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Der beschwerliche Weg zur Heilung "alla italiana" (Erfahrungsbericht)

Katharina Kohm, eine junge Studentin, hatte im Rahmen ihres Auslandsaufenthaltes in Urbino, Italien, ermöglicht durch das Erasmus-Austauschprogramm der Universität Freiburg i.Br., das "Glück", einen unvergesslichen Einblick in die Praxis des italienischen Gesundheitswesens zu gewinnen. Hier ihr persönlicher Erfahrungsbericht. Ob sie dies auch in Deutschland hätte erleben können?

Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen in der kalten Jahreszeit hatte ich mir einen Harnwegsinfekt zugezogen. Das Schicksal wollte es, dass sich die sehr unangenehmen Symptome (vor allem der fachkundigen Leserin sicherlich wohl bekannt) ausgerechnet an einem Sonntagabend ins Unerträgliche steigerten. Ein durchaus ungeschickter Zeitpunkt, denn sonntagabends sind die Aussichten auf schnelle Hilfe bereits in Deutschland schwierig – wie würden die Chancen dann erst in Italien stehen?

Irrweg durch das italienische Gesundheitssystem

Mein erster Gedanke galt dem Arzt, der für das Wohl der Studenten verantwortlich ist, die im Studentenwohnheim residieren. Auf den ersten Blick war dieser Gedanke sehr verheißungsvoll, in der Realität allerdings keineswegs hilfreich. Da es in diesen Wohnungen grundsätzlich kein Telefon gibt, musste ich mich für ein Telefonat mit dem Arzt erst sieben Stockwerke hinauf zur Portineria, der "Rezeption", begeben.

Die Rezeptionsdame teilte mir aber mit, dass ich mich leider außerhalb der Sprechzeiten befände (es war 21 Uhr). Wenn ich mich früher gemeldet hätte ... aber am nächsten Morgen sei der Arzt gerne bereit, direkt bei mir in meinem Zimmer vorbeizukommen – gegen einen lächerlichen Betrag von 50 Euro! Dann also nicht dieser Arzt. Die Rezeptionsdame, sichtlich um mich besorgt, entschuldigte sich vielmals, so seien eben die Vorschriften ... ich konnte nichts mehr entgegnen, ich brauchte Hilfe!

Da erinnerte sie sich daran, dass es in Urbino auch eine Notfallpraxis, eine "guardia medica", gebe. Ein Hoffnungsschimmer. Aber ich blieb misstrauisch, denn es erschien mir fragwürdig, ob denn eine solche Einrichtung in Italien wahrhaftig funktionieren würde. Da musste doch ein Haken dran sein ... und ich wurde in meiner Befürchtung nicht enttäuscht:

Die wundersame Einrichtung befindet sich, wie mir erklärt wurde, in der Nähe des Krankenhauses, etwa zehn Kilometer entfernt und nicht an das öffentliche Verkehrsnetz angebunden (und selbst wenn dies der Fall gewesen wäre: der letzte Bus vom Wohnheim war bereits um 20.30 Uhr abgefahren). Was sollte ich tun? Ich kannte doch den Ursprung meiner Beschwerden bereits, da es leider nicht das erste Mal war, dass ich unter einem Harnwegsinfekt zu leiden hatte. Sollte es so beschwerlich sein, ein Rezept ausgestellt und eine Urinprobe abgenommen zu bekommen?

Mir blieb also keine andere Wahl. Ich ließ mir von einer Freundin eine Schmerztablette geben, wartete die Wirkung ab, zog mir einen Mantel an und stiefelte, mit einer mehr als ominösen Wegbeschreibung ausgestattet, Richtung Notfallpraxis.

Medizinischer Notdienst rund um die Uhr?

Der dichte Nebel des Abends erschwerte die Orientierung ungemein, aber intuitiv fand ich schließlich das besagte Gebäude. Es lag im trüben Licht der im Nebel verschwindenden Straßenlaternen düster vor mir und sah mehr als verlassen aus. "Guardia medica" las ich auf einem Klingelschild. Ich drückte gleich den Klingelknopf. Stille.

Sturmklingeln – nichts zu machen. Unfassbar, 22 Uhr und der 24-Stunden-Notfalldienst war nicht präsent! Jetzt stand ich völlig ratlos da, mitgenommen von dem sich nun als völlig sinnlosen erwiesenen Fußmarsch. Da ich nicht wusste, was ich noch versuchen könnte, trat ich den Heimweg an und hoffte, dass die Wirkung der Schmerztablette noch über die Nacht anhalten würde.

Morgen, am Montag, da würde ich wohl mehr Glück haben. 12 Stunden später stand ich wieder vor demselben Gebäude. Diesmal sah die Situation viel versprechender aus, zumindest waren die Türen geöffnet und Menschen gingen ein und aus. Auf dem Weg zur Anmeldung kam ich an zwei überfüllten Wartesälen vorbei – das konnte ja lustig werden.

Die Dame an der Anmeldung antwortete mir auf mein Anliegen mit einer Gegenfrage: ob ich denn vielleicht eine Erasmus-Studentin sei? Mein Akzent und Aussehen hatten mich wohl verraten. Wie das denn mit meiner Krankenkasse aussehe – ich hatte die Bescheinigung E128 und das Krankenkassenkärtchen bei mir. – Nein, das gehe so nicht.

Ich müsste zum "AUSL" (eine administrative Einrichtung), die Bescheinigung E128 abgeben und in ein spezielles Heft umtauschen. Vorher könne mir der Arzt kein Rezept ausstellen. Mir stand der Sinn wirklich nicht nach weiteren Fußmärschen, aber anscheinend war dies ein unumgänglicher Bürokratieweg.

Also auf zum "AUSL". Erfreulicherweise begriff man dort sofort, was mein Anliegen war und händigte mir prompt ein grünliches Heft mit eingeheftetem E128 aus. Über dieses reibungslos abgelaufene Verfahren war ich mittlerweile fast ein wenig verstört.

Dann wieder zurück zur Praxis. Die Dame an der Annahme stellte mir nun mit einem gequälten Blick ins Wartezimmer die Frage, ob ich denn nicht lieber am Nachmittag wiederkommen möchte, da lange Wartezeiten zu erwarten seien. Was für eine Frage – Nein! Es reichte, ich war am Ende mit den Nerven. Folglich befand ich mich kurz darauf im Besitz einer orangefarbenen Karte mit der Nummer 5 und dem Namen eines Arztes.

Nummer 5, das konnte ja nicht allzu lange dauern. Jetzt warten, was blieb mir auch anderes übrig. Ich könnte mir ja mit der Lektüre einiger Zeitschriften die Wartezeit versüßen. Im Wartezimmer Platz genommen, waren leider keine Zeitschriften in Sicht. Nach einer öden Stunde wurde ich langsam nervös.

Neben mir Menschen mit Karten in unterschiedlichen Farben und Nummern. Orange Karten mit den Nummern 16, 22, 27 ..., sonderbar. Den Gesprächen der Wartenden lauschend bekam ich schnell heraus, dass die Zahlen bis 30 gingen und dann der Turnus wieder von vorne anfing. Gerade wurde die Nummer 15 aufgerufen, de facto waren also noch 19 Menschen vor mir. Aber die Dame hatte mich ja gewarnt ...

Nach zwei Stunden Warten unter Schmerzen war ich endlich an der Reihe und gänzlich am Ende mit den Nerven. Der Arzt war es ebenfalls. Massenabfertigung. Nach einem längeren, in meiner Anwesenheit geführten, privaten Telefongespräch wurde ich nach der Art meiner Beschwerden gefragt. Disco-Musik im Hintergrund. Er war sichtlich erleichtert, dass ich bereits wusste, dass es ein Harnwegsinfekt sein musste.

Es folgte die Frage nach einem bevorzugten Antibiotikum. Meine Frage, ob denn eine Urinprobe sinnvoll sei, verneinte er. Erst wenn dieses Antibiotikum nicht wirken sollte, solle ich wiederkommen, um mir eine Probe abnehmen zu lassen. Innerhalb weniger Minuten war ich wieder im Freien, endlich im Besitz des hart erkämpften Rezeptes.

Happyend in der Apotheke

An der letzten Station meiner Odyssee, der Apotheke, erwartete mich eine unerwartet erfreuliche Überraschung – man händigte mir das Medikament mit einer professionellen Beratung unentgeltlich aus. Wenigstens etwas Positives – ein starker Espresso neben der farmacia gab mir die gute Laune zurück Dieses Erlebnis hat mich eindrücklich gelehrt, was das beste und ratsamste Rezept in Italien ist: Besser nicht krank werden!

Katharina Kohm

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