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Pocken: Das Ende eines großen Kapitels der Seuchengeschichte?
Nach dem weltweit letzten dokumentierten Pockenfall in Somalia im Jahre 1977 hatte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zwar bereits 1980 die Ausrottung der Seuche verkündet, der tief sitzende Schock vom 11. September 2001 ließ aber sogleich auch neue Sorgen gegenüber einem Bioterrorismus aufkommen, inklusive eines theoretisch möglichen Pockenanschlages.
Trotz der im Moment glücklicherweise nur hypothetischen Gefährdung haben die verantwortlichen Behörden in Deutschland schon gehandelt. Mittlerweile sind 65 Millionen Impfdosen zentral gelagert, weitere 35 Millionen Vakzine werden bis Oktober dieses Jahres an geheim gehaltener Stelle gebunkert sein.
Die speziellen zweizackigen Pocken-Impfnadeln verursachen die größten logistischen Probleme, benötigen aber keine besonderen Lagerbedingungen und sollen in nächster Zukunft dezentral auf alle Bundesländer verteilt werden.
Bessere Verträglichkeit?
24 Millionen Impfdosen, die schon Ende 2001 vom Bundesgesundheitsministerium eingekauft wurden, stammen noch aus alter Produktion der 70er Jahre. Eine Überprüfung der gefriergetrockneten Vakzine durch das zuständige Paul-Ehrlich-Institut (PEI) nach WHO-Vorgaben hat ergeben, dass der Impfstoff nach wie vor aktiv ist. Die restlichen Impfdosen des Vorsorgeprogramms wurden und werden zur Zeit teilweise auf Gewebekulturzellen hergestellt.
Aufgrund der schon vorhandenen Labordaten des PEI ist nach Aussage von Institutssprecherin Dr. Susanne Stöcker davon auszugehen, dass die neuen Impfstoffe im Hinblick auf die Wirksamkeit, aber auch auf ihr Nebenwirkungsprofil mit den alten Impfstoffen aus der Pockeneradikationsphase vergleichbar sind.
Ob die neue Anzüchtungsmethode tatsächlich zu einer besseren Verträglichkeit führt als die des alten Impfstoffes, der auf Kälber- oder Schafhaut herangezüchtet wurde, sei ungewiss, ergänzt Prof. Dr. Burkhard Schneeweiß, Berlin, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats des Aktionskreises Impfschutz e. V. Das ließe sich nur im Falle eines Neuausbruchs der Seuche klären.
Ungewiss sei außerdem, welche Nebenwirkungen die Erstimpfung bei Erwachsenen haben wird. Schließlich sei eine ganze Generation nicht mehr im Kindesalter geimpft worden und niemand wisse, ob eine Erstimpfung im höheren Alter möglicherweise noch größere Risiken berge.
Viele Komplikationen
Nach dem durchschlagenden Impferfolg bei der Ausrottung der Pocken sank verständlicherweise die Bereitschaft, Risiken und Nebenwirkungen der Pockenimpfung auf sich zu nehmen – die Impfsicherheit rückte zunehmend in den Blickwinkel.
Wie Schneeweiß in einem von Chiron Behring unterstützten Ärzte-Seminar des Aktionskreises Impfschutz e. V. kürzlich ausführte, muss schon bei Kindern mit einer Häufigkeit von 1: 300 bis 1: 5000 mit Impfkomplikationen nach Pockenimpfung gerechnet werden. Dazu gehören lokale Hauterscheinungen wie Nebenpocken und Narben und auch allgemeine, schwere Komplikationen wie ein ausgebreitetes Vakzine-Ekzem, Herzmuskelentzündungen, Lungenentzündungen und die zwar seltene, aber gefürchtete Gehirnentzündung nach Impfung.
Noch heute, so der Impfexperte, zählten die Komplikationen nach Pockenimpfung zu den häufigsten Anlässen für einen Antrag auf Anerkennung eines Impfschadens, obwohl die Impfung schon seit mehr als 20 Jahren nicht mehr durchgeführt wird.
Dreiphasige Strategie
Dem derzeit ungünstigen Nutzen-Risiko-Verhältnis einer Wiedereinführung der Pockenimpfung trägt die aktuelle Pocken-Bekämpfungsstrategie der Bundesrepublik Rechnung. Wie Prof. Dr. Sieghart Dittmann, Berlin, Stellvertretender Vorsitzender der Ständigen Impfkommission (STIKO) beim Robert Koch-Institut (RKI) ausführte, sollen in der Phase 1, die der jetzigen Situation mit keinem einzigen Pockenfall weltweit entspricht, nur Personen in Kompetenzzentren geimpft werden.
In der Phase 2 – wenn eine erste Pockenerkrankung irgendwo auf der Welt auf bioterroristische Aktivität hinweist – sollen medizinisches Personal, Rettungskräfte und Personen des öffentlichen Dienstes geimpft werden. Erst in der Phase 3, beim Auftreten von Pockenfällen in Deutschland, soll es zuerst zu Abriegelungsimpfungen und im Ernstfall schließlich zu einer generellen Impfung kommen.
Bekämpfung anderer Infektionskrankheiten
Angesichts der eher hypothetischen Gefahr neuer Pockeninfektionen und der tatsächlichen Risiken der Impfung mit einem komplikationsträchtigen Impfstoff sollte nicht in Vergessenheit geraten, dass wir derzeit bei der Bekämpfung von Infektionskrankheiten vor ganz anderen Aufgaben stehen, forderte Dittmann. So sei kaum bekannt, dass die Masern weltweit fast eine Million Todesopfer pro Jahr fordern.
Die Impfprogramme der WHO und der UNICEF zielen auf die Halbierung der Masern-Todesfälle bis 2005. Für Europa ist das Ziel einer Maserneliminierung zunächst für das Jahr 2007 anvisiert, da immer wieder aufflackernde Durchbrüche eine frühere Eliminierung als unrealistisch erscheinen lassen. So machte eine Masernepidemie im vergangenen Jahr Schlagzeilen, bei der mehr als 1000 Erkrankungen allein in der Region Coburg gezählt wurden.
Ein solcher Maserndurchbruch wurde möglich, weil einige Ärzte ausgerechnet die Impfung für gefährlicher hielten als die Erkrankung. Dies ist schwer verständlich, da die heute von der STIKO empfohlenen Impfungen durchweg gut verträglich sind, eine Masernerkrankung dagegen in etwa jedem 670. Fall zu einer Gehirnentzündung führt. Aber auch eine gute Nachricht hatte Dittmann: "Als bioterroristische Waffe sind die Masern nicht geeignet."
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