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D. UhlChronische Schmerzen – Neue Videopharm-T

Chronische Schmerzen und deren Ursachen richtig zu erkennen ist eine hohe Kunst, sie adäquat zu behandeln ebenfalls. Unerlässlich ist eine genaue Kenntnis der Pathophysiologie. Wie entsteht Schmerz? Was geschieht, wenn Schmerz chronisch wird? Wie bildet sich ein Schmerzgedächtnis aus Ų und kann man das Schmerzgedächtnis wieder löschen? Das sind ganz entscheidende Fragen, die durch intensive Forschung Ų gerade in den letzten Jahren Ų immer besser beantwortet werden können. Und diese neuen Erkenntnisse lassen Hoffnung aufkommen, in Zukunft wesentlich effektiver in das Schmerzgeschehen eingreifen zu können. Auch mit den jetzt zur Verfügung stehenden Möglichkeiten kann schon viel bewirkt werden. Ganz entscheidend ist es, einen sich chronifizierenden Schmerz so früh wie möglich zu erkennen und zu versuchen, diesen Prozess zu unterbinden. Einen umfassenden Überblick zum Stand der Forschung und zu den Therapiemöglichkeiten bietet die neue Videopharm-Themenausgabe "Chronische Schmerzen".

Wenn Schmerz chronisch wird ...

Akute Schmerzen sind überlebenswichtige Alarmzeichen des Körpers. Sie zwingen zu schnellen Reaktionen, welche die Beseitigung der Schmerzursache zum Ziel haben. Im Laufe der Zeit können jedoch zunächst akute Schmerzen chronisch werden. Wie kommt es dazu?

Schmerzen werden vom Körper mithilfe von Schmerzrezeptoren, den so genannten Nozizeptoren, wahrgenommen. Nozizeptoren sind freie Nervenendigungen von aufsteigenden Nervenbahnen, den afferenten Aδ- und C-Fasern. Ein für den Körper schädlicher Reiz wird von den Nozizeptoren in Aktionspotenziale umgewandelt und über die afferenten Aδ- und C-Fasern zum Hinterhorn des Rückenmarks geleitet.

Dort wird der Neurotransmitter Glutamat ausgeschüttet, der an die Glutamat-Rezeptoren α-Amino-3-Hydroxy-5-Methyl-4-Isoxazolpropionsäure-Rezeptor (AMPA-Rezeptor) und N-Methyl-D-Aspartat-Rezeptor (NMDA-Rezeptor) bindet.

Dadurch werden die Hinterhornneuronen synaptisch erregt, mit der Folge, dass die Information in verschiedene neuronale Netze des Hirnstamms, des Endhirns und des Rückenmarks eingespeist wird und Reflexreaktionen ausgelöst werden. Parallel dazu kommt es zu einer komplexen zentralen Informationsverarbeitung, die letztlich zur Sinneswahrnehmung Schmerz führt.

Je nach Art des Reizes, der zur Schmerzwahrnehmung führt, lassen sich folgende Schmerzarten unterscheiden:

  • Der physiologische Nozizeptorschmerz. Auslöser kann ein mechanischer, thermischer oder chemischer Reiz auf gesundes Gewebe sein. Der Schmerz selber ist von kurzer Dauer.
  • Der pathophysiologische Nozizeptorschmerz. Er wird durch Entzündungen oder durch eine Gewebeschädigung ausgelöst. Die Schmerzen können anhalten und sich in Form von Ruheschmerzen bemerkbar machen.
  • Neuropathische Schmerzen. Sie sind Folge einer Schädigung von Nerven oder Nervenwurzeln.
  • Zentrale Schmerzen. Hierbei entstehen die Schmerzen durch Schädigung zentralnervöser Neuronen.

Treten solche Schmerzen immer wieder auf oder halten sie länger an, spricht man von chronischen Schmerzen. Wie kommt es dazu? Werden Nozizeptoren wiederholt starken Schmerzreizen ausgesetzt, sinkt ihre Reizschwelle. Verantwortlich dafür ist die verstärkte Bildung und Freisetzung von Schmerzmediatoren wie Bradykinin, Substanz P, Histamin und Serotonin. Neben dieser peripheren Sensibilisierung kommt es zu einer zentralen Sensibilisierung, die durch Veränderungen auf Rückenmarkebene charakterisiert ist.

Zunächst werden im Rückenmark große Mengen an Glutamat freigesetzt, mit der Folge, dass der NMDA-Rezeptor, ein für Calciumionen permeabler Ionenkanal, aktiviert wird. Bei einer schwachen Erregung verhindert eine Mg2+-Blockade die Aktivierung des NMDA-Rezeptors durch Glutamat, bei einer starken Erregung verbunden mit einer Ausschüttung von großen Mengen Glutamat wird diese Blockade aufgehoben und Calciumionen fließen aus dem synaptischen Spalt in das Zellinnere des Hinterhornneurons ein. Mithilfe von Calcium werden nun verschiedene Proteine phosphoryliert, was wiederum dazu führt, dass diese Nervenzellen bei wiederholter Transmitterexposition wesentlich effektiver auf einlaufende Reize reagieren können.

Der starke Schmerzreiz hat also seine Spuren im Rückenmark hinterlassen. Calcium ist danach in entscheidender Weise an der Ausbildung des Schmerzgedächtnisses beteiligt. Den Vorgang, der auf zellulärer Ebene abläuft, bezeichnet man als synaptische Langzeitpotenzierung.

Die Ausbildung des Schmerzgedächtnisses verhindern!

Will man eine Chronifizierung von Schmerzen und damit die Ausbildung des Schmerzgedächtnisses vermeiden, muss verhindert werden, dass es auf zentraler Ebene zu einer neuronalen Übererregbarkeit kommt.

Während einer Operation besteht die Möglichkeit, mithilfe von Lokalanästhetika und Opiaten das Nervensystem vor Schmerzimpulsen zu schützen. Man spricht von einer präventiven Analgesie, zu der Infiltrations-, Plexus- und Leitungsanästhesien, die Spinalanalgesie und eine pharmakologische Blockade zählen. Bei der Infiltrations-, Plexus- und Leitungsanästhesie wird die Glutamatfreisetzung aus nozizeptiven Aδ- und C-Fasern im Rückenmark durch eine periphere Nervenblockade vermindert oder unterbunden. Bei der Spinalanalgesie mit Opioiden, die an präsynaptische Rezeptoren binden, lässt sich die präsynaptische Transmitterfreisetzung hemmen und damit die Glutamatfreisetzung reduzieren.

Wird die Spinalanalgesie mit postsynaptisch angreifenden Opioiden durchgeführt, werden die nozizeptiven Hinterhornneuronen gehemmt, die Erregung wird verringert. Der Magnesiumblock bleibt bestehen, Calcium kann nicht in das Zellinnere der Hinterhornneuronen einfließen. Verhindern lässt sich die Entstehung des Schmerzgedächtnisses nur bei vorhersagbaren Schmerzereignissen, also beispielsweise bei einer Operation.

Lässt sich das Schmerzgedächtnis löschen?

Ziel einer Therapie chronischer Schmerzen ist es, die Spuren, welche die Schmerzreize im Nervensystem hinterlassen haben, nach Möglichkeit zu beseitigen. Mit Lokalanästhetika oder beispielsweise Opiaten wird versucht, die Übererregbarkeit der Nervenzellen zu dämpfen. Neben den pharmakotherapeutischen Möglichkeiten versprechen auch die so genannten Gegenirritationsverfahren wie transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS), Akupunktur und Elektroakupunktur Hilfe. Bei diesen Gegenirritationsverfahren werden sensible Nervenfasern therapeutisch erregt mit dem Ziel, die synaptische Übertragungsstärke zwischen nozizeptiven Aδ- bzw. C-Fasern und Neuronen langanhaltend zu hemmen und eine synaptische Langzeithemmung als Gegengewicht zur synaptischen Langzeitpotenzierung zu erzeugen.

Einfach löschen lässt sich das Schmerzgedächtnis allerdings in der Regel nicht, sodass häufig eine medikamentöse Schmerztherapie zur Linderung der Beschwerden notwendig ist.

Analgetika und Adjuvanzien – Medikamentöse Eckpfeiler in der Therapie chronischer Schmerzen

Opioide und nichtopioide Analgetika bilden die Grundlage der medikamentösen Therapie chronischer Schmerzen. Entscheidend für die Wahl eines Analgetikums ist die Schmerzart.

Nichtopioide/nichtsteroidale Antiphlogistika

Nichtsteroidale Analgetika werden bei entzündlichen Schmerzen, Gelenkschmerzen, Tumorschmerzen und Schmerzen als Folge von Knochenmetastasen eingesetzt. Zu ihnen zählen Acetylsalicylsäure, Diclofenac, Ibuprofen, Naproxen, Piroxicam, Celecoxib und Parecoxib. Sie greifen in unterschiedlicher Weise in die Prostaglandinbiosynthese ein und unterbinden die Bildung von Prostaglandinen, die an der Entstehung von Entzündung, Schmerz und Fieber beteiligt sind. Ein Problem bereiten schwere gastrointestinale Nebenwirkungen, mit denen bei allen älteren nichtsteroidalen Antiphlogistika zu rechnen ist.

Verantwortlich dafür ist die Hemmung der Cyclooxygenase 1 (COX1) durch diese Antiphlogistika. Die COX-1 ist unter anderem für die Bildung des schleimhautschützenden Prostaglandins E2 im Magen verantwortlich. Von Substanzen, die die COX1 weitgehend unbeeinflusst lassen, erhofft(e) man sich eine verträglichere Schmerztherapie. Bei den selektiven COX-2-Hemmern Celecoxib und Rofecoxib soll die Inzidenz schwerer gastrointestinaler Komplikationen nur halb so hoch sein wie bei anderen nichtsteroidalen Antiphlogistika.

Naheliegend ist auch der Versuch, nichtsteroidale Antiphlogistika magensaftresistent zu ummanteln und somit die gastrointestinalen Komplikationen zu reduzieren. Magensaftresistent überzogene Diclofenac-Arzneiformen wurden allerdings nicht mit diesem Ziel entwickelt. Hier soll der Überzug verhindern, dass Diclofenac-Natrium im sauren Milieu des Magens gleich wieder verklumpt.

Opioidanalgetika

Opioidanalgetika sind die stärksten zur Verfügung stehenden medikamentösen Waffen im Kampf gegen Schmerzen. Sie entfalten ihre Wirkung über Opioidrezeptoren, die sowohl auf zentraler Ebene als auch in der Peripherie zu finden sind. Auf zentraler Ebene stimulieren Opioide wie körpereigene Endorphine das absteigende schmerzhemmende System. Auf Rückenmarkebene werden nozizeptive Impulse unterdrückt. Bindung an periphere Opioidrezeptoren führt zur Analgesie.

Die weite Verbreitung der Opioidrezeptoren erklärt das breite Spektrum unerwünschter, aber auch zum Teil erwünschter Wirkungen von Opioidanalgetika. Problematisch sind beispielsweise die Hemmung des Atemzentrums, die Stimulation des Brechzentrums vor allem zu Beginn der Therapie und eine spastische Obstipation. Die Beseitigung von Angstgefühlen und eine Verbesserung der Stimmungslage sind dagegen positiv zu beurteilen.

Gefürchtet ist die Erzeugung von psychischer und physischer Abhängigkeit im Rahmen einer Schmerztherapie. Groß ist diese Gefahr bei nichtretardierten Opioiden, da hier die Blutspiegel schnell ansteigen und schnell wieder abfallen. Durch Retardierung lässt sich das Problem der Toleranzentwicklung und Dosissteigerung stark reduzieren. Daher werden in der Therapie chronischer Schmerzen bevorzugt retardierte Opioide eingesetzt. Zu nennen sind hier die entsprechenden Zubereitungen von Morphin, Oxycodon, Fentanyl und Buprenorphin. Neben Tabletten und Kapseln stehen inzwischen auch transdermale Applikationsformen zur Verfügung, die eine sehr gleichmäßige Grundversorgung mit Schmerzmitteln garantieren. Es handelt sich dabei um Buprenorphin- und Fentanyl-haltige Pflaster.

Nichtanalgetika – Adjuvanzien

In der Therapie chronischer Schmerzen kommen Substanzen aus Indikationsgebieten zum Einsatz, die zunächst keinen direkten Einfluss auf das Schmerzgeschehen vermuten lassen. Es handelt sich hierbei beispielsweise um trizyklische Antidepressiva, Antikonvulsiva, Neuroleptika, Glucocorticoide, Bisphosphonate und Calcitonin.

Trizyklische Antidepressiva

Trizyklische Antidepressiva können bei Rückenschmerzen, Migräne- und Spannungskopfschmerzen, Tumorschmerzen, Schmerzen im Rahmen einer Polyneuropathie und postherpetischen Schmerzen indiziert sein. Sie haben neben ihrer antidepressiven Wirkung auch eine eigenständige analgetische Wirkung. Sie lässt sich zum einen durch die Hemmung der Wiederaufnahme von Serotonin und Noradrenalin erklären, zum anderen über eine Blockade von Natriumkanälen.

Die meisten Erfahrungen liegen mit Amitriptylin vor, aber auch Substanzen wie Doxepin, Clomipramin, Desipramin, Imipramin oder Nortriptylin können indiziert sein. Entscheidend für die Wahl ist das Nebenwirkungsspektrum. Amitriptylin und Doxepin wirken schlaffördernd und sind daher bei Patienten geeignet, bei denen die Schmerzen mit Schlafstörungen einhergehen. Antriebsgeminderte Schmerzpatienten können von einer Imipraminbehandlung profitieren. Führt eine Amitriptylinbehandlung zu unerträglichen anticholinergen Nebenwirkungen, kann auf Nortriptylin ausgewichen werden.

Antikonvulsiva und Neuroleptika

Antikonvulsiva wie Gabapentin, Oxcarbazepin, Carbamazepin und Lamotrigin spielen eine wichtige Rolle in der Therapie neuropathischer Schmerzen, vor allem dann, wenn die Schmerzen einen einschießenden Charakter haben. Mittel der ersten Wahl sind Carbamazepin und Gabapentin. Die Substanzen müssen zur Vermeidung von Nebenwirkungen zu Beginn der Therapie ausgehend von einer niedrigen Dosierung langsam in der Dosis gesteigert werden.

Bei Interaktionsproblemen von Carbamazepin mit anderen Therapeutika wie Antikoagulanzien kann auf Oxcarbazepin ausgewichen werden. Gabapentin und Lamotrigin haben im Vergleich zu Carbamazepin ein günstigeres Nebenwirkungsprofil. Neuroleptika wie Promethazin wirken sedierend und distanzfördernd, sodass sie in der Nacht den Schlaf verbessern können. Ihre antiemetische Wirkung lässt sich bei einer Opioidbehandlung nutzen.

Tranquillanzien und Muskelrelaxanzien

Viele Schmerzen gehen mit Muskelverspannungen und Muskelspasmen einher, so beispielsweise Spannungskopfschmerzen und Rückenschmerzen. Klassische Muskelrelaxanzien aus der Gruppe der Benzodiazepine können hier hilfreich sein. Baclofen wird eingesetzt, wenn Spasmen zu Schmerzen führen, beispielsweise bei Multipler Sklerose oder nach Querschnittslähmungen. Gute Erfolge lassen sich auch mit Botulinumtoxin bei spastischen Zuständen und Schmerzen im Rahmen einer Spastik erzielen.

Glucocorticoide

Glucocorticoide können aufgrund ihrer antiphlogistischen Wirkung schmerzauslösende Reaktionen verhindern, wenn diese Folge eines entzündlichen Prozesses sind. Ihre antiödematöse Wirkung wird bei Hirntumoren und anderen Malignomen genutzt. Schmerzen als Folge der Ödeme lassen sich so reduzieren. Eine eigenständige analgetische Wirkung haben Glucocorticoide nicht.

Calcitonin und Bisphosphonate

Calcitonin ist ein in der Therapie chronischer Schmerzen eingesetztes Adjuvans mit eigenständiger analgetischer Wirkung. Die schmerzhemmende Wirkung von Calcitonin lässt sich bei Patienten mit Knochenschmerzen nutzen. Bisphosphonate werden ebenfalls bei mit Schmerzen verbundenen Knochenerkrankungen eingesetzt.

Verschiedene Schmerzarten und ihre Behandlung – Orientierung durch Stufenschemata und Leitlinien

Es gibt eine Vielzahl von Substanzen, die zur Therapie chronischer Schmerzen eingesetzt werden können. Doch nicht jedes Analgetikum und Adjuvans ist für jede Schmerzart geeignet. Leitlinien zur Therapie verschiedener Schmerzarten sind daher wichtige Orientierungshilfen.

Kopfschmerzen und Migräne

Kopfschmerzen und Übelkeit sind die wichtigsten Leitsymptome einer Migräneattacke. Sie weisen auch den Weg zur Therapie. Indiziert sind Analgetika in Kombination mit Antiemetika. In erster Linie werden Acetylsalicylsäure und weitere nichtsteroidale Antiphlogistika wie Naproxen, Ibuprofen und Diclofenac eingesetzt. Als Antiemetika kommen Domperidon und Metoclopramid infrage.

Bei mittelschweren oder schweren Fällen sind inzwischen Triptane wie Sumatriptan, Zolmitriptan, Naratriptan, Rizatriptan, Eletriptan, Almotriptan und Frovatriptan Mittel der ersten Wahl. Je lipophiler das Triptan ist, umso wirksamer ist es auch. Allerdings steigt mit Zunahme der Lipophile auch die Häufigkeit von zentralnervösen Nebenwirkungen.

Triptane haben die Bedeutung der Ergotaminderivate in der Migränetherapie stark zurückgedrängt. In der Behandlung akuter Migräneattacken werden kaum noch Ergotaminderivate eingesetzt. Bei langandauernden Migräneattacken sind sie allerdings den Triptanen vorzuziehen, da unter ihnen seltener mit einem erneuten Auftreten von Kopfschmerzen zu rechnen ist.

Spannungskopfschmerzen

Gelegentlich auftretende Spannungskopfschmerzen lassen sich mit nichtsteroidalen Antiphlogistika oder Paracetamol behandeln. Relativ neu ist die Empfehlung der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft, bevorzugt eine Kombination bestehend aus 500 mg Acetylsalicylsäure, 400 mg Paracetamol und 100 mg Coffein einzusetzen. Bei chronischen Spannungskopfschmerzen kann eine medikamentöse Langzeitprophylaxe beispielsweise mit Amitriptylin indiziert sein. Erforderlich sind in jedem Fall auch verhaltenstherapeutische Maßnahmen.

Medikamenteninduzierter Dauerkopfschmerz

Schmerzmittelmissbrauch und damit verbunden ein medikamenteninduzierter Dauerkopfschmerz sind zu einem weltweiten Problem geworden. Alleine in den Kopfschmerzzentren lässt sich bei etwa 20% der Patienten die Indikation "Medikamenteninduzierter Dauerkopfschmerz" stellen. Im Prinzip können alle Schmerzmittel einen medikamenteninduzierten Dauerkopfschmerz auslösen. Am ungünstigsten schneiden nach der bisherigen Datenlage Triptane mit einer kritischen Einnahmedauer von 1,7 Jahren und 18 Einzeldosen im Monat ab. Bei Ergotaminderivaten wird die kritische Einnahmedauer mit 2,7 Jahren und 37 Einzeldosen im Monat angegeben, bei den übrigen Analgetika mit 4,8 Jahren und etwa 114 Einzeldosen im Monat.

Generell gilt, dass nicht mehr als 10 Einzeldosen eines Migränemittels im Monat eingenommen werden sollten. Bei einer Einnahmefrequenz von mehr als 15 Einzeldosen ist mit hoher Sicherheit mit medikamenteninduzierten Dauerkopfschmerzen zu rechnen. Patienten mit medikamenteninduzierten Dauerkopfschmerzen müssen sich einer ambulanten oder stationären Entzugsbehandlung unterziehen. Sie dauert in der Regel eine Woche. Um Rückfälle zu vermeiden, ist eine ambulante Nachbetreuung notwendig.

Rheumatoide Arthritis

Etwa 1% der Bevölkerung leidet unter einer rheumatoiden Arthritis, einer wahrscheinlich autoimmunologisch ausgelösten entzündlichen Erkrankung der Gelenke. Wichtige Eckpfeiler der Therapie sind eine antientzündliche Basistherapie und eine analgetische Therapie, die begleitet werden müssen von physiotherapeutischen Maßnahmen und weiteren Strategien.

Basistherapeutika werden je nach Progredienz und entzündlicher Aktivität der rheumatoiden Arthritis eingesetzt.

  • Ist sie inaktiv, sind keine Basistherapeutika erforderlich.
  • Bei geringer Aktivität, aber fehlender Progredienz werden Chloroquin, Sulfasalazin oder Auranofin eingesetzt.
  • Ist sie aktiv und progredient, bieten sich Methotrexat, Ciclosporin, Gold i.m., Azathioprin und Leflunomid an.

Sollte eine Monotherapie nach wenigen Monaten nicht zum Erfolg führen, können Kombinationsbehandlungen oder aber auch eine Behandlung mit gegen TNF-alpha gerichteten Antikörpern versucht werden. Die analgetische Therapie der rheumatoiden Arthritis folgt einem Stufenschema, das mit nicht-opioiden Analgetika beginnt, gefolgt von Corticosteroiden, schwach- und starkwirksamen Opioiden.

Neuropathische Schmerzen

In der Schmerztherapie neuropathischer Schmerzen orientiert man sich an den Symptomen. So werden einschießende brennende Schmerzen mit trizyklischen Antidepressiva wie Amitriptylin oder Antikonvulsiva wie Gabapentin und Carbamazepin behandelt. Bleibt die Therapie erfolglos, kann mit einer intravenösen Lidocain-Infusion versucht werden, die Schmerzen zu lindern. Eine Alternative kann auch eine Kombinationsbehandlung von Carbamazepin mit dem Antiarrhythmikum Mexiletin sein. Lassen sich auch so die Schmerzen nicht beherrschen, kann auf Opioide zurückgegriffen werden. Als letzte Möglichkeit bieten sich invasive Verfahren wie intrathekale Opioide, eine Rückenmarkstimulation, eine tiefe Hirnstimulation oder neurochirurgische Maßnahmen an.

Tumorschmerzen

Bis zu 90% der Tumorpatienten könnten so behandelt werden, dass sie nicht unter Schmerzen leiden. Dass immer noch so viele Patienten mit Schmerzmitteln unterversorgt sind, liegt nicht zuletzt daran, dass zu selten auf Opioide zurückgegriffen wird. Im Grunde genommen ist die Schmerztherapie von Tumorpatienten einfach: Sind nichtsteroidale bzw. nichtopioide Analgetika nicht ausreichend wirksam, werden Opioide eingesetzt, je nach Schmerzart kombiniert mit einem Adjuvans. Es ist darauf zu achten, dass es nicht zu Schmerzdurchbrüchen kommt. Dazu müssen die Medikamente nach einem festen Zeitplan eingenommen werden, der sich an der Pharmakokinetik der eingesetzten Substanzen orientiert.

Komplementäre Verfahren

Komplementäre Verfahren wie Hypnose, Biofeedback, transkutane elektrische Nervenstimulation, Akupunkturtechniken bis hin zur Homöopathie werden angeboten, um chronische Schmerzen in den Griff zu bekommen. Gute Erfolge lassen sich mit TENS bei Rückenschmerzen und neuropathischen Schmerzen erzielen. Biofeedback kann bei Spannungskopfschmerzen empfohlen werden. Kritisch wird die Wirksamkeit der Homöopathie beurteilt.

Die Genese chronischer Schmerzen wird immer besser verstanden. Bei wiederholten Reizen bildet sich ein Schmerzgedächtnis aus, sodass die Reizschwelle sinkt. Einfach löschen lässt sich das Schmerzgedächtnis nicht, aber je nach Schmerzart steht heute eine differenzierte effektive Schmerztherapie zur Verfügung. All dies erfahren Sie in der neuen Themenausgabe von Videopharm.

"Trifft nun wiederholt ein starker Schmerzreiz ein, werden also wiederholt massive Mengen von erregenden Überträgerstoffen freigesetzt, dann kommt es zu dem, was wir als Lernvorgang kennen, zu einem Aufschaukeln der Erregbarkeit dieser Nervenzellen ..." Prof. Dr. Walter Zieglgänsberger, München

"Die Inzidenz für schwere gastrointestinale Komplikationen ist bei selektiven COX2-Hemmern nur halb so groß wie bei anderen nichtsteroidalen Antiphlogistika. Allerdings erwies sich die therapeutische Relevanz dieses Effektes bei gleichzeitiger Gabe von Acetylsalicylsäure zur Herzinfarktprophylaxe als vergleichsweise gering." Prof. Dr. Dr. Gerd Geisslinger, Frankfurt

"Entgegen der landläufigen Meinung sind magensaftresistent überzogene Diclofenac-Arzneiformen nicht etwa mit dem Ziel entwickelt worden, die Magenschleimhaut vor der schädigenden Wirkung des Arzneistoffs zu schützen ..." Prof. Dr. Henning Blume, Oberursel

"Nicht retardierte Opioide haben ein beträchtliches Potenzial, zur Abhängigkeit und zur Gewöhnung zu führen. Das liegt daran, dass die Blutspiegel plötzlich ansteigen und wieder abfallen. Das kann man umgehen, indem man retardierte Opioide gibt. Bei retardierten Opioiden kommt es nur bei etwa fünf Prozent der langzeitbehandelten Patienten zur Toleranzentwicklung und zur Dosissteigerung." Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen

"Bei mittelschweren oder schweren Migräneattacken, die nicht auf Schmerzmittel ansprechen, sind heute Triptane die Substanzen der ersten Wahl …" Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen

"Lange Zeit hat man versucht, im Rahmen der Therapie neuropathischer Schmerzen die Grunderkrankung zu behandeln. In der Zwischenzeit hat aber ein Paradigmenwechsel stattgefunden …" Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen

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