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- DAZ 15/2004
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Klinische Pharmazie
U. JaehdeLehre der Klinischen Pharmazie - Standards
An anderen Instituten wurden Nachwuchswissenschaftler wie Juniorprofessoren, Hochschulassistenten oder Wissenschaftliche Assistenten mit zeitlich befristeten Verträgen mit der Lehre in Klinischer Pharmazie betraut. Insbesondere für die Institute ohne Professur oder Hochschuldozent für Klinische Pharmazie stellt die Einführung von Lehrveranstaltungen eine große Herausforderung dar.
Um patientenorientierte pharmazeutische Dienstleistungen bundesweit etablieren zu können, ist es jedoch wichtig, dass an allen Standorten von Anfang an klinisch-pharmazeutische Pflichtveranstaltungen in hoher Qualität angeboten werden. Vor diesem Hintergrund erarbeitete eine Arbeitsgruppe der Fachgruppe Klinische Pharmazie der DPhG zehn Standards, an denen sich die Institute bei der Planung der Lehrveranstaltungen orientieren können. Die besondere Situation kleinerer Institute wurde berücksichtigt. Die einzelnen Standards werden vom Autor dieses Beitrags kommentiert.
Zielsetzung
Die Studierenden sollen befähigt werden, die Gesamtsituation des Patienten hinsichtlich seiner Erkrankung und Arzneimitteltherapie zu verstehen und diese Kenntnisse einzusetzen, um Patienten und Ärzte sowie Angehörige anderer Gesundheitsberufe in der optimalen Arzneimittelanwendung evidenzbasiert und verantwortlich zu unterstützen.
Kommentar: Die Zielsetzung steht im Einklang mit dem sich wandelnden Berufsbild des Apothekers hin zu einem patientenorientierten Heilberuf. Mit einer stärker patientenbezogenen Ausbildung soll die Etablierung dieser neuen Dienstleistungen wissenschaftlich untermauert und unterstützt werden.
Standards
1. An Standorten ohne Professuren für Klinische Pharmazie soll darauf hingewirkt werden, dass eine solche Professur in den Hochschulentwicklungsplan für die pharmazeutischen Institute bzw. Fachbereiche aufgenommen wird.
Kommentar: Um das Fach innerhalb der pharmazeutischen Wissenschaften zu etablieren und wissenschaftliche Qualifizierungsmöglichkeiten zu schaffen, ist es unverzichtbar, dass an allen Standorten versucht wird, eine Professur für Klinische Pharmazie in den Strukturplänen festzulegen, um sie mittel- bis langfristig einrichten zu können. In Zeiten knapper Mittel müssen an jedem Institut eigene Strategien erarbeitet werden, mit denen dieses Ziel erreicht werden kann.
2. An Standorten ohne Professur für Klinische Pharmazie soll übergangsweise ein fachnaher Hochschullehrer oder Lehrbeauftragter benannt werden, der ein Gesamtkonzept für die Ausbildung im Fach Klinische Pharmazie erarbeitet, dieses umsetzt und die Lehrveranstaltungen koordiniert und deren Qualität sichert.
Kommentar: Wird die Ausbildung von mehreren Lehrbeauftragten übernommen, die spezielle Themen der Klinischen Pharmazie abdecken, so besteht die Gefahr von Qualitätseinbußen durch Überschneidungen bzw. Lücken. Ein systematischer Aufbau von Kenntnissen und Verständnis wird auf diese Weise nur sehr bedingt möglich sein. Daher ist es von großer Bedeutung, dass an Standorten ohne Professur für Klinische Pharmazie ein fachnaher Dozent die Koordination sämtlicher Lehrveranstaltungen des neuen Faches übernimmt und die Inhalte der Lehrveranstaltungen gemeinsam mit den einzelnen Lehrbeauftragten entwickelt. Darüber hinaus muss er dafür Sorge tragen, dass von Anfang an eine hohe Qualität der Veranstaltungen sichergestellt wird. Der verantwortliche Dozent sollte das Fach auch in den akademischen Gremien vertreten.
3. In den Lehrveranstaltungen der Klinischen Pharmazie im 2. Ausbildungsabschnitt sollen vor allem wissenschaftliche Grundlagen und methodische Voraussetzungen der klinisch-pharmazeutischen Beratung und Betreuung vermittelt und erlernt werden.
Kommentar: Wie in anderen Disziplinen, sollte auch in der Klinischen Pharmazie Wert darauf gelegt werden, dass die Studierenden Verständnis für wissenschaftliche Zusammenhänge entwickeln und Kompetenzen aufbauen, die die Voraussetzung für eine eigenverantwortliche Berufsausübung als Apotheker darstellen. Wegen der limitierten zur Verfügung stehenden Zeit ist einer didaktisch sinnvollen Aufbereitung des zu vermittelnden Stoffes anhand anwendungsbezogener Beispiele im 2. Ausbildungsabschnitt der Vorzug vor einer vollständigen Abhandlung von Einzelfakten zu geben. Details der klinisch-pharmazeutischen Praxis sollten daher im Wesentlichen im 3. Ausbildungsabschnitt vermittelt werden.
4. Die Inhalte der auf das Prüfungsfach Klinische Pharmazie vorbereitenden Lehrveranstaltungen müssen sich am Stoffkatalog der Anlage 14 orientieren, alle unter V genannten Themen sind zu vermitteln.
Kommentar: Gerade in der Übergangszeit wird es schwierig sein, Dozenten zu finden, die sämtliche Inhalte der Klinischen Pharmazie in den verschiedenen Lehrveranstaltungen abdecken können. Dies sollte jedoch nicht dazu führen, dass ausschließlich Inhalte vermittelt werden, in denen an dem betreffenden Standort besondere Erfahrungen bestehen. Mögliche Lösungen sind die Einbindung von Fachleuten bzw. praktisch tätigen Apothekern zu speziellen Themen (vgl. Standard 7) und die Erweiterung des Wissensspektrums an einem Standort durch gezielte Fortbildung der verantwortlichen Dozenten.
5. Das Seminar "Klinische Pharmazie" soll in vollem Umfang in Untergruppen (max. 30) durchgeführt werden, um fallbezogenes und interaktives Lernen zu ermöglichen.
Kommentar: Ein wesentliches Merkmal der Ausbildung im Fach Klinische Pharmazie ist das problemorientierte, fallbezogene Lernen. Dieses ist nur in kleinen Gruppen umsetzbar. Ausdrücklich ist in der AAppO die Veranstaltungsform "Seminar" gewählt worden, d. h. die Gruppen sollten nach Anlage 2 der Kapazitätsverordnung (KapV II) maximal 30 Studierende umfassen. Eine Durchführung des Seminars "Klinische Pharmazie" im Vorlesungsstil ist nicht akzeptabel, da auf diese Weise die Lernziele nicht erreicht werden können.
6. Bei den im Rahmen des Seminars "Klinische Pharmazie" zu bearbeitenden Beispielen sollen Patientenakten und Patientendaten eine zentrale Rolle spielen, wünschenswert ist auch ein direkter Kontakt mit Patienten.
Kommentar: Übungsbeispiele im Fach "Klinische Pharmazie" sollten vor allem auf tatsächlichen Patientenfällen basieren, da sich nur auf diese Weise die Fähigkeiten zum patientenorientierten Arbeiten entwickeln können. Dafür sollte an den verschiedenen Standorten ein Fundus von Patientenfällen aus verschiedenen Bereichen angelegt werden. Der direkte Kontakt zu Patienten sollte, wo immer möglich, Bestandteil der Lehrveranstaltungen im Fach Klinische Pharmazie sein. Dieser kann z. B. durch die Einladung von Patienten in die Lehrveranstaltungen, aber auch durch Aufenthalte von Studierenden in Apotheken oder auf Krankenhausstationen hergestellt werden.
7. An der Ausbildung sollen Apotheker und Ärzte aus der Praxis als Lehrende beteiligt werden.
Kommentar: Um den Anwendungsbezug der zu vermittelnden Lehrinhalte herzustellen, sollten Krankenhaus- und Offizinapotheker mit besonderen Erfahrungen in der Klinischen Pharmazie an den Lehrveranstaltungen mitwirken. Besonders wichtig ist es auch, Ärzte in die Veranstaltungen einzubinden, damit den Studierenden frühzeitig die Sichtweise des Arztes hinsichtlich der Arzneimitteltherapie deutlich wird.
8. Gemeinsame Veranstaltungen von Pharmazie- und Medizinstudierenden sollen angestrebt werden, auch um bereits in einem frühen Stadium eine Kommunikation zwischen Arzt und Apotheker zu fördern.
Kommentar: Klinische Pharmazie in der Praxis lebt von einer engen und vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Apotheker und Arzt. Die Teilnahme an Veranstaltungen, in denen Pharmazie- und Medizinstudierende gemeinsam Kenntnisse zur Arzneimitteltherapie erwerben, schafft schon während des Studiums ein Verständnis für die Perspektive der jeweils anderen Berufsgruppe und damit die Grundlage für eine spätere interdisziplinäre Zusammenarbeit. An den Standorten sollte daher intensiv nach Möglichkeiten zur Zusammenarbeit mit der medizinischen Fakultät gesucht werden.
9. Als Leistungskontrollen für das Seminar "Klinische Pharmazie" können Hausarbeiten, die nach Möglichkeit universitätsöffentlich verteidigt werden sollten, und Fallpräsentationen dienen.
Kommentar: Neben den klassischen Klausuren erscheint es sinnvoll, andere Prüfungsmethoden einzusetzen, die der besonderen Zielsetzung der Ausbildung im Fach Klinische Pharmazie gerecht werden. Insbesondere die schriftliche Ausarbeitung und anschließende Präsentation von Patientenfällen, in denen auf arzneimittelbezogene Probleme und deren Lösung eingegangen wird, eignen sich als Leistungskontrolle. Auch Hausarbeiten zu ausgewählten Themen, z. B. Bewertungen klinischer Studien, sind geeignet. Die Ergebnisse der Hausarbeiten könnten in Form eines Referates vorgestellt und verteidigt werden.
10. In der Prüfung "Klinische Pharmazie" im 2. Abschnitt der Pharmazeutischen Prüfung sollen an Standorten ohne Professur für Klinische Pharmazie bzw. für das Fach habilitierten Dozenten vorübergehend Lehrbeauftragte als Prüfer ernannt werden, die wesentlich und regelmäßig an der Lehre beteiligt sind und besondere Erfahrungen in Wissenschaft und Praxis der Klinischen Pharmazie vorweisen können. Die Prüfung soll auch fallbezogene Fragen beinhalten.
Kommentar: Zu Prüfern für das Fach "Klinische Pharmazie" können gemäß § 11 Abs. 2 AAppO neben Professoren, Hochschul- oder Privatdozenten "auch andere an der Hochschule in diesem Fach selbstständig Lehrende bestellt werden". Dieser Paragraph sollte nur dann Anwendung finden, wenn keine andere Lösung möglich ist. Der Auswahl eines geeigneten Prüfers kommt dann eine besondere Bedeutung zu. Wichtige Voraussetzungen sind die akademische Qualifikation sowie eine zentrale Rolle im Rahmen der Lehrveranstaltungen.
Die novellierte Approbationsordnung für Apotheker brachte die Klinische Pharmazie als fünftes Prüfungsfach ins Hauptstudium. An einigen Pharmazeutischen Instituten wurden bereits Professuren für das Fach eingerichtet oder ausgeschrieben, an einigen anderen Instituten lehren habilitierte Nachwuchswissenschaftler das Fach. Wo dies nicht der Fall ist, stellt die Einführung von Lehrveranstaltungen eine große Herausforderung dar. Damit möglichst überall klinisch-pharmazeutische Pflichtveranstaltungen in hoher Qualität angeboten werden, hat die Fachgruppe Klinische Pharmazie der DPhG zehn Standards erarbeitet, die hier publiziert und kommentiert werden.
Meinung: Klinische Pharmazie: Es ist fünf vor zwölf
"Die Klinische Pharmazie kommt nicht vom Fleck", "Die Klinische Pharmazie hat keine Chance" oder "Die Klinische Pharmazie ist auf dem Vormarsch", "Die Klinische Pharmazie ist die Zukunft der Pharmazie" – Im Moment hört man sehr unterschiedliche, ja gegensätzliche Stimmen zur Entwicklung des neuen patientenorientierten Faches innerhalb der Pharmazie. Dies überrascht nicht, denn je nachdem, wo man gerade ist, kann die Bilanz positiv oder negativ ausfallen. Das gilt sowohl für Offizin- und Krankenhausapotheken als auch für Pharmazeutische Institute. Es gibt Apotheken und Institute, an denen Klinische Pharmazie seit Jahren gelebt und praktiziert wird, und solche, für die es immer noch ein Fremdwort, ja mancherorts sogar ein Unwort ist.
Und es gibt noch eine Gemeinsamkeit zwischen Apotheken und Pharmazeutischen Instituten. In diesen Monaten macht sich Krisenstimmung breit. In einer Zeit, in der die Bedeutung von Arzneimitteln in der Therapie eher zu- als abnimmt, wird der Apotheker immer weniger als Arzneimittelexperte wahrgenommen. Die Hochschulpharmazie gerät zunehmend unter Druck, Institute sind von der Schließung bedroht. Nicht nur durch katastrophale Testergebnisse werden Apotheken und Pharmazeutische Institute zunehmend als Kostenfaktor und weniger als unverzichtbare Institutionen mit klar definiertem gesellschaftlichem Auftrag gesehen. Die Gesellschaft scheint nicht zu registrieren, welchen Beitrag Apotheker und Hochschulpharmazie leisten und wie sich beide wandeln und neue Herausforderungen annehmen.
Wie soll dieser Wandel aber auch wahrgenommen werden, solange Klinische Pharmazie in vielen Apotheken als weltfremde Spinnerei und an vielen Instituten als Gefahr für die wissenschaftliche Pharmazie gesehen wird? Durch Jammern und auf Andere zeigen wird sich nichts ändern. Es reicht eben nicht aus, dass einige Wenige an allen Fronten kämpfen. Nur ein Ruck, der die Pharmazie erfasst und der eine Aufbruchstimmung auslöst, wird etwas bewegen können. Genau dieser Ruck ist es, der uns fehlt und der in anderen Ländern längst erfolgt ist.
Wie viel Zeit bleibt uns dafür? Mit der novellierten Approbationsordnung für Apotheker hat uns der Bundesrat eine klar umrissene Aufgabe gegeben. Zunächst einmal sind alle Institute gefordert, das neue Fach bis zum nächsten Jahr einzurichten. Hier wissen wir, dass es inzwischen fünf vor zwölf ist, denn die ersten Studierenden werden im Sommersemester 2005 flächendeckend eine Examensprüfung in Klinischer Pharmazie abgelegt haben müssen. Die eigentliche Aufgabe beginnt aber erst, wenn die neuen Apotheker in den Beruf entlassen werden und das Gelernte anwenden wollen. Werden sie dann Arbeitsplätze finden, in denen sie das können? Oder wird nach kurzer Zeit alles Gelernte wieder verkümmern? Wenn dies so wäre, wird die Gesellschaft zu Recht fragen, warum sie dem Apotheker diese Ausbildung finanziert. Die nächste Frage wird dann sein, ob Institutionen, in denen Apotheker eigenverantwortlich arbeiten, überhaupt noch gebraucht werden. Es ist also fünf vor zwölf, wohl nicht nur für die Hochschulen.
Der Apotheker wird nur dann als unverzichtbarer Arzneimittelexperte wahrgenommen, wenn Forschung, Lehre und Praxis der Pharmazie an einem Strang ziehen und sich gegenseitig unterstützen. Konkret heißt dies:
- eine pharmazeutische Forschung auf internationalem Niveau unter Einbeziehung klinisch-pharmazeutischer Forschung,
- eine pharmazeutische Ausbildung, die den Apotheker besser auf die Beratung und Betreuung von Patienten vorbereitet, und
- eine pharmazeutische Praxis, die Qualitätsstandards genügt und die sich an den Bedürfnissen der Patienten, aber auch des Gesundheitswesens orientiert.
Alle drei Bereiche müssen sich permanent in diese Richtung weiterentwickeln, nur dann wird die Bedeutung von Apothekerberuf und Hochschulpharmazie in der Gesellschaft wieder sichtbarer. Das Hausapothekenmodell mit der Honorierung patientenorientierter Dienstleistungen ist ein erster wichtiger Schritt in diese Richtung. Die Einführung des neuen Faches Klinische Pharmazie an den Hochschulen und die Entwicklung der Apothekenpraxis hin zu einer stärkeren Patientenorientierung mag zwar kurzfristig eine (Mehr-)Belastung sein, sie stellt jedoch mittel- bis langfristig eine konkrete Chance für unseren Berufsstand dar, die wir nicht kurzsichtig vergeben dürfen. Ulrich Jaehde, Bonn
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