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Arzneimittelfälschungen: Versandhandel als Einfallstor für Arzneimittelfälsch
Nach der Definition der Weltgesundheitsorganisation WHO ist ein gefälschtes Arzneimittel ein Arzneimittel, das hinsichtlich seiner Identität und/oder Herkunft vorsätzlich und in betrügerischer Absicht falsch gekennzeichnet ist.
In Europa handelt es sich häufig um ein Originalarzneimittel, das jedoch mit gefälschter Beilage oder Umverpackung auf dem Markt ist. Illegal erworbene Originalware kann zudem in gefälschten Primärverpackungen (z. B. Blister) auftauchen.
Auch Chargennummern, Verfallsdaten und Dokumente über Qualitätskontrollen werden gefälscht. Darüber hinaus gibt es Totalfälschungen, bei denen nicht nur Beilage und Verpackung, sondern auch der Wirkstoff gefälscht ist. Selbst wenn der Wirkstoff an sich der gleiche ist wie der des Originals, kann eine Kopie vorliegen, die erst durch eine chemische Feinanalyse als eine solche auszumachen ist.
In Deutschland stieß man in den vergangenen Jahren erst auf drei Fälle von Totalfälschungen. Dabei handelte es sich neben verschreibungspflichtigen Arzneimitteln auch um Anabolika. Unlängst tauchte ein derart gefälschtes AIDS-Arzneimittel in einer deutschen Apotheke auf.
Viagra bei Fälschern besonders beliebt
Betroffen sind im europäischen und US-Markt vor allem hochpreisige Medikamente mit hohen Margen, Produkte, die weltweit verfügbar sind, und bekannte Marken.
Im Jahr 2002 sind in Deutschland etwa Salofalk Tabletten der Firma Dr. Falk Pharma in einer gefälschten Sekundärverpackung aufgetaucht – es handelte sich um Exportware. Im gleichen Jahr fand man in den USA das Präparat Zyprexa (Olanzapin) der Fa. Eli Lilly – ausgetauscht gegen ASS.
In den Niederlanden wurden 4,3 Mio. Einheiten Viagra aus einem Container gestohlen. Sämtliche Verpackungsmaterialen des Pfizer-Präparats wurden verbrannt – den weiteren Weg der populären Pille kann man sich gut vorstellen.
Versand und Importe begünstigen Fälschungen
Das Geschäft mit Arzneimittelfälschungen wird durch vielerlei Faktoren begünstigt. Die freien Handelsmärkte bieten neben ihren positiven Seiten auch Raum für kriminelle Machenschaften. Auch die Internationalisierung von Herstellung und Vertrieb macht es Fälschern einfacher.
Mit der Zulassung des Arzneimittelversandhandels auch in Deutschland wird sich das Problem noch verschärfen, Kontrollen werden immer schwerer. "Europaweite Internetapotheken haben ein großes Gefahrenpotenzial", meint Claus-Peter Holz, Leiter des Referats Umweltkriminalität, Arzneimittelverstöße und Artenschutz beim BKA.
Eine Lösung hierfür sieht er noch nicht. Auch illegale Reimporte werden immer häufiger, weiß Michaela Debus, Leiterin Kommunikation und Pharmaökonomie bei der Novartis Pharma GmbH, zu berichten. Arzneimittel, die für ein Land außerhalb der EU bestimmt sind, werden dort illegal umverpackt und wieder in den deutschen Markt eingeschleust.
Wenn nicht über das Internet, kommen die Fälschungen über den Großhandel auf den Markt. Dabei birgt auch der unübersichtliche Zwischenhandel Gefahren – rund 2000 verschiedene Vertreiber, die sich zum Teil auf Sonderposten spezialisieren, vermutet man zwischen Hersteller und Apotheker, erklärt Holz.
Gut organisierte Fälscherbanden
Die Fälscher sind gut organisiert – gerade in Ländern wie Deutschland, in denen ein hoher Standard herrscht, hätten Primitiv-Fälschungen keine Chance. Zudem gilt es – ganz ähnlich wie bei der Geldfälschung – stets den neuesten Sicherheitsmerkmalen auf der Spur zu sein und diese schnell in die Fälschungen einzuarbeiten.
Es ist also hochwertiges Equipment nötig und die Täter müssen in erhebliche Vorleistung treten. Das lohnt sich nur, wenn sie planen, längerfristig in das finanziell einträgliche Geschäft der Arzneimittelfälschungen einzusteigen. Eine gute personelle wie sächliche Ausstattung findet sich häufig in Arzneimittelfabriken in Osteuropa, Russland, China und Indien.
Betriebe, die eigentlich legal arbeiten, sind zuweilen auch in Fälschungen verwickelt, vermutet man beim BKA. Mit einer derartigen "Mischkalkulation" soll die Existenz der Unternehmen gesichert werden.
Verschärfungen im Arzneimittelgesetz vorgesehen
Neben Korruption, fehlendem politischen Willen und Problembewusstsein ist auch eine schwache Gesetzgebung mit unzureichenden Sanktionen eine Ursache für den Fortbestand der Fälscherbanden. Auch in Deutschland besteht bislang eine relativ unklare gesetzliche Regelung für Arzneimittelfälschungen und ihre strafrechtliche Ahndung.
Verboten ist lediglich, Arzneimittel in den Verkehr zu bringen, "die durch Abweichung von den anerkannten pharmazeutischen Regeln in ihrer Qualität nicht unerheblich gemindert sind". Die anstehende 12. Novelle des Arzneimittelgesetzes soll für mehr Klarheit sorgen. Sie sieht auch ein explizites Verbot gefälschter Arzneimittel vor. Zudem soll ein Verstoß gegen dieses Verbot künftig mit bis zu drei – statt wie bisher einem – Jahr bestraft werden.
Weiterhin ist geplant, eine Erlaubnispflicht für den pharmazeutischen Großhandel einzuführen. Nur Betriebe, die diese Erlaubnis haben, dürfen Arzneimittel beziehen. Die Betriebsverordnung für Arzneimittelgroßhändler wird ebenfalls Änderungen unterzogen, um es Arzneimittelfälschern schwerer zu machen.
Arzneimittelfälschungen sind überall auf der Welt ein Problem. Während dies in Entwicklungsländern häufig gesundheitliche Gefahren für die Patienten bedeutet, werden im europäischen Markt vor allem die Arzneimittelhersteller geschädigt. In Deutschland ist Arzneimittelkriminalität ein Teil der Wirtschaftskriminalität. So sicher die Arzneimittelversorgung hierzulande sein mag – auch in Deutschland finden sich gefälschte Arzneimittel in den Schubladen der Apotheken. Die Fälscher arbeiten mit großer Perfektion – wie viele Fälschungen tatsächlich im Umlauf sind weiß niemand.
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