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Bakteriologie: Die Wandlungsfähigkeit der Salmonellen
4644 Gene besitzt Salmonella, 919 davon sind unmittelbar während eines Infektionsvorganges aktiv. Das meldete kürzlich eine Arbeitsgruppe vom Institut für Lebensmittelforschung in Norwich in England. Die Funktion knapp der Hälfte der identifizierten Gene ist noch unbekannt. Das wird sich wohl bald ändern. Denn die biochemische und molekulargenetische Analyse schreitet mit großen Schritten voran. Vor allem der Infektionsapparat steht im Mittelpunkt des Interesses.
Salmonellen besitzen ein großes Arsenal an Virulenzfaktoren, die über ihre Infektiosität und Pathogenität entscheiden. Die molekularen Injektionsnadeln, durch die sie ihre krankmachenden Effektorproteine in die Wirtszellen spritzen, und deren genetische Kodierung werden intensiv untersucht. Darüber hinaus hat die phylogenetische Erforschung die Taxonomie der Salmonellen auf eine ganz neue Basis gestellt. Sie erklärt die infektionsbiologischen Unterschiede zwischen den verschiedenen Erregerstämmen.
Neue Taxonomie
Die Gattung Salmonella, die zur großen Familie der Enterobacteriaceae (gramnegative, fakultativ anaerobe Stäbchen) zählt, wird heute nicht mehr in S. typhimurium, S. enteritidis, S. typhi etc. unterschieden, sondern nur noch in die Spezies S. enterica und S. bongori (Tab. 1).
Die Arten unterteilen sich in durchnummerierte Subspezies, die sich ihrerseits in serologisch differenzierbare Serovare gliedern. Von den Serovaren wiederum gibt es Labor- und Epidemiestämme. Die ehemalige Salmonella typhimurium heißt heute vollständig Salmonella enterica Subspezies I Serovar Typhimurium. Die Subspezies I umfasst die überwiegend bei warmblütigen Wirbeltieren inklusive Mensch gefundenen Serovare.
Die Stämme der Subspezies II bis VII von S. enterica und die von S. bongori infizieren vor allem wechselwarmblütige Wirbeltiere und wurden zunächst als nicht bzw. wenig pathogen für Warmblütige eingestuft. Die zunehmende Zahl sporadischer Erkrankungsfälle, die durch Stämme dieser Subspezies hervorgerufen werden, zeigt aber, dass auch hier humanpathogene Stämme existieren. Trotz ihres sehr unterschiedlichen klinischen, epidemiologischen und biologischen Verhaltens sind alle Serovare genetisch sehr ähnlich.
Virulenzfaktoren
Ein umfangreiches Arsenal an Virulenzfaktoren entscheidet über die Pathogenität und Infektiosität der Salmonellen. Bona-fide-Faktoren, die bei apathogenen Stämmen nicht vorkommen, verursachen in der frühen Infektionsphase spezifische Wechselwirkungen mit Proteinen der Wirtszellen. So ermöglichen die fimbriellen Adhäsine die Anheftung der Salmonelle an die Darmzelle. Andere Virulenzfaktoren ergänzen die Bona-fide-Faktoren, indem sie das allgemeine Überleben im Wirt sichern und zur Resistenz gegen unspezifische Abwehrmechanismen (z. B. Sauerstoffradikale) beitragen. Sie werden auch bei apathogenen Stämmen gefunden.
Horizontaler DNA-Transfer
Die schnelle Entstehung neuer Epidemieklone erfolgt nicht durch Punktmutationen, da diese nur zu graduellen Änderungen führen, sondern durch den Transfer chromosomaler oder plasmidaler DNA-Sequenzen (z. T. auch ganzer Plasmide) mittels Bakteriophagen oder Viren. Dabei können DNA-Sequenzen von bis zu 100 kb Länge übertragen werden. Dies geschieht entweder unspezifisch, indem zufällig Bakterien-DNA in die Kapsel des Virus gepackt wird, oder spezifisch, indem zuvor bestimmte DNA-Sequenzen ausgeschnitten wurden. Die Fähigkeit der Salmonellen, tierische und menschliche Zellen zu penetrieren und in ihnen zu persistieren, fördert den horizontalen DNA-Transfer. Denn innerhalb lebender Zellen sind Salmonellen vor Antibiotika und Makrophagen geschützt und können "in Ruhe" Informationen mit anderen Bakterien austauschen.
Beim horizontalen DNA-Transfer bleiben grundsätzlich nur diejenigen DNA-Sequenzen im Genom erhalten, die dem Bakterium einen Vorteil verschaffen. Häufig sitzen sie in Operons, einer funktionellen Einheit mehrerer Gene (Gencluster), zusammen. Bei Salmonella werden solche Operons Salmonella-Pathogenitätsinseln (SPIs) genannt. Sie kodieren jeweils gemeinsam für eine bestimmte Virulenzfunktion. (SPI1 besteht z. B. aus 35 Genen.) Erst durch die Bildung von SPIs im Laufe der Evolution konnten sich die Salmonellen zu pathogenen Erregern entwickeln. SPIs finden sich nicht in apathogenen Stämmen.
Phagen rüsten die Salmonellen auf
Salmonellen beherbergen viele Bakteriophagen, vor allem aus der P22-Familie. Es ist deshalb von hohem Interesse zu wissen, ob und wie diese Phagen die Virulenz von Salmonella modulieren können. Erst jüngst sind in Typhimurium-Stämmen drei Lambda-ähnliche Phagen gefunden worden, die Virulenzgene in ihrem Genom tragen. Diese Phagen transferieren nicht nur chromosomale oder plasmidale DNA-Sequenzen des Bakteriums, sondern sie tauschen auch untereinander DNA-Module (ähnlich Operons, dem Organismus nützliche Gencluster, s. o.) aus. Aufgrund einer hohen Austauschrate läuft die Evolution der Phagen sehr schnell ab.
Phagen tauschen darüber hinaus auch Gene aus, die zu ihrer Evolution nichts beitragen (man nennt sie Morons, von "more DNA"), wohl aber zur Diversifikation der Salmonellen und zur ständigen Bildung neuer Epidemieklone, die auf der Neukombination der Effektorproteine beruht.
Die Inseln der Pathogenität
Die Pathogenitätsinseln SPI1 und SPI2 (Tab. 2) kodieren u. a. für das Typ-III-Sekretionssystem (TTSS). Dazu gehören
- eine hohle Injektionsnadel für den Transport der Effektorproteine in das Zytosol der Wirtszelle,
- Translokatoren, die an diesem Transport beteiligt sind, und
- Chaperone, die für die korrekte Faltung der Proteine sorgen.
Die TTSS erscheinen als vielversprechende Zielstrukturen zur Entwicklung neuartiger Arzneimittel. Aber auch Gene, die von den SPIs unabhängig und sehr variabel sind, exprimieren Virulenzfaktoren. Dieses vielfältige Virulom (Gesamtheit der für die Virulenz verantwortlichen Gene) erlaubt es den Salmonellen, sich ständig anzupassen.
Die Evolution der Salmonellen
Möglicherweise hat sich die Entstehung der Arten S. bongori und S. enterica und der Subspezies in drei Phasen vollzogen. Nach Abspaltung der Gattung Salmonella von Escherichia vor 100 bis 160 Millionen Jahren wurde in der ersten Phase die SPI1 durch horizontalen Gentransfer erworben. Denn die Pathogenitätsinsel ist in allen phylogenetischen Linien von Salmonella zu finden, fehlt aber in E. coli. Das TTSS ermöglichte es dem Bakterium zum ersten Mal, seine Effektorproteine direkt in das Zytosol der Wirtszellen zu injizieren und dort die Signalübertragungsmechanismen zu manipulieren. Diese Proteine können u.a. die Apoptose der Makrophagen und die Ausschüttung proinflammatorischer Zytokine induzieren. Das TTSS der SPI1 ist in Salmonellen hoch konserviert.
In einer zweiten Phase vor etwa 50 Millionen Jahren kam SPI2 hinzu. Es entstanden die beiden Spezies S. bongori ohne SPI2 und S. enterica mit SPI2. Der um 44 Prozent vom übrigen Salmonella-Genom abweichende prozentuale Gehalt der Basen Guanin und Cytosin (GC-Gehalt) lässt einen horizontalen Block-DNA-Transfer vermuten. Die dritte Phase ist geprägt von der weiteren Differenzierung von S. enterica in Supspezies und Serovare, in der sich das Wirtsspektrum stark ausweitete. Während S. bongori und die S. enterica Subspezies II bis VII vor allem in wechselwarmblütigen Wirbeltieren gefunden werden, leben Subspezies-I-Stämme in Säugetieren und Vögeln. Das lässt sich nur durch die Aufnahme weiterer Virulenzgene erklären, die aber erst zum Teil identifiziert sind.
Mit Salmonellen impfen
Ein neuer Forschungsansatz ist es, gentechnisch modifizierte Salmonellen zu entwickeln und sie als Lebendimpfstoff gegen verschiedene Krankheitserreger wie Helicobacter pylori oder Hepatitisviren einzusetzen. Solche Salmonellen müssen eine stark herabgesetzte Virulenz aufweisen, gleichzeitig aber eine noch starke Immunabwehr provozieren. Es bleibt also noch viel zu tun.
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