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Gesundheitsreform: Bundestag verabschiedet GMG – sechs Gegenstimmen aus de
Die Debatte anlässlich der zweiten und dritten Lesung des Gesetzentwurfs bot kaum Überraschungen. SPD, Union und Grüne verteidigten den Kompromiss. Der Fraktionsvorsitzende der FDP Wolfgang Gerhard bezeichnete ihn als "geprägt durch tiefes Misstrauen gegenüber den Gesundheitsberufen" und "nicht freiheitlich".
SPD und Grüne: Leistungserbringer ebenfalls belastet
Die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Gudrun Schaich-Walch und die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen Biggi Bender wiesen den Vorwurf zurück, die Gesundheitsreform belaste einseitig die Patienten und verschone die Leistungserbringer: Bereits im letzten Jahr seien die Leistungserbringer durch das Beitragssatzsicherungsgesetz mit 3,5 Mrd. Euro belastet worden.
Nun werde allein die Pharmaindustrie für weitere 1,5 Mrd. Euro herangezogen, so Schaich-Walch. Bender lud Skeptiker ein, in ihrem Büro die hohen Stapel von Briefen der Pharmaindustrie zu betrachten: Einhellig beklage diese hierin, der ihr auferlegte Rabatt treibe sie in den Ruin. Ungeschoren komme bei dieser Reform niemand davon, so Bender.
Dennoch, so die Grüne weiter, bleibe der Gesetzentwurf hinter dem Koalitionsentwurf zurück. So blieben etwa die Kartelle der Ärzte bestehen und die im Bereich des Arzneimittelhandels erzielte Öffnung "hinter den Reformnotwendigkeiten zurück". Man könne sich darauf verlassen, dass die Grünen hier weiter kämpfen werden.
Gesetzeswidrige Arzneimittellieferung via "aponet" toleriert man gerne
Die parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium Marion Caspers-Merk (SPD) bemerkte mit Interesse, dass die Apotheker, die noch während des Wahlkampfes sieben Millionen Unterschriften gegen den Arzneimittelversandhandel gesammelt hatten, schon jetzt ein Internetportal einführen, über das man Arzneimittel zur Lieferung ans Krankenbett bestellen könne. Diese bislang noch rechtwidrige Praxis toleriere man gerne, so die Staatssekretärin.
Union: ruinöser Wettbewerb verhindert
Der gesundheitspolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe Wolfgang Zöller betonte, dass das die Apotheker betreffende Regelungswerk "einer der am schwierigsten zu verhandelnden Bereiche" gewesen sei: "Wir wollten die hochwertige und flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln nicht aufs Spiel setzen".
Angesichts der sich abzeichnenden Rechtsprechung des EuGH zum Versandhandel habe man die "Chance genutzt, politische Rahmenbedingungen vorzugeben, die einen ruinösen Wettbewerb verhindern und gleichzeitig die Arzneimittelsicherheit schützen sollen", so Zöller. Mit der strikten zahlenmäßigen und regionalen Begrenzung des Mehrbesitzes habe man auch die Bildung von Apothekenketten verhindern können.
Ärger um die sechs SPD-Abweichler
Über den Gesetzentwurf wurde sodann namentlich abgestimmt. Es zeigte sich, dass nicht alle SPD-Parlamentarier von der Reform überzeugt werden konnten. So votierten Horst Schmidbauer, Fritz Schösser, Klaus Barthel, Ottmar Schreiner, Sigrid Skarpelis-Sperk und Rüdiger Veit gegen das GMG.
Bei den Grünen gab es lediglich eine Enthaltung. Die rot-grüne Mehrheit hatten die Neinsager nicht gefährdet. Dies war jedoch vor allem darauf zurück zu führen, dass 23 Abgeordnete der CDU/CSU-Bundestagsfraktion bei der Abstimmung fehlten. Zudem stimmten drei Unions-Abgeordnete gegen den Gesetzentwurf, zwei enthielten sich.
Die sechs Abweichler der SPD zogen sich im Anschluss an die Abstimmung den Unmut des SPD-Fraktionschefs Franz Müntefering zu, der von einem "feigen" und "kleinkarierten" Verhalten sprach. Auch Abgeordnete aus dem konservativen Flügel der SPD-Fraktion zeigten sich verständnislos über das Verhalten ihrer Kollegen und legten ihnen einen Mandatsverzicht nahe.
Heftige Diskussionen im SPD-Parteivorstand
Am 29. September beriet der SPD-Parteivorstand ausführlich die Geschehnisse des 26. September. Auch die Abtrünnigen Ottmar Schreiner und Sigrid Skarpelis-Sperk gehören dem Vorstand an.
SPD-Generalsekretär Olaf Scholz erklärte im Anschluss an die Sitzung, viele Vorstandsmitglieder seien der Meinung, dass Beschlüsse, die so sorgfältig in der Partei und der Fraktion diskutiert wurden, von Abgeordneten auch befolgt werden müssten. Er rief die Partei zur Geschlossenheit auf und betonte, wichtige Reformen müsse die Koalition künftig mit eigener Mehrheit im Bundestag beschließen.
Dass dies künftig so sein solle, glaubt Scholz durch "Signale" bislang kritischer Vorstandsmitglieder erkannt zu haben. Klaus Barthel und Horst Schmidbauer kündigten unterdessen an, künftig weiteren Widerstand gegen anstehende Reformgesetze zu leisten. "Man darf die sozialen Einschnitte nicht auf die Spitze treiben" sagte Schmidbauer der Berliner Zeitung (Ausgabe vom 30. September).
Das Gesetz zur Modernisierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GMG) hat den Bundestag passiert: Am 26. September stimmten von 574 anwesenden Parlamentariern lediglich 54 gegen den Gesetzentwurf, drei enthielten sich der Stimme. Trotz sechs Gegenstimmen aus den Reihen der SPD konnte die Regierungskoalition eine eigene Mehrheit erreichen. Die Abweichler unter den Sozialdemokraten sahen sich nach der Abstimmung jedoch harscher Kritik ausgesetzt – gar ein Mandatsverzicht wurde ihnen nahe gelegt. Bundeskanzler Gerhard Schröder und SPD-Generalsekretär Olaf Scholz riefen im Hinblick auf die noch anstehenden Sozialreformen zu Geschlossenheit auf.
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