- DAZ.online
- DAZ / AZ
- DAZ 46/2003
- HIV-Infektion: Atazanavir...
Arzneimittel und Therapie
HIV-Infektion: Atazanavir für eine einfachere Therapie
In den vergangenen zehn Jahren haben HIV-assoziierte Morbidität und Letalität dank antiretroviralen Kombinationstherapien deutlich abgenommen, und eine HIV-Infektion kann heute als chronische Erkrankung betrachtet werden – sofern die erforderlichen Therapien zugänglich sind. Bei den gegenwärtigen therapeutischen Optionen bestehen drei große Schwierigkeiten:
- die Resistenzentwicklung
- die komplizierte und häufige Medikamenteneinnahme und
- therapiebedingte Nebenwirkungen (gastrointestinale Beschwerden, ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko, Dyslipidämien und Lipodystrophien).
Daher ist man bestrebt, Therapien zu entwickeln, die ein moderates Nebenwirkungsspektrum haben, keine oder therapierbare Resistenzen aufweisen und die Compliance des Patienten unterstützen. Dies ist besonders wichtig, da nur eine konsequente und zuverlässige Medikamenteneinnahme die Ausbreitung des Virus unterdrückt. Eine unzuverlässige Einnahme verringert die Wirksamkeit und öffnet den Weg für Resistenzen.
Heutiger Standard: die HAART-Therapie
Unter einem HAART-Regime (hochaktive antiretrovirale Therapie) versteht man die Kombination von mindestens drei antiretroviralen Substanzen. Eingesetzt werden NRTI (nukleosidische Reverse Transkriptase-Hemmer), NNRTI (nicht nukleosidische Reverse Transkriptase-Hemmer) und PI (Proteaseinhibitoren).
Welche Kombinationen eingesetzt werden, hängt vom Krankheitsbild, dem Nebenwirkungsspektrum, der Resistenzlage sowie der beruflichen und persönlichen Situation des Patienten ab. Durch das HAART-Regime lässt sich die Viruslast bei über 90% der Therapie-naiven HIV-Infizierten unter die virale Nachweisgrenze senken. Die Viruseradikation ist nicht möglich, da auch ruhende Zellen infiziert sind, die mit den derzeitigen Medikamenten nicht erreicht werden können. Dies bedeutet eine lebenslange Therapie.
Angestrebt: einmal tägliche Gabe
Die Kombination verschiedener HIV-Therapeutika und die Notwendigkeit einer zuverlässigen, lebenslangen Medikamenteneinnahme setzt eine gute Compliance des Patienten voraus. Daher ist man bestrebt, Wirkstoffe und galenische Formulierungen zu entwickeln, die die Einnahme erleichtern.
In verschiedenen Untersuchungen konnte der Zusammenhang zwischen der Zuverlässigkeit der Einnahme und der therapeutischen Wirkung sehr deutlich gezeigt werden. So senkt z. B. eine um 10% verbesserte Einnahme das Risiko einer Krankheitsprogression um knapp 30%.
Atazanavir: ein neuer Proteaseinhibitor
Mit Atazanavir wurde ein Proteaseinhibitor (PI) entwickelt, der nur einmal täglich eingenommen werden muss. Wie andere Vertreter dieser Substanzklasse hemmt Atazanavir die Aktivität der HIV-Protease. Virale Proteasen zerschneiden in der Wirtszelle während der Synthese viraler Proteine die viralen Polypeptidketten in kleine, funktionsfähige Koproteine und schaffen somit die Voraussetzung für die Bildung vollständiger, infektiöser Viruspartikel.
Atazanavir unterscheidet sich von anderen Proteaseinhibitoren in seiner Pharmakokinetik, die eine einmal tägliche Einnahme gestattet, und in seinem Nebenwirkungsspektrum. Es hat einen deutlich geringeren Einfluss auf das Lipidprofil und führt zu keinem Anstieg von Cholesterin- und Triglyceridwerten.
Dank diesem günstigen metabolischen Profil steht nunmehr ein Proteaseinhibitor zur Verfügung, der auch bei einem erhöhten kardiovaskulären Risiko eingesetzt werden kann. Ferner verursacht Atazanavir seltener als andere PIs gastrointestinale Nebenwirkungen. So treten unter Atazanavir nur in rund 3% aller Fälle Durchfälle auf (verglichen mit 9 bis 16% bei anderen PIs).
Die Therapie mit Atazanavir kann aber zu einer reversiblen, klinisch nicht relevanten Hyperbilirubinämie führen. Atazanavir wird voraussichtlich im Laufe des nächsten Jahres auch in Deutschland zur Verfügung stehen. Eine Zulassung durch die amerikanische Food and Drug Administration erfolgte bereits im Juni 2003 (Reyataz™).
Studien mit Atazanavir
Alle Patienten erhielten zusätzlich Tenofovir (Viread®) und einen weiteren NRTI. Nach Ablauf der Studie zeigte sich, dass geboostertes Atazanavir und geboostertes Lopinavir gleich gut wirksam sind.
Ferner zeigte sich, dass die geboosterten PIs dem doppelten Proteasehemmer-Regime in der Salvagetherapie überlegen sind. Geboostertes Atazanavir führte zu einem günstigeren Lipidprofil als Lopinavir, welches zu einem signifikanten Anstieg der Triglyceridwerte führte.
Der Therapieerfolg bestand langfristig (Studie dauerte 108 Wochen), und beide PIs zeigten eine vergleichbare Wirkung und führten zu einem Abfall der Viruslast unter die Nachweisgrenze. Die Therapie mit Atazanavir führte zu einem günstigeren Lipidprofil als die Behandlung mit Nelfinavir. Ein Wechsel von Nelfinavir zu Atazanavir verbesserte das Lipidmuster.
Quelle
Prof. Dr. Christine Katlama, Dr. Jan van Lunzen, Dr. Margaret Johnson: Internationale Pressekonferenz "Atazanavir: Setting the standard for Protease Inhibitors? Optimising long-term therapy"; Dr. Margaret Johnson, Dr. Jonathan Schapiro: Satelliten-Symposium "Challenging the axioms of choice"; Prof. Dr. Jürgen Rockstroh, Dr. Franz Peter Kesseler: Presse-Roundtable "HIV-Therapie 2003: Behandlungserfolg durch individuelle Strategien"; anlässlich der 9. Europäischen AIDS-Konferenz in Warschau, 26. Oktober 2003, veranstaltet von Bristol-Myers Squibb GmbH, München.
Der europäische AIDS-Kongress wird alle zwei Jahre in einem anderen europäischen Land abgehalten und wendet sich vor allem an Kliniker, die HIV-Patienten therapieren und betreuen. Neben zahlreichen wissenschaftlichen Vorträgen, Posterdemonstrationen, einer Industrieausstellung und Satelliten-Symposien fand erstmalig ein Workshop über Pharmakotherapie und Resistenzentwicklung statt.
Susan Sontag:Aids und seine Metaphern Die diesjährige Trägerin des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, Susan Sontag, plädiert in ihrem berühmten Essay über Aids und seine Metaphern für eine Entdämonisierung von Aids. Die Autorin analysiert dabei den sprachlichen Umgang mit Krankheit und zeigt auf, wie oftmals in feindlichen und unangemessenen Metaphern über die Erkrankung gesprochen wird, was sich letztendlich in unserem Denken und Handeln niederschlägt.
Durch die Aufdeckung dieser Metaphern soll erreicht werden, schwere Krankheiten nicht länger als etwas Fremdes und Dämonisches aus unserem Leben auszugrenzen, sondern diese nüchtern zu betrachten und in unseren Alltag zu integrieren.
Susan Sontag: Krankheit als Metapher. Aids und seine Metaphern. Fischer Verlag, Frankfurt 2003. ISBN 3-596-16243-2.
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.