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Grüne und SPD planen höhere Pflegebeiträge für Kinderlose
Grund für die zusätzliche Belastung Kinderloser ist eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem April 2001. Danach muss in der Pflegeversicherung bis 2005 ein gewisser Familienlastenausgleich eingeführt werden. Verlangt wird eine "relative Entlastung" Kindererziehender gegenüber Kinderlosen bei den Pflegebeiträgen, da Eltern mit der Erziehung einen wichtigen Beitrag zum Erhalt der Sozialsysteme leisteten.
Bundessozialministerin Ulla Schmidt hatte Ende vergangenen Jahres noch geplant, die Vorgaben aus Karlsruhe durch einen Zuschlag von 2,50 Euro im Monat für Kinderlose und Eltern, deren Kinder bereits aus dem Haus sind, umzusetzen. Auch Leistungen für Demenzkranke und weitere Strukturreformen waren vorgesehen. Bundeskanzler Gerhard Schröder pfiff die Ministerin allerdings zurück, als er sah, welche Probleme bereits die Gesundheitsreform mit sich brachte.
Höhere Beiträge sollen 800 Mio. Euro in Pflegekasse spülen
Nach dem nun gefassten vorläufigen Beschluss der rot-grünen Fachpolitiker sollen Kinderlose, die älter als 23 Jahre sind, ab 1. Januar 2005 einen zusätzlichen Beitrag von 0,25 Prozentpunkten zur Pflegeversicherung entrichten. Bislang liegt der Beitrag bei 1,7 Prozent. Der Arbeitgeber soll auch künftig unverändert 0,85 Prozent tragen. Von der Erhöhung sind rund 13 Mio. Versicherte betroffen. Für Arbeitnehmer mit einem Einkommen an der Bemessungsgrenze von 3487,50 Euro wären somit künftig 8,72 Euro im Monat mehr fällig – insgesamt beliefe sich ihr Beitrag zur Pflegekasse auf monatlich 38,36 Euro.
Erwartet werden Mehreinnahmen von etwa 800 Mio. Euro. Diese sollen helfen, die wachsende Finanzlücke zu schließen. Erst 2005 werde "geprüft, ob und gegebenenfalls welche Schritte zur Fortentwicklung der Pflegeversicherung finanziell verantwortbar sind und daher in Angriff genommen werden sollen", hieß es im Bundessozialministerium. Von der Beitragserhöhung nicht betroffen sind nach Angaben von SPD-Fraktionsvize Gudrun Schaich-Walch alle, "die Kinder erziehen oder jemals Kinder erzogen haben".
Auch die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion Erika Lotz bestätigte, "es gehe in Richtung" einer Mehrbelastung um 0,25 Prozentpunkte. Die genaue Ausgestaltung solle in weiteren Gesprächen bis Ende August festgelegt werden.
Grüne wollen bessere Leistungen
Die Grünen wollten eigentlich mit einer generellen Beitragserhöhung für alle – außer für Rentner und Kindergeldbezieher – die Basis für bessere Pflegeleistungen schaffen. Ihr Parteichef Reinhard Bütikofer bezeichnete Meldungen über eine Einigung bei der Pflegereform in der Koalition daher am 5. Juli als "voreilig". Er rechnet mit einem Ende der Gespräche nicht vor den ersten Fraktionssitzungen von SPD und Grünen nach der Sommerpause.
Die pflegepolitische Sprecherin der Grünen Petra Selg erklärte, nun zumindest einen Entschließungsantrag durchsetzen zu wollen, der das Konzept für den längerfristigen Umbau der Pflegekasse skizziert. Daraus müsse hervorgehen, dass aufgrund der demographischen Entwicklung und der steigenden Zahl von Demenz-Patienten eine angemessene Leistung nur mit höheren Beiträgen möglich sei, sagte Selg.
Kein Anhaltspunkt für Defizit von einer Mrd. Euro
Der Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums Klaus Vater wollte am 5. Juli zu der angeblichen Einigung der Regierungskoalition über die Reform der Pflegeversicherung keine Stellung beziehen. Er sagte, es handle sich seiner Einschätzung nach um eine "vorläufige Absprache" der Fachpolitiker von Rot-Grün, die nun in beiden Fraktionen noch diskutiert werden müsse. Zeitungsberichte über ein erwartetes Defizit von knapp einer Mrd. Euro in der Pflegeversicherung im laufenden Jahr wies er hingegen zurück: "Bei uns gibt es für ein solches Defizit keinen Anhaltspunkt".
Er wies zudem darauf hin, dass Hochrechnungen noch sehr gewagt seien, da man hierfür allenfalls die Daten der ersten fünf Monate des laufenden Jahres heranziehen könne. Petra Selg erklärte hingegen gegenüber der Presse, dass das Defizit nach neuen Schätzungen bei 920 Mio. Euro liegen könnte. Bisher ging die Koalition von 750 Mio. Euro aus.
Kritik von Opposition und Arbeitgebern
Opposition und Arbeitgeber kritisierten die Pläne der Bundesregierung. Die Gesundheitsexperten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Andreas Storm und Annette Widmann-Mauz monierten, dass die Regierung "weder die Kraft noch den Willen aufbringt, um die dringend notwendige Strukturreform der Pflegeversicherung anzugehen". Sie versuche sich lediglich "am Stopfen selbst verursachter Finanzlöcher". Das Ergebnis wirke wie eine "Pflege-Steuer" für Kinderlose.
Der pflegepolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion Daniel Bahr sprach von "unseriöser Flickschusterei" und einem Missbrauch des Urteils des Bundesverfassungsgerichts. Er forderte eine spürbare Entlastung der Kindererziehenden von der Beitragsbelastung. Dazu sollte die gesamte Gesellschaft über Steuermittel beteiligt werden.
Auch Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt will die Entlastung Erziehender aus dem allgemeinen Steueraufkommen finanziert wissen – am besten durch ein modifiziertes Kindergeld. Er erklärte weiterhin, die rot-grünen Pflegepläne seien eine "unverhohlene Beitragssatzerhöhung" und mahnte an, die überfälligen Strukturreformen anzugehen.
Fachpolitiker von SPD und Grünen haben sich offenbar darauf geeinigt, den Beitragssatz zur Pflegeversicherung für Kinderlose um 0,25 Prozentpunkte zu erhöhen. Die Fraktionen haben diesen Kompromiss allerdings noch nicht abgesegnet. Dazu wird es wohl erst nach der parlamentarischen Sommerpause kommen. Die Grünen wollen neben der Belastung der Kinderlosen auch Leistungsverbesserungen für Demenzkranke beschließen.
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