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"Pille danach" bald ohne Rezept?
Im Jahre 1968 wurde von den Vereinten Nationen das "Menschenrecht auf Familienplanung" verkündet. Danach ist es ein grundlegendes Recht von Frauen und Männern, über die Zahl ihrer Kinder und den Zeitpunkt ihrer Geburt frei und verantwortlich zu entscheiden.
Dr. Elisabeth Pott, Direktorin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) betonte in ihrem Grußwort, dass als Voraussetzung für die Wahrnehmung dieses Rechts der Zugang zu sicheren, wirksamen, nebenwirkungsarmen und erschwinglichen Methoden der Empfängnisverhütung sowie das Wissen über ihre Anwendung notwendig seien.
In mindestens 28 Ländern der Welt sind Notfallkontrazeptiva mit dem Wirkstoff Levonorgestrel, die "Pille danach", inzwischen rezeptfrei erhältlich, so beispielsweise in Dänemark, Israel, Kanada, Frankreich, Großbritannien, Norwegen, Schweden, der Schweiz, Tunesien und Teilen der USA. Im Mittelpunkt der Tagung standen daher Berichte über Erfahrungen in anderen Ländern seit Einführung der Rezeptfreiheit.
Frankreich und Schweden als Vorreiter
In Frankreich ist die "Pille danach" seit Juli 1999, in Schweden seit April 2001 rezeptfrei und ohne Altersbegrenzung erhältlich. Dr. Elisabeth Aubény, Gynäkologin und Vorsitzende der Französischen Vereinigung für Kontrazeption, bezeichnete die Entlassung von Levonorgestrel aus der Verschreibungspflicht als "Antwort auf ein wirkliches Bedürfnis".
Frauen in Frankreich greifen sehr häufig auf diese Form der Notfallverhütung zurück: mehr als 85 000 Frauen wenden sie jeden Monat an, in den vergangenen vier Jahren insgesamt etwa 2,5 Millionen.
Wenn eine Kundin in Frankreich ein Levonorgestrel-Präparat in der Apotheke rezeptfrei erwirbt, trägt sie die Kosten in Höhe von sieben Euro selbst, bei Vorlage eines Rezeptes übernimmt die Krankenversicherung 65 Prozent der Kosten. Durch ein Gesetz aus dem Jahre 2000 ist in Frankreich geregelt, dass an Minderjährige in Apotheken das entsprechende Präparat kostenfrei abgegeben wird.
In dringenden Fällen ist es außerdem möglich, an einer weiterführenden Schule die "Pille danach" kostenlos von der Schulkrankenschwester zu erhalten. Dies wurde im Schuljahr 2001/2002 immerhin in 5 836 Fällen praktiziert.
Trotz der hohen Zahl von Anwendungen wurde bisher in Frankreich nicht eine größere Komplikation beobachtet. Nach Aubény hat der leichtere Zugang zu dieser Form der Nachverhütung reguläre Verhütungsmethoden nicht verdrängt, denn auch die Verwendung hormoneller Kontrazeptiva nimmt in Frankreich zu.
Zuviel "Moral" vom Apotheker
Wie Aubény berichtete, ist die Akzeptanz der neuen Regelungen unter Frankreichs Apothekern recht gut. Zu Beginn hätten allerdings Bedenken bestanden, teilweise aus ethischen Gründen, teilweise aus Scheu vor der neuen Verantwortung.
In einer Befragung hatten Anwenderinnen kritisch bemerkt, dass sie in den Apotheken zuviel "moralisierende Hinweise" bekommen hätten. Auch Frau Prof. Dr. Kristina Gemzell-Daniellson vom Karolinska-Institut in Stockholm betonte, dass eine unvoreingenommene Haltung der Apotheker bei der Abgabe des Medikaments wichtig ist.
In Schweden wurde die Rezeptfreiheit von Levonorgestrel allgemein begrüßt und hat sogar dazu beigetragen, die Beteiligung der Männer in der Verhütungsfrage zu erhöhen, wie Gemzell-Daniellson berichtete. Im Jahre 2002 wurden monatlich zwischen 8000 und 12 000 Dosen abgegeben, 92 Prozent davon in Apotheken.
Weniger Abbrüche erhofft
Sowohl in Frankreich als auch in Schweden erhofft man sich durch den leichteren Zugang zur Notfallkontrazeption vor allem eine Verminderung der Zahl von Schwangerschaftsabbrüchen.
In Schweden beläuft sich die Zahl der Abtreibungen derzeit auf jährlich etwa 33 000, bei Teenagern und jungen Frauen steigt sie seit Mitte 1990 an. In Frankreich gibt es jedes Jahr etwa 220 000 Abtreibungen, seit 2000 ist erstmals ein leichter Rückgang zu verzeichnen.
Ob dies auf die Rezeptfreiheit von Levonorgestrel zurückzuführen ist, lässt sich noch nicht abschließend beurteilen. Auch in Deutschland erhofft man sich von einem einfacheren Zugang zur "Pille danach" eine Reduktion der Zahl der Schwangerschaftsabbrüche, die derzeit bei ca. 130 000 pro Jahr liegt.
Stand in Deutschland
In seiner Sitzung vom 1. Juli 2003 hat der Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht im Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die Empfehlung ausgesprochen, Levonorgestrel in der Indikation Notfallkontrazeption aus der Verschreibungspflicht zu entlassen.
Das Votum wurde an den Verordnungsgeber, das Bundesministerium für Gesundheit und Soziales Sicherung (BMGS) weitergeleitet. Nun ist noch die Vorlage im Bundesrat und dessen Zustimmung notwendig, mit einer Entscheidung wird im Frühjahr 2004 gerechnet.
Pro und Contra zur rezeptfreien Vergabe
Auf der Podiumsdiskussion im Rahmen der Tagung entzündete sich die Diskussion vor allem an der Frage, warum Deutschland ein "Schlusslicht" bei der Umsetzung der rezeptfreien Vergabe darstellt und welche Argumente überhaupt gegen die Entlassung aus der Rezeptpflicht geltend gemacht werden.
Gynäkologen wie Frau Dr. med. Angelika Zienert vom Frauenärzteverband Berlin und Prof. Dr. med. Hans-Peter Zahradnik von der Universitätsklinik Freiburg brachten zum Ausdruck, dass eine Rezeptpflicht weiterhin notwendig sei, da es sich um ein Medikament handle, das zudem nicht frei von Nebenwirkungen sei. Außerdem biete der Besuch beim Gynäkologen die Möglichkeit, die Frau über sichere Verhütungsmethoden zu beraten.
Niederschwelliger Zugang notwendig
Dem wurde von anderen Diskussionsteilnehmerinnen wie beispielsweise Frau Prof. Dr. Monika Häußler-Sczepan vom Bundesverband pro familia, Frankfurt, entgegengehalten, dass eine Frau oder ein Paar in dieser Notfallsituation sicher keine Verhütungsberatung bräuchte, sondern einfach nur Hilfe, und zwar möglichst niederschwelliger Art.
Levonorgestrel als Notfallkontrazeptivum besitze fast keine Kontraindikationen und nur wenige Nebenwirkungen, vor seiner Anwendung sei keine gynäkologische Untersuchung notwendig. Sie gab weiterhin zu bedenken, dass unter den Anwenderinnen der Pille danach nicht nur Teenager zu finden seien, die beim "1. Mal" nicht verhütet hätten, sondern auch Paare in fester Beziehung, bei denen ein langjährig bewährtes Verhütungsmittel einfach einmal versagt habe.
Ein Kondom könne reißen, ein Diaphragma verrutschen, auch sei es menschlich, einmal die Einnahme der "Pille" zu vergessen. Obwohl die "Pille danach" bis zu 72 Stunden nach dem ungeschützten Geschlechtsverkehr angewendet werden kann, sei es am effektivsten, wenn die Einnahme so früh wie möglich geschieht.
Durch den Gang in die gynäkologische Praxis oder die Notfallsprechstunde einer Klinik würden wertvolle Stunden vergehen, Apotheken seien dagegen rund um die Uhr erreichbar. Dafür sei aber auch eine ausreichende Bevorratung der diensthabenden Apotheken notwendig.
Im Apotheken-Notdienst nachgefragt
Magdalene Linz, Präsidentin der Apothekerkammer Niedersachsens, betonte in ihrem Statement, sie halte es für sinnvoll und richtig, dass auch nach einer Entlassung von Levonorgestrel-Präparaten aus der Rezeptpflicht die Abgabe in der Apotheke erfolgt.
Schon mehrmals habe sie es während einer Dienstbereitschaft in ihrer Apotheke erlebt, dass eine Frau oder ein Paar die "Pille danach" kaufen wollten und sie ihnen dies wegen der noch bestehenden Rezeptpflicht verweigern musste. Nach ihrem Wissen sind viele Kollegen ebenfalls dieser Meinung, wenngleich es auch ethische Vorbehalte gebe.
- duofem® (Hexal)
- Levogynon® (Schering)
Der Vertrieb von Tetragynon® (250 µg Levonorgestrel +50 µg Ethinylestradiol) wird zum 1. Januar 2004 eingestellt, wie die Firma Schering kürzlich (siehe "Wichtige Mitteilungen") mitteilte.
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