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Biologie: Zellen in weicher Umgebung
Um das Große und Ganze der Biologie zu verstehen, ist es nötig, sich auch die Mosaiksteinchen anzusehen. Das zweifellos wichtigste Steinchen ist die lebende Zelle. In Geweben und Organen gibt es mehr als 200 verschiedene Zelltypen. Die etwa zehn Billionen Einzelzellen des menschlichen Körpers harmonieren und greifen ineinander. Sie beeinflussen sich gegenseitig und tauschen über die vielen Membrankanäle und Transmembranproteine ständig Informationen und Materie aus.
Härte hilft lernen
Einzelne Zellen zu betrachten und zu analysieren, wird immer wichtiger. Nur so kann man das Zusammenspiel zwischen der in ihnen enthaltenen genetischen Information und den ablaufenden biochemischen Prozessen genau verfolgen. Es scheint ein wenig wie in der Verhaltensforschung: Reize ich eine einzelne, von den Nachbarn unbeeinflusste Zelle auf eine Weise, kann ich darauf hoffen, eine reproduzierbare Reaktion zu beobachten.
Eine Einzelzelle muss dafür allerdings aus ihrem Zellverband und ihrer extrazellulären Matrix herausgelöst werden und in eine entsprechend fremde Umgebung, zum Beispiel auf einen Biochip, gebracht werden. Doch auf einer harten Oberfläche verhält sie sich anders als in ihrer gewohnten, weicheren Umgebung. Denn die extrazelluläre Matrix (EZM) gibt Geweben mechanische Stabilität und dient als Substrat für die Zelladhäsion, Zellwanderung und Zelldifferenzierung. Die Zellen binden mit speziellen Oberflächenrezeptoren an bestimmte EZM-Liganden, wodurch spezifische Signaltransduktionswege innerhalb der Zellen aktiviert werden können. Knochen- oder Bindegewebszellen beispielsweise remodulieren ihre Matrix als Antwort auf mechanische Reize.
Besonders interessant ist nun die Frage, wie sich die Zelle in einer fremden Umgebung zurechtfindet und welche Adhäsionsmatrix möglichst naturnah ist; oder anders herum: In welcher künstlichen Umgebung kann sich die Zelle so benehmen wie zuhause? Klar ist, dass es eine weiche Umgebung sein muss. Diese an sich banale Erkenntnis ist z. B. sehr wichtig für die Entwicklung von Knochenimplantaten oder von künstlichen Geweben, um die Abstoßungsgefahr zu reduzieren. Denn die an ihrer Umgebung haftenden Zellen nehmen über Hunderte von Kontaktpunkten ständig Informationen über diese Anhaftung auf. Gleichzeitig versuchen sie, diese Umgebung an sich zu ziehen. Die dabei aufgebauten Kräfte setzen die Zellen in biochemische Signale und damit in ein Verhalten um, mit dem sie auf eintretende Veränderungen reagieren können.
Es wird nun versucht, die Regulation dieser biologischen Prozesse auf physikalische Prinzipien zurückzuführen. Ulrich Schwarz, Leiter der Emmy-Nöther-Nachwuchsgruppe am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Golm, war es in Zusammenarbeit mit Forschern des Weizmann-Instituts in Israel gelungen nachzuweisen, dass die Wechselwirkung zwischen den elastischen Eigenschaften der Umgebung und den biochemischen Entscheidungsprozessen der beteiligten Zelle über Fokalkontakte vermittelt wird.
Fokalkontakte sind große Proteinaggregate an der Zellmembran, die das innere Proteinskelett der Zelle mit der extrazellulären Umgebung verbinden. Sie sind umso größer, je stärker die dort von der Zelle auf ihre Umgebung ausgeübte Kraft wächst. Auch von außen auf die Zelle ausgeübte Kräfte können die Fokalkontakte vergrößern. Die Fokalkontakte funktionieren somit als Mechanosensoren, die physikalische Kräfte in Proteinaggregationen und somit in biochemische Vorgänge innerhalb der Zelle übersetzen.
Zellen informieren sich
Die Erkenntnisse der letzten Jahre offenbarten, dass Zellen sich über die elastischen Eigenschaften ihrer unmittelbaren Umgebung informieren können und auf Änderungen sensibel reagieren. Zu den physiologischen Vorgängen, die stark von den elastischen Eigenschaften der Umgebung abhängen, gehören beispielsweise die Aufrechterhaltung des Bindegewebes, die Heilungsprozesse von Wunden und die Bewegung von Krebszellen.
Ulrich Schwarz und seine Mitarbeiterin Ilka Bischof entwickelten ein Modell, das das Verhalten von Zellen in weicher Materie vorhersagen können soll. Das Modell beruht dabei auf zwei experimentell bestätigten Annahmen: 1. Zellen bevorzugen eine weiche Umgebung für ein normales Verhalten. 2. In einer weichen Umgebung orientieren sich Zellen in Richtung einer höheren Steifigkeit. Sie suchen Halt.
Das Zellverhalten in bestimmten Situationen lässt sich aufgrund der Steifigkeitseigenschaften der Umgebung vorhersagen. Einzelne Zellen in weicher Umgebung ordnen sich demnach an einer nicht deformierbaren Oberfläche senkrecht zu dieser an. Stellt sich diese Oberfläche aber als frei deformierbar heraus, richten sich die einzelnen Zellen parallel zu dieser Grenzfläche aus, da eine senkrechte Orientierung als weicher erscheinen würde (s. Abbildung).
Zellen werden gedehnt
Die modellhaften Voraussagen zu Zellorientierung und -positionierung stimmen mit vielen experimentellen Beobachtungen überein. Die Erkenntnisse daraus lassen sich nun auf eine einheitliche Basis stellen und werden erklärbar. Das Modell muss in Einzelheiten noch verifiziert werden. Dennoch ist bereits deutlich geworden, dass es zum Beispiel das Verhalten der Zellen in künstlichen Geweben und in der Nähe von Implantaten genauer vorhersagen kann. Implantate sollten deshalb eine für die Zellen angenehm weiche Oberfläche besitzen.
Einen interessanten Ansatz verfolgt der Biophysiker Josef Käs von der Universität Leipzig. Er untersucht das Zytoskelett, das hochdynamische Polymernetzwerk im Inneren der Zelle. Besonders interessiert ihn die Elastizität des Netzwerks. Sie liefert ihm Erkenntnisse über die Funktionsweise und den Zustand der Zelle. Seine Gruppe hat einen optischen Zelldehner entwickelt, bei dem zwei Laserstrahlen die Zelle auseinanderziehen und dabei deren Elastizität messen. Da beispielsweise bei fortschreitendem Krebs das Zytoskelett kleiner wird, gibt der Zustand der Elastizität Auskunft über das Krebsstadium. Beim Brustkrebs konnten Käs und Mitarbeiter mit dieser Methode
Solche Informationen sollen zu einer gezielten Therapie verhelfen. Bis das Gerät auf dem Markt ist, werden noch einige Jahre vergehen. Patentiert ist es aber schon.
Biologische Zellen verhalten sich in ihrer natürlichen Umgebung deutlich anders als auf Glasunterlagen, auf denen sie von Wissenschaftlern meistens untersucht werden. Es spielt nämlich eine Rolle, wie weich oder hart ihre Umgebung ist. Mechanische Reize wirken ähnlich wie biochemische Signale, indem Mechanosensoren sie in chemische Reaktionen umsetzen.
Mechanosensoren
Bei Escherichia coli ist ein mechanosensitiver Ionenkanal in der Zellmembran nachgewiesen worden. Er wird von dem Protein MscL (large mechanosensitive channel), einem Homopentamer aus fünf gleichen Untereinheiten, gebildet. Bei Dehnung der Membran wird der Kanal geöffnet und entlässt Salze, Zucker, Aminosäuren usw. in den periplasmatischen Raum – eine Notreaktion zur Absenkung der intrazellulären Osmolarität.
Weiche Materie
Die Weiche Materie wird erst seit wenigen Jahren intensiv erforscht. Dazu zählen weder kristalline Festkörper noch einfache Flüssigkeiten, sondern komplexe Flüssigkeiten wie kolloidale Emulsionen, Polymere und Flüssigkristalle. Nahezu alle biologischen Materialien wie Membranen, Zellen oder Gewebe gehören ebenfalls hierher. Die Forschung an der Weichen Materie geht in die Biomimetik über, die biologische Lösungen auf synthetische Materialien zu übertragen versucht. Zukünftig werden von den Wissenschaftlern in diesem Bereich besonders große Fortschritte erwartet, z. B. für neue Methoden, Medikamente zu verabreichen, oder bei der Entwicklung von künstlichen Zellen und Geweben.
Thema im Netz
Internetseite von Dr. Ulrich Schwarz www.mpikg-golm.mpg.de/th/people/schwarz Touchy Proteins www.psc.edu/science/schulten2001.html Kurzer Animationsfilm über mechanosensitive Ionenkanäle www.ks.uiuc.edu/Research/MscLchannel/doublemovie-intro.mpg
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