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DGB-Tagung: Freunde der Bürgerversicherung unter sich

BERLIN (ks). Die Befürworter ei nes Umstiegs auf die Bürgerversicherung oder das Kopfpauschalensystem finden in diesen Wochen häufig Gelegenheit, für ihre Vorstellung von einem zukünftigen Gesundheitssystem zu werben. Anhänger des ersteren Finanzierungsmodells trafen sich am 3. Dezember in Berlin zu einer Tagung des DGB und des "Netzwerks Gesundheit". Unter anderem erläuterten die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer, Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt und Sachverständigenratsmitglied Karl Lauterbach ihre Sichtweise zur Bürgerversicherung als Reformoption für die gesetzliche Krankenversicherung.

Der DGB stehe klar hinter der Bürgerversicherung, erklärte Engelen-Kefer: "Auf der Grundlage des Solidarprinzips wollen wir mehr Gerechtigkeit, mehr Wettbewerb und stabile Beiträge für Arbeitgeber und Arbeitnehmer erreichen". Sie wies die Kritik, mit der Bürgerversicherung würde nur noch mehr Geld in ein marodes System gepumpt, zurück.

Wichtig sei, dass die Bürgerversicherung auf einer umfassenden Strukturreform aufsetze - diese sei bislang allerdings von den Lobbygruppen der Leistungserbringer verhindert worden. An den bestehenden strukturellen Verwerfungen im Gesundheitswesen werde die Kopfpauschale hingegen nichts ändern, so die DGB-Vize.

"Die Kopfpauschale ist nichts anderes als ein reines Umfinanzierungs- und Umverteilungsinstrument zu Gunsten der Arbeitgeber und der Besserverdienenden". Zudem sei die Umsetzung des Systemwechsels mangels Finanzierbarkeit unrealistisch.

"Das Geheimnis, wie die CDU die Kopfpauschale und das Steuersenkungsprogramm von Friedrich Merz unter einen Hut bringen will, hat auch die Parteivorsitzende bislang nicht gelüftet", so die Gewerkschafterin. Für den geplanten sozialen Ausgleich sei dann nicht mehr genug Geld vorhanden - mit der Folge, dass die Leistungen für die Patienten weiter reduziert würden.

Auch den CDU-Plan, die Arbeitgeberbeiträge einzufrieren, kritisierte Engelen-Kefer. Dies hieße, allein die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für die Kostensteigerungen im Gesundheitswesen und den sozialen Ausgleich aufkommen zu lassen. "Damit wendet sich die CDU gegen diejenigen, die von ihr immer als "Leistungsträger" bezeichnet werden, und damit gegen die Mitte unserer Gesellschaft", so die DGB-Vize.

Schmidt: Kopfpauschale wird risikobezogene Prämie

Auch Ulla Schmidt behagt die Bürgerversicherung grundsätzlich mehr als die Kopfpauschale. Sie betonte, bevor die Frage der nachhaltigen Finanzierung geklärt werden könne, müssten die "Strukturen im System in Ordnung gebracht werden".

Mehr Effizienz, mehr Qualität und eine Stärkung der Patienten seien Voraussetzung für ein weiteres Nachdenken über Kopfpauschale oder Bürgerversicherung. Mit dem GKV-Modernisierungsgesetz sei hierfür der Weg geebnet worden - vorausgesetzt, die neuen Möglichkeiten werden nun auch umgesetzt.

Denke man sodann weiter über die Finanzierung nach, so spricht der Ministerin zufolge einiges für die Bürgerversicherung: In einer immer mobiler werdenden Gesellschaft wie der unseren könne diese eine "Klammer" sein, die ein Gemeinwesen verbindet. Ganz anders als eine individuelle risikobezogene Prämie - und eine solche hält Schmidt für unausweichlich im Kopfpauschalensystem angelegt.

Zumindest im Alter müsse die Prämie höher sein als bei jüngeren Menschen. Besonders wichtig sei aber, dass auch in Zukunft die Sicherheit bestehen müsse, mit individuellen Lebensrisiken nicht allein gelassen zu werden, so die Ministerin. Und dies könne nur eine solidarische Bürgerversicherung leisten.

Lauterbach: Arbeitsplätze nicht um jeden Preis schaffen

Lauterbach erläuterte, was andere Systeme als die Bürgerversicherung nicht leisten könnten. Ausgangspunkt seiner Erklärungen war, dass allein die Bürgerversicherung oder die Kopfpauschale geeignet seien, den demographischen Herausforderungen zu begegnen.

Denn diese beiden Modelle beziehen neben dem Lohn auch die Renditen von Miet-, Zins- und Kapitaleinkünften in die Finanzierung des Systems ein. Dies sei "der entscheidende Schritt", den weder FDP noch CSU in ihren Vorschlägen zur Finanzierungsreform berücksichtigten, so Lauterbach.

Der Schmidt-Berater plädierte zudem klar für einen Systemumstieg für alle: Keiner sollte sich, nur weil er viel verdient, aus dem Solidarsystem verabschieden können. "Ein Solidarsystem minus die Stärksten macht keinen Sinn".

Für Kopfpauschalen spreche lediglich ein Argument, erläuterte Lauterbach: Nämlich, dass diese mehr Arbeitsplätze schafften. Alle anderen Argumente um die Kopfpauschale seien so schwer zu verteidigen, dass man "nicht Zeit verschwenden sollte, diesen toten Hund zu treten".

Allerdings: Es sei keine Kunst, auf ungerechte Weise für mehr Arbeit zu sorgen. "Arbeitsplätze zu schaffen, ohne dass es ungerecht ist - das ist die Herausforderung für SPD und Gewerkschaften", so der Gesundheitsexperte.

Zudem sei die Kopfpauschale mitnichten eine Garantie für mehr Arbeitsplätze, wie es ein Blick auf die Schweiz, dem einzigen Land, das Kopfpauschalen eingeführt hat, zeige: Hier sei die Arbeitslosigkeit trotz Pauschalen im vergangenen Jahr gestiegen - wenn auch von einer moderaten Ausgangsbasis.

Die größte Gefahr der Kopfpauschalen sieht Lauterbach in weiteren Wirtschaftskrisen. Denn: Ist die wirtschaftliche Situation schlecht, wächst die Zahl der Bedürftigen, d. h., mehr Steuerzuschüsse sind nötig. Gleichzeitig sinken jedoch die Steuereinnahmen.

"Dann muss sich die Regierung entscheiden zwischen dem Aufprall auf einen Felsen oder auf einen harten Stein": Entweder sie hebt die Steuern, oder sie kürzt Leistungen. Letzteres wird Lauterbach zufolge stets der Fall sein. Sein Fazit: "Das Gesundheitssystem kommt aus jeder Wirtschaftskrise ein paar Zentimeter kleiner heraus".

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