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Die Seite 3
Kann es Zufall sein, dass die Regierungskoalition nun schon dreifach unter Beschuss geraten ist, weil sie die Öffentlichkeit und/oder das Parlament unvollständig, missverständlich, irreführend oder schlicht falsch informiert hat?
Da ist zunächst der Fall, der derzeit vor dem "Lügen-Ausschuss" des Bundestags auf der Tagesordnung steht. Hat Bundesfinanzminister Eichel in der Öffentlichkeit - die Bundestagswahl vor Augen - im letzten Sommer wider besseres Wissen (im Widerspruch zu Informationen von seinen Fachleuten) den Eindruck erweckt, es bestehe trotz der schon damals wenig rosigen Wirtschaftslage keine Gefahr, dass die Bundesrepublik die EU-Defizit-Latte von 3% des Bruttoinlandsprodukts reißen werde?
Nach der Aussage, die sein mächtiger Staatssekretär Manfred Westhaus vor dem Lügen-Ausschuss gemacht hat, wird es für Eichel eng. Offensichtlich gab es im Ministerium ein Papier (das nun, die übliche Masche, als Non-Paper bezeichnet wird), aus dem sehr klar die wirkliche Lage hervorging. Eichel steht vor einem Trilemma: entweder er hat nichts gewusst von dem Wissen seiner Beamten - kein Kompliment für einen Minister; oder er hat gewusst, aber nicht verstanden - auch nicht besser; oder schließlich: er hat gewusst und verstanden, aber die Öffentlichkeit getäuscht. Das wäre, wenn politische Moral nicht zum Fremdwort geworden ist, der Super-Gau für Eichel.
Die anderen zwei Fälle betreffen "unser" Ministerium, das Bundesgesundheitsministerium (BMGS).
Die Bundesregierung hat - nur um die Bevölkerung nicht zu beunruhigen oder doch nur weil sie ihre (letztlich erfolgreiche) Wahlstrategie in der Irak-Frage vor Augen hatte? - offensichtlich gezielt der Öffentlichkeit verschwiegen, dass "den deutschen Sicherheitsbehörden ... dokumentierte Erkenntnisse" vorliegen, wonach der Irak illegal über Pockenviren verfügt. In einem von der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung gerade veröffentlichten Papier aus dem BMG vom 9. August 2002 heißt es weiter, es stehe zu befürchten, dass der Irak im Falle eines Angriffs der USA "mit den ihm zur Verfügung stehenden biologischen Kampfstoffen, also auch Pockenviren, reagiert".
Aufgrund der unzureichenden Bevorratung mit Pockenimpfstoffen sei "Deutschland als weitgehend ungeschütztes Land ein besonders 'attraktives' Ziel für bioterroristische Angriffe". Dass die Gesundheitsministerin diese Einschätzung für gänzlich falsch gehalten und deshalb der Öffentlichkeit vorenthalten hätte, wird niemand behaupten können. Schließlich hat sie sich - erfolgreich - im November im Haushaltsausschuss dafür eingesetzt, schnell Gelder für eine umfassende Bevorratung mit Impfstoffen freizubekommen.
Der dritte Fall ist DAZ-Lesern wohlbekannt (DAZ 4 [2003] S. 3: "Nur Irreführung oder schon Betrug?"). Die Führungsspitze des BMGS hat im Zusammenhang mit der Durchsetzung des Beitragssatzsicherungsgesetzes (BSSichG) offensichtlich in voller Kenntnis der wirklichen Zusammenhänge die Öffentlichkeit und die Abgeordneten (auch die der Regierungsfraktionen) "hinter die Fichte geführt" - um einen Ausdruck des abgewählten niedersächsischen Ministerpräsidenten Gabriel zu verwenden.
Im BMGS wusste man ausweislich eines internen Papiers von Oktober 2002 sehr genau, dass die Apotheken nicht nur durch die Erhöhung des Krankenkassenrabattes (350 Mio. nach Regierungslesart) belastet würden. Man wusste: Letztlich mussten auch jene Rabattbelastungen bei den Apotheken landen, die man später formal (gegenüber der Öffentlichkeit und den Abgeordneten) dem Großhandel zuordnete - um sich dem Vorwurf zu entziehen, die Apotheken würden weit überproportional und jenseits des Zumutbaren belastet. Schreiben der Parlamentarischen Staatssekretärin Marion Caspers-Merk vom 31. Januar 2003, mit denen sie auf besorgte Fragen von Abgeordneten der Regierungsfraktionen und aus der Opposition (Dr. Bauer, Dr. Faust) antwortete, versuchen die Vernebelung und Vertuschung fortzusetzen - auch um den Preis, sich in Widersprüchen zu verheddern.
Wenn die Regierung, wie behauptet, die Apotheker durch den Großhandelsabschlag nach Artikel 11 nicht hätte belasten wollen, hätte sie per Gesetz festlegen müssen, der Großhandel müsse zusätzlich zu den bisher im Wettbewerb gewährten Rabatten noch weitere 600 Mio. Euro als Rabatt an die Apotheken ausschütten, die diese dann (für sie ergebnisneutral) an die GKV weiterzuleiten hätten. Die Regierung hat dies nicht festgelegt - und konnte es ernstlich auch gar nicht festlegen: Denn wie sollte der Großhandel bei rund 220 Mio. Euro Branchengewinn eine Rabatterhöhung (und damit zusätzliche Erlösschmälerung) von 600 Mio. Euro stemmen können?
Wer so verschweigt, vertuscht, vernebelt (und das dem Anschein nach geplant und absichtsvoll), wird große Anstrengungen unternehmen müssen, um verspieltes Vertrauen zurückzuholen.
Klaus G. Brauer
Wissen und verschweigen oder lügen und vertuschen?
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