Generika (zu den wichtigsten therapeutischen Klassen siehe Tab. 1). Diese stehen für Einsparungen in Höhe von 13 Mrd. Euro pro Jahr in der EU. Im Hinblick auf die zu erwartende Nachfrage in den Beitrittsländern rechnet Kox damit, dass Generika im Jahr 2007 in einer Union ein Drittel aller Arzneimittel ausmachen könnten, und zwar mit einem Marktvolumen von 21 Mrd. Euro.

Dennoch bleiben die Marktanteile der Nachahmer-Produkte derzeit noch hinter den Erwartungen zurück, und auch die Realisierung der mutigen Zukunftsprognosen betrachtet Kox beileibe nicht als "Selbstgänger".

Es bedarf ihrer Meinung nach vielmehr dreier Hauptsäulen, damit sie tatsächlich Wirklichkeit werden können: nationale Marktstimuli, ein effizientes Regulierungssystem auf EU-Ebene und ein ausgewogenes Patentsystem in der Union bzw. auf nationaler Ebene. In allen drei Bereichen sieht die Generikaexpertin noch Nachholbedarf.

Der Review 2001 soll es richten

So beklagt sie das Fehlen nationaler Anreize, die zunehmende Tendenz zur Abschottung seitens der Originalanbieter, und auch der Fortgang des Review 2001 des europäischen Arzneimittelrechts verläuft, wie Kox meint, noch nicht zufriedenstellend. Auf der Wunschliste der europäischen Generikahersteller stehen vor allem folgende Anliegen:

  • eine Forcierung bei der Harmonisierung der Produktangaben (SmPC) zu den Originalarzneimitteln in den Mitgliedstaaten,
  • eine klare Definition des Begriffs Innovation,
  • die Bereinigung auf dem Gebiet der Referenzpräparate im Sinne eines EU-einheitlichen Bezugsarzneimittels,
  • die Öffnung des zentralen europäischen Zulassungsverfahrens auch für Generika,
  • die Verhinderung strategischer Marktrücknahmen von Originalpräparaten, deren Schutzfristen auslaufen, um bezugnehmende Zulassungen zu verhindern.

Kox hofft, dass die EGA in den Diskussionen auf europäischer Ebene mit immerhin mehr als 500 Unternehmen mit über 85 000 Beschäftigten doch einiges Gewicht in die Waagschale werfen kann.

Generika in den USA

Die Präsidentin und Hauptgeschäftsführerin des amerikanischen Verbandes der Generikahersteller (Generics Pharmaceutieal Association – GphA) Kathleen Jaeger, Washington D.C., rekapitulierte die Entwicklungsgeschichte des größten Generikamarktes der Welt.

Dessen Startpunkt bildete das Jahr 1984, in dem der Marktzugang für Nachahmer-Produkte in den USA über den Drug Price Competition and Patent Term Restoration Act (Hatch-Waxman Act) deutlich erleichtert wurde. Das Gesetz verfolgte zwei Zielsetzungen:

  • Nachahmer-Produkte sollen möglichst unmittelbar nach Patentablauf für die Vermarktung verfügbar gemacht werden.
  • Originalanbietern wurde die Möglichkeit geboten, wegen der durch die Arzneimittelentwicklung und das Zulassungsverfahren verkürzten Patentlaufzeit ein ergänzendes Schutzzertifikat zu erlangen.

Nach dem Hatch-Waxman Act kann ein Arzneimittel im Weg der Bezugnahme (Abbreviated New Drug Application, ANDA) zugelassen werden, wenn eine "Patentgültigkeitsanfrage" mit Widerspruchs- bzw. Klagemöglichkeit seitens des Originalanbieters für den Nachahmer positiv ausgeht. Eine Klage des Originalanbieters hat eine automatische Aussetzung der Bearbeitung des bezugnehmenden Antrags für 30 Monate bis zur gerichtlichen Klärung zur Folge.

Widerstand der Originalhersteller nimmt zu

Seit Inkrafttreten des Gesetzes hat sich der Generikamarkt in den USA rasant entwickelt. Die Substitutionsrate im Bereich der verschreibungspflichtigen Arzneimittel nahm von 19 % auf heute 51 % zu.

Auf generische Medikamente entfallen damit über 50 % aller in den Vereinigten Staaten verschriebenen Medikamente, jedoch weniger als 10 % der Arzneimittelausgaben. Erfolgreich abgeschlossene bezugnehmende Verfahren unter anderem zu den Präparaten Buspar, Terazosin, Taxol, Prozac und Zantac weckten hohe Erwartungen in die Zukunft.

In den letzten Jahren klagt der amerikanische Verband der Generikahersteller allerdings vermehrt über verspätete Markteintritte von Nachahmern – allein 23 von 26 Anträgen in 2001 – verursacht durch allerlei "Verzögerungstaktiken" und zum Teil mehrfache Nutzung der 30-monatigen Aussetzung seitens der Originalanbieter, ein Anlass für den Verband, mit Nachdruck auf eine Reform der entsprechenden gesetzlichen Grundlagen hinzuarbeiten.

Ein neues Betätigungsfeld sieht die amerikanische Generikaindustrie laut Jaeger darüber hinaus auf dem Sektor der Biogenerika. Der Markt der Biopharmaka wächst in den USA in jüngster Zeit ungefähr doppelt so schnell wie der Gesamtmarkt, ein Trend, der ihrer Einschätzung zufolge voraussichtlich bis 2010 anhalten wird. Die GphA arbeitet daher tatkräftig daran, auch für Biogenerika effiziente Modalitäten für den Marktzugang zu erreichen.

Dennoch ein Rekordjahr in 2002

Als ein eher schlechtes Jahr für Originalanbieter und ein Rekordjahr für Generika betrachtet der Vizepräsident Industriebeziehungen von IMS Health US, Doug Long, speziell das Jahr 2002 in den USA.

Einer der zentralen Gründe für das überproportionale Wachstum ist der Verlust des Patentschutzes einiger "Top-Seller", darunter Glucophage, Zestril, Prinivil und Ultram, wobei die Penetration der Märkte mit den Nachahmern relativ zügig vonstatten ging. Arzneimittel, deren Patent in den Jahren 2003 bis 2005 auslaufen wird, sind Tabelle 2 zu entnehmen.

Einen zweiten Grund sieht Long darin, dass die Patienten einen deutlich höheren Kostenbeitrag zu Originalpräparaten leisten mussten, seiner Meinung nach eine sehr effektive Maßnahme zur Ausgabenbegrenzung, denn die Verbraucher wechselten entweder auf preisgünstigere Arzneimittel oder sie lösten die Verschreibung gar nicht ein, letzteres vor allem bei Erkrankungen wie Allergien und Arthritis beobachtet, wo es preiswertere Behandlungsalternativen gibt. Für 2003 rechnet der Marktexperte mit einem etwas geringeren Wachstum.

Wie der US-Großhandel im Generikavertrieb "mitmischt"

Douglas E. Batezel, vom führenden amerikanischen Großhandelsunternehmen AmerisourceBergen Corporation, stellte dar, welche Rolle der Generikasektor für den amerikanischen Großhandel spielt.

Der Arzneimittelvertrieb ist in den USA zwischen einer Vielzahl von Vertriebsorganisationen, Pflegestellen und privaten sowie öffentlichen Kunden zersplittert.

Wie in der Pharmaindustrie hat sich auch im Großhandel in den letzten Jahren eine signifikante Konsolidierung vollzogen. Derzeit wird der Markt von den drei großen Konkurrenten AmerisourceBergen, Cardinal Health und McKesson dominiert. Trotz der Marktberuhigung und der von Batezel als ausgezeichnet bewerteten Logistikeffizienz bewegt sich der Großhandel in Amerika weiterhin in einer schwierigen Umgebung, unter anderem durch den zunehmenden Druck der Handelsspannen.

Insgesamt sanken die Vertriebskosten für Arzneimittel zwischen 1996 und 2003 von 3,69 % auf 2,10 %. Die Großhandelsspanne schrumpfte in den letzten zehn Jahren um 50 %. Sie liegt heute für Nachahmerpräparate bei 12 bis 16 % (zum Vergleich: Originalpräparate: 4 %).

Auf den Großhandel entfallen rund 45 % des Produktflusses im Generikabereich. Aufgrund der Komplexität des Gefüges ist es laut Batezel nicht so einfach, den Herstellern in der dynamischen Generikawachstumsperiode einen brauchbaren Versorgungskanal durch den Pharmagroßhandel zu bieten. Geeignete Wettbewerbsinstrumente sieht er vor allem in den Bereichen Produktverfügbarkeit, Compliance-Programme und -dienstleistungen.

Die Krankheiten der Zukunft und das westliche Pharmamodell

Mit der Weiterentwicklung der globalen Gesundheitssysteme und der Bedeutung der Generikamärkte innerhalb dieser Systeme beschäftigte sich der Vizepräsident von IMS Health Graham Lewis. Es wird weltweit zu einem durchgreifenden Wandel kommen, so meint er, der durch folgende Rahmenbedingungen gekennzeichnet wird:

  • einen starken Nachfragezuwachs, vor allem bei der älteren Bevölkerung – im Jahr 2030 werden Prognosen zufolge 50 % aller Deutschen über 60 sein – der aber aller Voraussicht nach nicht die entsprechende Ressourcen zur Verfügung stehen werden,
  • ein Ansteigen respiratorischer und kardiovaskulärer Erkrankungen, verursacht durch zunehmende Umweltverschmutzung,
  • eine Zunahme des Typ-II-Diabetes,
  • größere Gesundheitsgefahren durch intensiveren Tabakgenuss,
  • eine zunehmende Urbanisierung in den Entwicklungsländern, die die dortigen Krankheitsmuster an westliche Verhältnisse angleichen wird.

Darüber hinaus befürchtet Lewis neue Virusepidemien. Ob das westliche Pharmamodell diesen Herausforderungen gewachsen sein wird, hält er für fraglich und bedauert gleichzeitig, dass politische Dogmen und Ignoranz seitens der Verbraucher, gekoppelt mit einem Rückgang der arbeitenden Bevölkerung aus seiner Sicht nicht viel Spielraum für eine Diskussion über die Finanzierung des Gesundheitswesens lassen.

Generikamärkte weltweit: Hohe Wachstumsraten vor allem in Europa

International wird derzeit speziell auf folgende Instrumente gesetzt:

  • USA: mehrstufige Patientenzuzahlungen, "managed care formularies", state formularies" und Preiskontrollen,
  • EU: Nachdrückliche Aufforderung zum Einsatz von Generika, Preismoratorien und Festbeträge, Einschränkungen bei der Erstattung,
  • Japan: Preissenkungen alle zwei Jahre, höhere Zuzahlungen, höhere Verschreibungshonorare im Falle von Generika.

Darüber hinaus werden allerorten Anreize geschaffen, um den Einsatz von Generika zu steigern (siehe Tab. 3). Lewis rechnet daher damit, dass Großkonzerne wie Takeda, Merck & Co., Pfizer, Wyeth, Bayer, Abbot in den kommenden Jahren deutliche Umsatzeinbußen durch Generikasubstitution werden hinnehmen müssen. Aktuelle Kenndaten zur Durchdringung der Märkte mit Nachahmer-Produkten sind Tabelle 4 zu entnehmen.

An der Spitze stehen hiernach die USA, die auch nach dem absoluten Volumen bei weitem die Top-Position einnehmen, gefolgt von Kanada, Großbritannien und Deutschland als dem Generika-Spitzenreiter in Europa.

Insgesamt zeigen die Prognosen auf diesen strategischen Märkten aus der Sicht der Nachahmer-Industrie eine sehr positive Tendenz. Zu den fünf Top-Generika-Märkten in Europa, gemessen an den prognostizierten jährlichen Wachstumsraten für den Einzelhandel in den kommenden fünf Jahren (2002 bis 2007) zählt Lewis Deutschland (14 %), Spanien (15 %), Frankreich (30 %), Großbritannien (20 %) und Italien (35 %). Auch die bislang bezüglich des Einsatzes von Nachahmer-Produkten noch unterentwickelten Märkte Frankreich, Spanien und Italien dürften demnach in den nächsten Jahren Zug um Zug aufholen.

Für die USA wird ein Zuwachs von 20 % und für Kanada von 15 % angenommen.

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