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- DAZ 39/2003
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Arzneimittel und Therapie
Psychotrope Phytopharmaka: Leichte Depressionen pflanzlich behandeln?
Nach einer Schätzung der Weltgesundheitsorganisation kennt jeder Vierte seelische Störungen aus eigener Erfahrung. Längst nicht jeder Betroffene gesteht sich ein, dass er Hilfe braucht, sei es in Form einer Psycho-, Sozio- oder Pharmakotherapie. Psychotrope Phytopharmaka füllen hier eine wichtige Behandlungslücke.
Bei psychischen Störungen scheint die Hemmschwelle gegenüber pflanzlichen Arzneimitteln geringer zu sein als gegenüber synthetischen: Das "Phyto-Antidepressivum" Johanniskraut erfährt in den letzten Jahren einen enormen Aufschwung, auch beruhigende Phytopharmaka, wie Baldrian, werden zunehmend eingenommen. Professor Volker Faust, Ravensburg-Weißenau, forderte allerdings: "Auch Phytopharmaka sollten nie ohne ärztliche Diagnose und Therapiebegleitung eingenommen werden."
Bewiesene und diskutierte Indikationen
In klinischen Studien wurde die Wirksamkeit von Johanniskraut-Extrakten bei leichten bis mittelschweren Depressionen belegt. Keine klinische Evidenz gibt es für weitere Indikationen, die aber in der Praxis nach Ansicht von Professor Faust dennoch mitunter einen Versuch wert sind:
- saisonal abhängige Depression (Winterdepression)
- Trauerreaktionen
- Burnout-Syndrom, wenn der depressive Anteil in den Vordergrund tritt
- prämenstruelles Syndrom
- somatoforme Störungen, also seelische Störungen, die sich unverarbeitet körperlich niederschlagen können
- chronisches Müdigkeitssyndrom
- Fibromyalgie
- Tinnitus
- chronischer Schmerz
Warum die Kombination aus drei Drogen?
Antidepressiva wirken gezielt auf die Physiologie der Synapse, indem sie Neurotransmitter-Systeme beeinflussen. Das gilt nicht nur für synthetische, sondern auch für pflanzliche Antidepressiva: So blockiert Johanniskraut-Extrakt die Serotonin-Wiederaufnahme.
Neben der Serotonin-Neurotransmission ist die GABA-Neurotransmission an der Aufrechterhaltung einer stabilen Stimmungslage beteiligt. Beide Transmitter-Systeme überlappen. Eine Steigerung der Serotonin-Neurotransmission bewirkt verzögert auch eine erhöhte GABA-Neurotransmission.
Neurapas® balance ist ein pflanzliches Kombinationspräparat, das vermutlich beide Systeme günstig beeinflusst. Es enthält neben Johanniskraut- auch Baldrianwurzel- und Passionsblumenkraut-Extrakt.
Die Baldrian-Komponente wirkt entspannend und beruhigend und stabilisiert das Schlafmuster; diese Wirkungen scheinen über eine direkte Erhöhung der GABA-Neurotransmission vermittelt zu werden.
Passionsblumenkraut wird traditionell zusammen mit anderen Arzneidrogen als leichtes Beruhigungsmittel eingesetzt. Es gibt Studien zu seiner anxiolytischen und entspannenden Wirkung. Eine neue Untersuchung ergab, dass Passionsblumenkraut die Serotonin-Wiederaufnahme-hemmende Wirkung von Johanniskraut verstärkt.
Die Dreifachkombination verbindet somit eine langsame Stimmungsaufhellung durch eine erhöhte Serotonin-Neurotransmission mit einer schnellen Linderung von Angst und Unruhe über die direkte Aktivierung der GABA-Neurotransmission.
Doppelblindstudie bei leichter Depression
Das Kombinationspräparat wurde kürzlich in einer noch nicht veröffentlichten kleinen randomisierten plazebokontrollierten Doppelbindstudie an Patienten mit leichter Depression geprüft. Die Studie fand in einer Praxisklinik für Naturheilverfahren in Siegen statt.
Die 66 Studienteilnehmer waren zwischen 18 und 70 Jahre alt und litten seit mindestens vier Wochen und höchstens zwei Jahren an einer Depression. Der Schweregrad der Depression lag auf der Hamilton-Dep ressions-Skala 21 zwischen 10 und 17 ( = leichte Depression).
Nach einer einwöchigen Plazebo-run-in-Phase nahmen die Patienten sechs Wochen lang dreimal täglich zwei Tabletten Neurapas® balance (n = 32) oder Plazebo (n = 34) ein. Sie suchten wöchentlich den Arzt auf.
Hauptzielkriterium war der Punktwert auf der Hamilton-Depressions-Skala 21 nach sechs Wochen Behandlung. Als Nebenzielkriterien wurden die Punktwerte gemäß Selbsteinschätzungs-Skala, Hamilton-Angst-Skala, klinischem Gesamturteil des Arztes (Clinical Global Impressions), einem Lebensqualitäts-Fragebogen und einem Schlaf-Fragebogen erfasst.
Während der Behandlung besserte sich die Depression in der Verum-Gruppe im Vergleich zur Plazebo-Gruppe signifikant: Dort sank der Hamilton-Depressions-Score innerhalb von sechs Wochen von durchschnittlich 12,6 auf 6,8 Punkte, in der Plazebo-Gruppe stieg er von 12,5 auf 12,8. Bereits nach zwei Wochen Behandlung war der Unterschied signifikant.
Als Ansprechen auf die Behandlung (Response) galt ein Absinken des Punktwerts unter 10 oder eine Verbesserung um mindestens 50%. 84% der Patienten unter dem Phytopharmakon und 12% unter Plazebo waren Responder.
Bei allen Nebenzielkriterien mit Ausnahme der körperlichen Lebensqualitäts-Aspekte erzielte das Phytopharmakon signifikante Verbesserungen. Die beiden unerwünschten Ereignisse (eines unter Verum, eines unter Plazebo) hatten keinen Zusammenhang zur Studienmedikation.
Quelle
Prof. Dr. Volker Faust, Ravensburg, Prof. Dr. Gerard Patrick McGregor, Marburg, Dr. Andrea Wartenberg-Demand, Gießen, Pressekonferenz "Einzigartige Phytokombination. Überzeugende Ergebnisse bei Depression und Angst", Hamburg, 9. September 2003, veranstaltet von der Pascoe Pharmazeutische Präparate GmbH, Gießen.
Johanniskraut-Extrakte haben sich bei leichten bis mittelschweren Depressionen als wirksam erwiesen. Für ein Kombinationspräparat aus Johanniskraut-, Baldrian- und Passionsblumen-Extrakt wurde die Wirksamkeit in einer kleineren Doppelblindstudie ebenfalls nachgewiesen. Mögliche Vorteile der Kombination sind synergistische Wirkungen und günstige Begleitwirkungen auf Angst, Unruhe und Schlafqualität.
- Trockenextrakt (4,6 – 6,5:1) aus Johanniskraut 60 mg Auszugsmittel: Ethanol 38% (m/m)
- Trockenextrakt (3,8 – 5,6:1) aus Baldrianwurzeln 28 mg Auszugsmittel: Ethanol 40% (m/m)
- Trockenextrakt (6,25 – 7,1:1) aus Passionsblumenkraut 32 mg Auszugsmittel: Ethanol 60% (m/m)
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