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Die Ausnahmeliste – Reform an der Reform (Außenansicht)
Ihnen wurde gewissermaßen nachträglich bestätigt, dass sie in ihren Indikationsgebieten zum Therapiestandard gehören. (Heißt das, dass der Therapiestandard der 36 Auserwählten erst jetzt von den Experten erkannt wurde oder wurde er von ihnen jetzt wieder entdeckt? Und wie ist mit den vielen anderen OTC-Produkten zu verfahren, die nicht als Standard angesehen werden, auch wenn man mit ihnen bislang und von den Kassen bezahlt sinnvolle Therapie betrieben hat? Wie soll man was den Patienten sagen?)
Mit der (durch Ausgrenzung rezeptfreier Mittel) eingeführten medikamentösen Zweiklassen-Therapie soll ja das große Ziel, im Jahre 2004 eine Milliarde Euro einzusparen, erreicht werden. Damit Zweifel hieran auch gar nicht erst aufkommen, hat Rainer Hess, der Vorsitzende des GBA, sogleich erklärt, dass das Reformsparziel trotz der jetzigen Ausnahmeregelungen erreicht wird. (Das ist beruhigend und genial zugleich. Man gibt zusätzlich aus und spart trotzdem. Wenn man also die Ausnahmeliste erweitern kann, ohne das Sparziel zu gefährden, könnte man dann nicht noch mehr Substanzen auf die Liste setzen?)
Wie zu erwarten, ist die Liste auf Kritik gestoßen. (Die mutigen Reformer können es eben selten allen Recht machen.) Der Ärzteverband Hartmannbund bemängelt, dass die Therapievielfalt beschränkt werde (was gar nicht stimmt, wird doch das therapeutische Repertoire wieder um 36 Substanzen bereichert). Der Bundesverband der pharmazeutischen Industrie (BPI) beklagt, dass die Liste zu knapp sei (wie immer unmäßig).
Der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) weist darauf hin, dass nur vier der 36 Ausnahmen pflanzliche Arzneimittel seien, und dass die Phytopharmaka bei weitaus mehr als vier Erkrankungen zum Therapiestandard gerechnet werden (was von Evidenz-Papst Lauterbach aber ganz anders gesehen wird, denn für ihn sind vier pflanzliche Präparate schon vier zu viel).
Es gab aber auch Lob für den Beschluss des Bundesausschusses. Die (wenigen) Nutznießer lobten (hinter vorgehaltener Hand). Grünen-Politiker lobten (schließlich konnten sie als Grüne nichts gegen "grüne" Medikamente haben). Sozialministerin Ulla Schmidt lobte sich wie immer selbst, und erklärte, dass nun klar gestellt sei, was Therapiestandard sei und was nicht.
(Was Therapiestandard ist, wird ja in der heutigen modernen Medizin durch Handaufheben der wissenschaftlichen Experten in Kommissionen bestimmt, früher musste man sich noch an die in der medizinischen Praxis gemachten therapeutischen Erfahrungen halten).
Und auch Karl Lauterbach, Lieblingsberater von Frau Schmidt, lobte (aber nur ganz vorsichtig). Der Beschluss, so sagt er, sei politisch akzeptabel (was das wichtigste ist!), aber medizinisch fragwürdig. (Wenn die Patienten von den jetzt wieder erstattungsfähigen rezeptfreien Medikamenten auch weiterhin den Nutzen haben, den sie bisher schon hatten, wird es ihnen ziemlich egal sein, dass die Experten diesen Nutzen für medizinisch fragwürdig halten.)
Lauterbach äußerte auch die (evidenzbasierte?) Vermutung, dass die Menschen, vor allem viele Deutsche, eine romantische Beziehung zur Natur und damit ein Bedürfnis nach Naturheilmitteln hätten. Dies müsse man ernst nehmen (wie schön!), wenngleich man nicht vergessen sollte, dass es keinen Nachweis gebe, dass die mit Romantik besetzten Arzneien überhaupt wirken.
(Dies meinen andere auch und können nicht verstehen, dass Patienten Medikamente – auch ohne dass der Nutzen von Experten nachgewiesen ist – für nützlich halten können, einfach auf Grund eigener Erfahrung.) Folgerichtig ist Lauterbach der Auffassung, dass die Kassen mittelfristig solche Präparate nicht mehr erstatten dürfen, ansonsten sei der Beschluss aber ein Schritt in die richtige Richtung. (Also was nun? In die richtige oder in die falsche?)
Um es ganz offen zu sagen: Ich glaube, dass wir Bürger die in Gang gesetzte Reform einfach noch nicht verstanden haben und sie deshalb auch nicht entsprechend würdigen können. Reform bedeutet ja Neuordnung. Reformieren ist ein fließender Prozess. Deshalb ist es notwendig, so lange weiter zu reformieren, bis die alte Ordnung neugeordnet wieder hergestellt ist. So gesehen hat Herr Lauterbach am Ende doch noch Recht, wenn er sagt, der jetzige Schritt sei ein Schritt in die richtige Richtung.
Klaus Heilmann
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