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Chemie: Ionische Flüssigkeiten – Lösungsmittel der Zukunft

Ionische Flüssigkeiten sind Salze, die über einen weiten Temperaturbereich unterhalb von 100 °C flüssig sind. Die speziellen Eigenschaften dieser Salzschmelzen lassen hoffen, sie als Ersatzstoffe für organische Lösungsmittel verwenden zu können. Aber auch für die organische Synthese bieten sie vielversprechende Ansätze.

Chemische und biochemische Stoffumwandlungen laufen häufig in Lösungsmitteln ab, da die Ausgangsstoffe in gelöster Form selektiver und schneller miteinander reagieren können. Bisher sind organische Lösungsmittel häufig das Mittel der Wahl. Ihre industrielle Anwendung ist jedoch technologisch aufwändig, weil sie leicht unkontrolliert verdampfen und Gesundheit und Atmosphäre belasten. Immer stärker in den Blickpunkt von Forschung und Anwendung rücken deshalb die ionischen Flüssigkeiten. Sie scheinen eine hervorragende Alternative für organische Lösungsmittel in der Katalyse und auch in der Synthese zu sein. Auch Wasser werden sie als Lösungsmittel in vielen Fällen ersetzen. Denn das Lösungsmittel Wasser ist zwar ungiftig und leicht verfügbar, kann aber bekanntlich nicht alle Stoffe lösen. Zudem sind viele Substanzen und Produkte und die notwendigen Reaktionsbeschleuniger in Wasser nicht stabil.

Salze mit niedrigem Schmelzpunkt

Ionische Flüssigkeiten (IF) sind schlicht Salzschmelzen – mit der Einschränkung, dass der Schmelzpunkt unterhalb von 80 bis 100 °C liegt. Sie bestehen aus organischen Kationen (z. B. 1-Ethyl-3-methyl-imidazolium, EMIM; 1-Butyl-3-methyl-imidazolium, BMIM) und organischen Anionen (z. B. Trifluormethansulfonat, Triflat) oder anorganischen Anionen (z. B. Tetrafluoroborat, Hexafluorophosphat, Nitrat, Perchlorat) und sind im Unterschied zu ionischen Lösungen ausschließlich aus diesen Ionen aufgebaut. Die ersten speziellen Salzschmelzen kamen in den frühen 1960er-Jahren als Elektrolyte in Batterien zum Einsatz.

Erforscht wurden zunächst nur sehr wasser- und luftempfindliche Schmelzen mit Chloroaluminat. 1992 kam der Durchbruch, als luftstabile und gering hydrolyseempfindliche ionische Flüssigkeiten wie die Tetrafluoroboratschmelzen entdeckt wurden. Seit Ende der 1990er-Jahre werden ionische Flüssigkeiten mit stetig wachsender Variationsbreite zu Forschungszwecken und auch schon für die industrielle Anwendung hergestellt. Der größte Anbieter weltweit ist die Merck KGaA, die mehr als 250 verschiedene Schmelzen entwickelt hat und diese teilweise schon im Grammbereich vertreibt.

Designer-Lösungsmittel

Die auch Designer-Lösungsmittel genannten Verbindungen lassen sich durch die Wahl der Kat- und Anionen in ihren chemischen und physikalischen Eigenschaften variieren. Manche Forscher ziehen scheinbar willkürlich die Grenze zwischen Salzschmelzen und ionischen Flüssigkeiten bei der Schmelztemperatur von 80 °C. Unterhalb dieser Temperatur weitet sich die Anwendungsbreite flüssiger Salze sprunghaft. Sogar Nanopartikel lassen sich in ihnen lösen.

Mit vielen organischen Produktgemischen bilden ionische Flüssigkeiten zwei Phasen. Die mehrphasige Reaktionsführung ermöglicht in diesen Fällen eine einfache Produktabtrennung und Rezyklierung des homogenen Katalysators. Der praktisch nicht vorhandene Dampfdruck ionischer Flüssigkeiten erlaubt außerdem eine destillative Produktabtrennung. Der Katalysator wird dabei in einigen Fällen unter den destillativen Bedingungen durch die ionische Flüssigkeit stabilisiert und kann mit nahezu unveränderter Aktivität für weitere Katalysen genutzt werden.

Diese Eigenschaften der neuen Materialklasse öffnen die Tür auch für viele elektrochemische Anwendungen, wie zum Beispiel die Beschichtung von Metalloberflächen. In diesem Zusammenhang spielt die elektrochemische Stabilität, das so genannte elektrochemische Fenster des verfügbaren pH-Wert-Bereiches, eine Schlüsselrolle. Das elektrochemische Fenster wird bestimmt von der Stabilität des Kations gegen Reduktionsprozesse und der Stabilität des Anions gegen Oxidationsprozesse. Seine Weite nimmt bei Unreinheiten sehr stark ab. Die Suche nach Designer-Lösungsmitteln, die ein weites elektrochemisches Fenster mit ausreichender Leitfähigkeit und Viskosität aufweisen, ist noch im Gang.

Beispiel Entschwefelung

Ein wichtiges Beispiel der Anwendung von IF ist die Entschwefelung von Kraftstoffen. Derzeit werden organische Schwefelverbindungen aus Kraftstoffen durch hydrierende Umsetzung an Katalysatoren (Hydrodesulfurisation, HDS) entfernt. Die Reaktivität der Dibenzothiophene für die HDS ist allerdings sehr gering, sodass diese Technologie für eine Herabsetzung des Schwefel-Gehalts unter 10 ppm, wie sie die Automobilindustrie fordert (Grenzwert in der EU ab 2005: 50 ppm), nicht geeignet ist.

Die energetisch und apparativ aufwändige HDS (Temperaturen über 300 °C und Wasserstoffdrücke von 30 bis 100 bar) soll durch eine wesentlich wirtschaftlichere Flüssig-Flüssig-Extraktion ersetzt werden, die bei Normaldruck und bei Temperaturen von Raumtemperatur bis 50 °C arbeitet. Hier sollen ionische Flüssigkeiten zum Einsatz kommen, die im Gegensatz zu flüchtigen organischen Lösungsmitteln keine ökologischen und sicherheitstechnischen Probleme verursachen. An den Universitäten Bayreuth und Nürnberg-Erlangen wird derzeit das Verfahren erarbeitet. Doch damit steht der großtechnische Einsatz der ionischen Flüssigkeiten erst am Anfang. Es ist eine stille, unspektakuläre Neuerung, die viele chemische Prozesse wesentlich verändern wird.

Viele heute betriebene chemische Prozesse werden neu durchdacht werden müssen. Es wird in der nahen Zukunft neue Verfahren für die Katalyse und die organische Synthese geben. Denn bei Zimmertemperatur kombinieren die Salzschmelzen die Vorteile klassischer Hochtemperaturschmelzen mit denen wässriger Systeme.

Entdeckung ionischer Flüssigkeiten

  • 1914: Ethylammoniumnitrat ist bei Raumtemperatur flüssig
  • 1948: Erste Raumtemperatursalzschmelzen auf Basis von Chloroaluminat; Beschichtungen mit Aluminium
  • 1980: Systematische elektrochemische Untersuchung in Chloroaluminat-Systemen
  • 1992: Entwicklung hydrolysestabiler Systeme für Batterien, Katalyse, Elektrodisposition

    Eigenschaften ionischer Flüssigkeiten

    • Hervorragende Lösungsmittel für organische und anorganische Substanzen
    • Hohe thermische Stabilität
    • Schmelzpunkt häufig bei Raumtemperatur
    • Sehr geringe Flüchtigkeit
    • Nicht brennbar
    • Mit vielen organischen Lösungsmitteln und mit Wasser mischbar

    Einsatz ionischer Flüssigkeiten

    • Lösungsmittel für Synthesen und Katalysen (Friedel-Crafts-Reaktionen, Diels-Alder-Reaktionen, Hydrogenierungen, Oxidationsreaktionen, Heck-Reaktionen u. a.)
    • Nichtwässrige, polare Substitute für zweiphasige Systeme
    • Medium für Heterogenierungen homogener Katalysatoren durch Immobilisierung der festen Phase
    • Gute Elektrolyte in der Elektrochemie
    • Sehr gute Wärmespeichermedien

    Ionische Flüssigkeiten im Netz

  • Salzschmelzen

    Salzschmelzen bestehen aus beweglichen, von Leerstellen umgebenen Kationen und Anionen. Sie sind thermisch beständig, haben einen niedrigen Dampfdruck, eine gute thermische und elektrische Leitfähigkeit und sind wenig viskos. Durch die Leerstellen lösen sie vor allem Gase, Metalle und andere Salze. Einige Hydride, Carbide und Oxide lösen sich ausschließlich in Salzschmelzen.

    Zitat Das Lösungsmittel muss eigentlich als der wesentlichste Teil der gesamten Chemie angesehen werden. Die Chemiker setzen es an die erste Stelle aller ihrer Hilfsmittel und rühmen sich, mit seiner Hilfe all die wunderbaren Wirkungen ihrer Kunst ausführen zu können. Herman Boerhaave (1668 – 1738), holländischer Arzt

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