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Fachtagung Gesundheitsökonomie: Die vierte Hürde – Erwartungen, Erfahrun
Veranstalter der Tagungsreihe sind das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit, der Landesapothekerverband und die Apothekerkammer Niedersachsen sowie der Gesundheitspolitische Arbeitskreis forschender Arzneimittelhersteller Nordwest.
Die Nutzenbewertung für medizinische und pharmazeutische Leistungen werden im neuen Jahr "an drive gewinnen", auch wenn die Bedingungen noch sehr unklar seien, meinte die Präsidentin der Apothekerkammer Niedersachsen, Magdalene Linz, in ihrem Grußwort zur Eröffnung. Doch mache Deutschland bei der Nutzenbewertung von Arzneimitteln Fehler, die andere Länder schon gemacht hätten.
Langsame Einführung von Innovationen
Prof. Dr. Oliver Schöffski, Erlangen, stellte seine Studie "Diffusion of Medicines in Europe" vor. Darin wird Literatur über die Behandlung von 18 Indikationen zusammengetragen, für die innovative Arzneimittel – nicht angebliche "Analogpräparate" – entwickelt wurden. Dabei zeige sich ein indikationsübergreifender Trend zu einer nur langsamen Durchsetzung der Innovationen.
Während beispielsweise in den USA 44% der geeigneten Patienten keine Statine erhielten, betreffe dies in den meisten untersuchten europäischen Ländern über 70%. Bei schwerer Depression würden in Deutschland etwa 65% der Patienten mangelhaft mit innovativen Arzneimitteln versorgt. Nur 5% der Migränepatienten erhielten eine moderne Behandlung. Die Unterversorgung von Diabetikern würde in Deutschland jährlich zu 44 000 vermeidbaren Schlaganfällen und zu 28 000 vermeidbaren Amputationen führen.
Die Ursachen für diesen Trend seien bei den Ärzten, den Patienten selbst, der Industrie und den politischen Rahmenbedingungen zu finden. Sie reichen von der Compliance über den Informationsstand der Patienten und Ärzte, Defizite beim Screening, den begrenzten Zugang zu Fachärzten in manchen europäischen Ländern bis zur Förderung der Generika und dem Marketing für ältere Arzneimittel durch deren Hersteller.
Die Gesundheitssysteme würden durch ihre Finanzierungskonzepte, die Zuzahlungsregelungen und organisatorische Ineffizienzen zu dem Trend beitragen. Die Politik beachte die ökonomischen Vorteile der Innovationen zu wenig, stelle keine ausreichenden Finanzmittel zur Verfügung, verzögere die Einführung in vielen Ländern durch lange Preisverhandlungen und behindere sie durch Kostendämpfungsmaßnahmen der verschiedensten Art.
Dieser europaweite Trend müsse gesellschaftlich diskutiert werden. Die Lücke zwischen tatsächlicher und theoretisch möglicher Versorgung sollte verkleinert werden. Dabei sollten innovative Arzneimittel eher als Chance und weniger als Bedrohung angesehen werden.
Viel Lärm ...
Dr. Rainer Rohrbacher, Basel, zeigte die Diskrepanz zwischen dem wissenschaftlichen Verständnis einer Kosten-Nutzen-Bewertung und der politischen Realität auf. Die Pharmakoökonomie fordert eine vergleichende Bewertung von Arzneimitteln unter Alltagsbedingungen, doch könnten solche Erfahrungen zum Zeitpunkt der Neuzulassung nicht vorliegen. Ziel der Pharmakoökonomie sei ein effizienter Einsatz von Arzneimitteln, der keineswegs für billige Arzneimittel sprechen müsse. Politiker würden dagegen primär an Kostensenkung denken.
Rohrbacher präsentierte Erfahrungen aus Australien und Kanada, die als erste Länder der Welt eine formale vierte Hürde eingeführt hatten. Dort sei eine teure Bürokratie entstanden, bei der die Bedingungen für die einzureichenden pharmakoökonomischen Studien bis ins kleinste Detail festgelegt würden.
Solche Studien enthalten notwendigerweise Modelle und Wahrscheinlichkeitsaussagen über epidemiologische Effekte, die angesichts langer Prognosezeiträume mit großen Unsicherheiten behaftet sind. Ein typischer Streitpunkt bei der Studiengestaltung sei die Auswahl des Referenzarzneimittels als Vergleichsmaßstab für eine neue Therapie. Die Entscheidung über die Erstattungsfähigkeit neuer Arzneimittel dauere teilweise bis zu vier Jahre.
Im Rahmen der vierten Hürde würden viele Entscheidungen nicht primär aufgrund der geforderten Kosten-Nutzen-Betrachtungen getroffen, sondern anhand der Stückkosten oder anhand des Gesamtnachfragevolumens, das den Effekt auf das landesweite Gesamtbudget bestimmt.
In vielen Fällen werden Arzneimittel als begrenzt erstattungsfähig eingestuft bzw. es werden Ausnahmen vom Erstattungsausschluss zugelassen. Dann muss in jedem Einzelfall eine behördliche Genehmigung für die Verordnung eingeholt werden. Im kanadischen Bundesstaat Ontario habe dies allein 2001 zu etwa 80 000 Einzelanfragen geführt.
In Australien erhalte die pharmazeutische Industrie sogar Subventionen als Ausgleich für die stark gesenkten Arzneimittelpreise. Diese würden aus dem gleichen Etat bezahlt, der durch die Arzneimittelpreise entlastet werden soll.
... um nichts
Letztlich würde aber auch die vierte Hürde nicht die Dynamik der steigenden Arzneimittelausgaben bremsen, zumal meist nur neue Arzneimittel überprüft werden können, während die etablierten Produkte unbeachtet bleiben. Die Arzneimittelausgaben in Australien würden seit der Einführung der vierten Hürde im Jahr 1993 nicht signifikant anders verlaufen als zuvor.
Besonders interessant ist der Vergleich zwischen den kanadischen Provinzen Ontario und Quebec. Denn in Ontario gilt eine vierte Hürde mit strengen Regelungen, während die Bedingungen in Quebec recht liberal sind. Dementsprechend unterscheidet sich auch die Zahl der jeweils erstattungsfähigen Arzneimittel in den verschiedenen kanadischen Provinzen beträchtlich. Daher hängt die Versorgung der Patienten dort erheblich vom Wohnort ab. Dennoch stiegen die Arzneimittelausgaben in Ontario und Quebec nahezu gleich an.
Ärzte differenzieren schon jetzt
Dr. Jürgen Bausch, Ehrenvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen, ergänzte, auch im internationalen Vergleich verliefe der Ausgabenanstieg in Ländern mit und ohne vierte Hürde ähnlich. Doch würden die meisten Ärzte in Deutschland auch ohne eine solche Hürde bereits verantwortungsbewusst verschreiben und wirtschaftliche Aspekte berücksichtigen.
Es werde zwischen vorteilhaften und weniger vorteilhaften Innovationen unterschieden. Damit wandte sich Bausch gegen die These von Schöffski, es bestehe ein genereller Trend zur Unterversorgung mit Innovationen.
So sei der Einsatz von Neuraminidase-Hemmern zwischen 2000 und 2002 zurückgegangen, weil sie meist nicht rechtzeitig zum Einsatz kämen. Die Verordnungen verliefen parallel zur Zahl der nachgewiesenen Grippefälle, was für eine gute Diagnostik spreche.
Die "umstrittenen" Arzneimittel würden langfristig immer weniger verordnet, allerdings brauche eine solche Entwicklung viel Zeit. Andererseits würden Innovationen mit hohem Nutzen, beispielsweise in der Transplantationsnachsorge oder zur Anwendung bei Enzymdefekten, trotz hoher Preise sehr schnell eingesetzt.
Bausch räumte ein, dass einige sehr teure Innovationen das Gesundheitswesen stark belasten könnten. Dabei könne das neue Institut für Qualität in der Medizin helfen, indem es mehr Informationen über den Nutzen der Arzneimittel bereitstelle und Studien von der Industrie einfordere. Für die Arbeit des Instituts müssten Schwellenwerte und transparente Entscheidungskriterien festgelegt werden. Innovationen müssten auch künftig schnell verfügbar sein.
Notwendiges vom Budget her definieren
Weitere Aspekte der Kosten-Nutzen-Bewertung wurden im Rahmen einer Podiumsdiskussion angesprochen, die Wolfgang van den Bergh, Ärzte-Zeitung, moderierte. Nach Ansicht von Eike Hovermann, SPD, MdB, sollte das medizinisch Notwendige nicht von den Möglichkeiten, sondern "vom Ende" her definiert werden.
Entscheidend seien die vorhandenen Mittel. Schon jetzt finde eine heimliche Rationierung statt, doch solle nicht unterschiedlich je nach Kassenlage entschieden werden. Daher sei die anstehende Reform zu begrüßen. Im Gegensatz zu früheren Zeiten könne jetzt nicht mehr Geld ins System geholt werden, auch Verschiebebahnhöfe würden nichts mehr bringen.
Es müsse nun diskutiert werden, was in der GKV bezahlbar sei. Doch werde diese Diskussion in Deutschland – im Gegensatz beispielsweise zur Schweiz und den Niederlanden – nicht geführt.
Auch in einer grundlegenden Änderung der GKV-Finanzierung sieht Hovermann keine Lösung. Die Bürgerversicherung sei nur ein "Sommerlochtheater". Gegen sie würden zu viele wirtschaftliche und politische Gründe sprechen. Denn der Bund habe nicht die Mittel, um die privat Versicherten für ihre Beitragsrückstellungen zu entschädigen. Andererseits könnten die verschiedenen Versicherungen nicht nebeneinander bestehen. Auch das Konzept der Herzog-Kommission böte keine Lösung, da es nur bei nachhaltigem Wachstum funktionieren könne.
Mögliche Einschränkungen ...
Auch Dr. Udo Niedergerke, Vorstandsmitglied der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen, räumte ein, dass nicht alles finanziert werden könne, was therapeutisch machbar sei. Aus der Perspektive der Praxis bereite ihm allerdings die wachsende Bürokratisierung noch mehr Sorgen.
Dies betreffe derzeit insbesondere den Verwaltungsaufwand bei den DMPs. Künftig würde das neue Institut die Praxis möglicherweise mit immer mehr Leitlinien überschütten, die nicht mehr zu überblicken wären.
Ingo Werner, Vorstandsvorsitzender des BKK Landesverandes Niedersachsen, beklagte, die Probleme der Nutzenbewertung im Ausland würden zu stark betont. Doch begrüße er den Ansatz von Bausch. Demnach solle das neue Institut den Ärzten eine rationale Grundlage für ihre Therapieentscheidungen geben und in einigen Punkten auch zu Verpflichtungen führen. Dies sei im Rahmen von vertraglichen Beziehungen üblich.
... und ihre Grenzen
Uwe Hansmann, stellvertretender Vorsitzender des LAV Niedersachsen, bedauerte, dass die Apotheker in dem neuen Institut nicht vertreten sein. Anstelle einer echten Nutzenbewertung befürchte er Rationierung und den verzögerten Einsatz von Innovationen.
Transparenz und Planungssicherheit sind nach Einschätzung von Dr. Hans Joachim Hutt, München, wesentliche Voraussetzungen für die Arbeit der forschenden Industrie. Diese müsse in möglichst vielen Ländern hinreichende Preise erzielen, um ihre Investitionen zu amortisieren. Nur bei geeigneten Rahmenbedingungen könnten auch in Zukunft therapeutische Innovationen erwartet werden.
Der Fortschritt sei unter marktwirtschaftlichen Bedingungen entstanden, Russland habe dagegen kein Blockbuster-Arzneimittel hervorgebracht. Die Politik müsse eingestehen, dass eine alternde Gesellschaft mehr Arzneimittel benötigt. Um die Zusammenhänge besser erkennen zu können, sei auch eine bessere Versorgungsforschung erforderlich.
Mit dem GMG wird eine Nutzenbewertung medizinischer Leistungen eingeführt, nachdem andere Länder schon Erfahrungen mit einer solchen vierten Hürde für die Erstattungsfähigkeit von Arzneimitteln gemacht haben. Während die Befürworter hierin einen großen Schritt zu einer rationaleren Therapie sehen, verweisen die Kritiker auf die enorme Bürokratie in Ländern mit Kosten-Nutzen-Bewertung. So müssten die Folgen der vierten Hürde in Australien sogar durch Subventionen an die Industrie ausgeglichen werden. Eine Übersicht über die Argumente bot die 7. niedersächsische Fachtagung Gesundheitsökonomie, die am 8. Oktober in Isernhagen stattfand.
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