Arzneimittel und Therapie

Neuer Grippeimpfstoff: Immunisieren mit Virosomen

Im Herbst dieses Jahres soll ein neuer Grippeimpfstoff der Firma Solvay in der Schweiz, den Niederlanden und Großbritannien erhältlich sein. Invivac® basiert auf der neuartigen Virosom-Technologie: Aufgrund der viralen Proteine in ihrer Hülle werden Virosomen durch Endozytose in das Cytosol einer Zelle aufgenommen und lösen so eine Immunantwort aus.

Virosomen sind kugelförmige Partikel mit einem Durchmesser von etwa 150 nm. Sie bestehen aus einer einzigen Phospholipiddoppelmembran, in die von beiden Seiten Hämagglutinin und Neuraminidase, beides Proteine aus der Hülle des Grippe-Virus, eingelagert sind.

Virosomen – Virushüllenimitate ohne Erbinformation

Virosomen gelangen auf demselben Weg in eine Zelle wie intakte Influenza-Viren. Zunächst vermittelt Hämagglutinin eine Bindung an Sialinsäure-tragende Rezeptoren der Zelloberfläche. Daraufhin stülpt sich die Zellmembran nach innen und es wird ein Vesikel (Endosom) abgeschnürt, das das Virosom enthält. Im sauren Milieu des Endosoms verschmelzen die Membranen von Virosom und Endosom miteinander. Vermittelt wird der Vorgang wiederum durch Hämagglutinin. Hierdurch gelangen virale Proteine in das Cytosol und stehen für den Vorgang der Antigenprozessierung und Präsentation zur Verfügung.

Virosomen zeigen eine Affinität zu antigenpräsentierenden Zellen und gleichzeitig ahmt der Impfstoff den natürlichen Übertragungsweg des Virus nach. Daraus resultiert eine sehr breite Immunantwort, an der sowohl B- als auch T-Lymphozyten beteiligt sind. Ein Zusatz von Aluminiumhydroxid zur Verstärkung der Immunantwort ist daher überflüssig. Aufgrund dieser Eigenschaften sind Virosomen bei älteren Menschen und Patienten mit niedrigen Antikörpertitern vor der Impfung besonders geeignet.

Virosomen und Adressierung von Arzneistoffen 

Virosomen stellen einen weiteren Schritt in Richtung des gezielten Transports von Arzneistoffen an ihren Wirkort (drug-targeting) dar. Aufgrund der viralen Proteine in ihrer Hülle sind sie in der Lage, einen Wirkstoff durch Endozytose direkt in das Cytosol einer Zelle zu transportieren. Eine andere Spezies von Lipidvesikeln, die Immunoliposomen, tragen monoklonale Antikörper in ihrer Membran, die es ihnen ermöglichen, spezifisch an bestimmte Strukturen, z. B. tumorassoziierte Antigene, zu binden.

Leider erfolgt die Freisetzung der in den Immunoliposomen verkapselten Arzneistoffe nur unvollständig. Durch Kombination der beiden Arzneiformen entstehen so genannte Immunovirosomen, also Partikel, die sowohl bestimmte Strukturen erkennen als auch ihren Inhalt in das Innere der betreffenden Zelle transportieren können. Versuche mit tumorinfizierten Mäusen verliefen viel versprechend, vor allem, was die Beseitigung von Mikrometastasen anging.

Dabei kamen Virosomen zum Einsatz, die mit tumorspezifischen Antikörpern versehen und mit Doxorubicin beladen waren. Diese Immunovirosomen erwiesen sich sowohl der reinen Doxorubicingabe als auch der von Doxorubicin-beladenen Virosomen gegenüber als deutlich überlegen. Andere Überlegungen zielen darauf, Virosomen auf den VEGF (vascular endothelial growth factor) "abzurichten" und so die Angiogenese eines Tumors zu behindern.

Quelle
Waelti, E. R.: Virosomen – ein wirksames Drug-Targeting-System für Tumorzellen. BIOspektrum 3, 307-310 (2003).

Schonende Aufarbeitung der viralen Proteine

Allgemein besteht das Problem bei der Herstellung darin, die Funktion der Virusproteine zu erhalten, so dass das entstehende Virosom noch in der Lage ist, in Zellen einzudringen. Zunächst erfolgt die Gewinnung der Viren aus infizierten Hühnereiern oder Zelllinien von Säugetieren. Anschließend werden die beiden Glycoproteine Hämagglutinin und Neuraminidase hochrein isoliert und in Gegenwart eines speziellen Detergenz (C12E8) und Phospholipiden solubilisiert. Das Detergenz wird durch Adsorption schrittweise entfernt, was zur spontanen Ausbildung der Virosomen führt.

Markteinführung 2005 geplant

Virosomen gelten sowohl was Schwere und Häufigkeit der Nebenwirkungen als auch die Effektivität der Impfung angeht als den traditionellen Impfstoffen überlegen. Dies scheint auch auf Invivac® zuzutreffen. Die Sicherheit und Wirksamkeit des Präparates wurde in mehreren klinischen Studien mit insgesamt 2865 Teilnehmern geprüft. Noch in diesem Jahr soll der Impfstoff in den Niederlanden, die als Referenzstaat für die Zulassung in Europa dienten, sowie der Schweiz und Großbritannien erhältlich sein. Für das Jahr 2005 ist die Einführung in 13 weiteren europäischen Ländern, darunter auch Deutschland, vorgesehen. Nur die französischen Behörden haben die Zulassung bisher nicht erteilt.

Ebenfalls im nächsten Jahr soll neben der traditionellen Gewinnung der Viren aus Hühnereiern eine weitere Produktionsvariante etabliert werden, bei der eine MDCK (Madin Darby canine kidney cell) Zelllinie verwendet wird. Solvay verspricht sich von diesem Verfahren eine schnellere Anpassung der Produktion für den Fall einer Grippeepidemie. cl

Quelle 
Scrip No 2964, 1. Juni 2004.

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.