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Apothekertag Mecklenburg-Vorpommern: Pharmazie in der Krise?
Die demographischen Herausforderungen (immer mehr Ältere), der medizinisch-technische Fortschritt, die Zunahme chronischer Erkrankungen und steigende Lohnnebenkosten erhöhten in den letzten Jahren den Reformdruck im Gesundheitswesen. Hinzu kam eine steigende Anspruchshaltung der Bevölkerung, wenig Eigenverantwortung und ein mangelndes Gesundheitsbewusstsein verstärkten diesen Druck.
Zu den Veränderungen im Gesundheitswesen trägt bei, so erklärte Prof. Dr. Klaus-Dirk Henke, Technische Universität Berlin, Institut für Volkswirtschaftslehre, dass das Europäische Wettbewerbsrecht und der Europäische Gerichtshof die treibende Kraft für mehr Markt in Deutschland und in Europa sind.
Außerdem findet sich europaweit ein Trend hin zu einer stärkeren Zertifizierung von Einrichtungen des Gesundheitswesens. Reformbedarf sei auch entstanden durch Über-, Fehl- und Unterversorgung, wenig transparente und stark zersplitterte Finanzierungs- und Vergütungsstrukturen, eine unzureichende Qualitätssicherung medizinischer Leistungen, fehlende Anreize für vernetzte Versorgungsstrukturen und zu viel selbst verschuldete Krankheiten.
Chancen sieht Henke darin, dass zurzeit ein Strukturwandel in unserer Gesellschaft stattfindet, bald wird nicht mehr die Branche der Informationstechnologie (IT) im Mittelpunkt stehen, sondern die Gesundheit. Die Apotheker sollten diesen neuen gesellschaftlichen Zyklus nutzen.
Henke empfahl, auch die Bereiche Fitness und Wellness ernst zu nehmen, sonst grenze man sich schnell aus. Die Apotheker müssten auch bei der integrierten Versorgung dabei sein und sich selbst aktiv einbringen.
Der Volkswirtschaftler befürchtete, dass mit der nächsten Reform ebenfalls kein großer Wurf kommen werden ("wir werden so weiter wurschteln, weil das System so komplex ist"), denn keiner versteht in diesem System alles. Notwendig wäre allerdings eine Radikalkur mit einem behutsamen Übergang in eine neue soziale Welt.
Henke möchte dort ansetzen, wo das historisch gewachsene System einer Begründung nicht mehr standhält, zum Beispiel bei der so genannten Friedensgrenze zwischen PKV und GKV und beim solidarischen System. Seine Zielrichtung ist eine Mindestversicherung für alle mit individuellen Wahl- und Wechselmöglichkeiten.
PKV und GKV sollten allmählich in eine neue Anbieterpluralität mit einer neuen Versicherungsaufsicht zusammenwachsen. Dabei räumt Henke durchaus ein, dass es einen sozialen Ausgleich für finanziell Schwache ebenso wie einen Risikostrukturausgleich aufgrund von Alter, Geschlecht und schweren Erkrankungen im neuen Krankenversicherungssystem geben sollte.
Henke plädiert für mehr Wettbewerb in der Leistungserbringung. Er spricht sich für Kopfpauschalen aus (z. B. 180 Euro pro Monat als Obergrenze), der Arbeitgeberbetrag sollte ausgezahlt und die soziale Selbstverwaltung allmählich überwunden werden. Seine Vision ist der Übergang vom Umlage- zum Kapitaldeckungsverfahren zum Schutz gegen die demographische Entwicklung.
Bei wechselnden Versicherungen sollte das angesparte Kapital anrechenbar sein. Eine Risikoüberprüfung bei Versicherungsbeginn oder -wechsel sollte nicht vorgesehen werden. Mit diesem neuen System könnte das Sozialrecht in einen privaten Rechtsrahmen überführt werden, das einen dauerhaften Ordnungsrahmen mit einem sozialgebundenen Wettbewerb bilde.
Was bedeutet das GMG für die Apotheken?
Bei der Verabschiedung des GMG habe man sich von dem Bild des Apothekers als freier Heilberuf leiten lassen, betonte Ulrich Dietz, Leiter des Referats Arzneimittelversorgung beim Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung.
Der Apotheker solle nicht der verlängerte Teil der Pharmaindustrie sein, sondern an der Seite des Arztes als eigenständiger Heilberuf wirken. Vor diesem Hintergrund seien auch die neuen gesetzlichen Regelungen zum Apothekenwesen entstanden, die Dietz in seinem Vortrag kurz vorstellte.
Ziel der neuen Arzneimittelpreisverordnung sei es beispielsweise gewesen, die Beratungsleistung des Apothekers zu honorieren, das Profil als Heilberufler zu stärken. Letztendlich müsse vor diesem Hintergrund auch die Freigabe der Preise für nichtverschreibungspflichtige Arzneimittel gesehen werden.
Anreize für die Selbstmedikation habe man auch mit der Einführung einer Praxisgebühr von 10 Euro und der Mindestzuzahlung bei einem Rezept von 5 Euro setzen wollen.
Überzeugungsarbeit komme allerdings, so gestand Dietz ein, auf die Apotheker zu, wenn es um Fragen der Zuzahlungsbefreiung von Patienten gehe. Denn prinzipiell gelte ab 1. Januar 2004: Alle Patienten müssen die Zuzahlung leisten, alte Befreiungsbescheinigungen gelten nicht mehr.
Patienten müssten, so sieht es das GMG vor, bis zu 2 Prozent ihrer Bruttoeinnahmen an Zuzahlungen selbst leisten (Chroniker bis zu 1 Prozent). Dies bedeutet, dass die Patienten zunächst die Zuzahlung leisten müssen und die Quittungen hierfür sammeln und dann einreichen können. Wird die Zwei-Prozent-Grenze erreicht, so stellen die Krankenkassen noch im Laufe des Jahres für ihre Versicherten die neuen gültigen Befreiungsbescheide aus.
Aktive Vorwärtsstrategie
Welche Auswirkungen das GMG auf die Apotheken hat, erklärte Dr. Frank Diener, Geschäftsführer Wirtschaft und Soziales der ABDA. Zum Thema Zuzahlung und Zuzahlungsbefreiung habe die ABDA bereits Patienten-Handzettel, Fachinfobroschüren und Plakate drucken lassen, um den Apotheker bei der Information seiner Patienten zu unterstützen.
Neuerungen wird es bei der Aut-idem-Regelung geben, per Vertrag zwischen Deutschem Apothekerverband und Krankenkassen wird definiert, was als preisgünstig zu gelten hat. Bei den Importregelungen stehen noch Verhandlungen aus, eine Quotenregelung kann für die Zukunft nicht zugesagt werden.
Zur Ausgrenzung der nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimittel von der GKV-Erstattung merkte Diener an, dass die Ausnahmen, die auch weiterhin auf Rezept verordnet werden dürfen, noch definiert werden müssten. Außerdem machte er auf die gesetzlich vorgesehene Übergangsregelung aufmerksam, wonach noch bis zum 31. März 2004 auch nicht-verschreibungspflichtige Arzneimittel auf Rezept verordnet werden dürften.
Auch weiterhin wird sich in der Lauertaxe für die OTC-Arzneimittel ein nach der alten Arzneimittelpreisverordnung berechneter Preis finden. Es spricht nichts dagegen, diesen Preis auch im Handverkauf anzuwenden. Außerdem, so kündigte Diener an, werde es einen "OTC-Manager" für Mitglieder der Apothekerverbände geben, die die Marktentwicklung beobachten und Trends auf diesem Gebiet analysieren.
Um die Non-Compliance bei Patienten zu vermeiden und als Merkhilfe für den Patienten läuft zurzeit die Entwicklung eines grünen Rezeptformulars, mit dem die Ärzte dem Patienten eine Empfehlung aus dem OTC-Bereich an die Hand geben können.
Dieses Formular soll der negativen Stigmatisierung, OTC-Arzneimittel seien nichts wert, entgegen wirken. Von Ärzteseite seien bereits positive Reaktionen auf dieses grüne Rezept gekommen. Allerdings sei der Termin 1. Januar 2004 für die Einführung dieses Formulars wohl nicht mehr zu halten.
Nach über 100 Jahren preisabhängiger Vergütung der apothekerlichen Leistung führte das GMG erstmals einen festen Aufschlag von 8,10 Euro auf den Herstellerabgabepreis ein. Die preisabhängige Komponente betrage lediglich nur noch 3 Prozent. Dies bedeutet, dass sich Arzneimittel bis zu einem Apothekeneinkaufspreis von ca. 23 Euro verteuern, über 23 Euro jedoch verbilligen. Für die Apotheke bedeutet das ein Minus im Apothekenrohertrag von 500 Mio. Euro bei den Einnahmen aus der GKV-Versorgung in 2004 gegenüber 2002.
Zum Mehrbesitz merkte Diener an, dass das Gesetz feste Spielregeln geschaffen habe, mit denen man nun vernünftig umgehen könne. Fremdbesitz sei ausgeschlossen, er sollte von Skeptikern nicht herbeidiskutiert werden.
Ein Novum für die Apotheken werde die Teilnahme an der integrierten Versorgung sein. Preisausschreibungen als Wettbewerbsinstrument habe man verhindern können, es kommt hier auf die Qualitätskonkurrenz an.
Als Alternative stellte Diener Verträge zum Hausapothekenmodell heraus. Hier bieten die Apotheken einen Homeservice an, die Bestellung der Arzneimittel über das Internet, die pharmazeutische Betreuung, Arzneimitteldossiers und Apothekerbriefe für den Arzt.
Das Gesundheitswesen als Zukunftsbranche, die Vorstellungen der Bundesregierung zum Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GMG) und die Auswirkungen dieses Gesetzes auf die Apotheken waren Thema des diesjährigen Apothekertags Mecklenburg-Vorpommern, der zusammen mit der Scheele-Tagung vom 7. bis 9. November in Neubrandenburg stattfand. Das Resümee des Apothekertags: Ab 1. Januar 2004 werden wir in eine andere Apothekenwelt aufbrechen. Vieles wird für die Apotheken anders sein als früher – ob schlechter oder besser, wird weitgehend daran liegen, wie die Apothekerinnen und Apotheker mit den neuen Bestimmungen umgehen werden. Der Strukturwandel in unserer Gesellschaft jedenfalls deutet darauf hin, dass wir eine Phase bekommen, in der die Gesundheit im Mittelpunkt steht.
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