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- DAZ 41/2004
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Arzneimittel und Therapie
Neues Insulinanalogon: Insulinglulisin schnell wirksam auch bei Adipösen
Die physiologische Insulinsekretion beim normalgewichtigen zuckerstoffwechselgesunden Menschen setzt sich zusammen aus einer Basalsekretion (nüchtern und zwischen den Mahlzeiten) von etwa 0,7 bis 1,0 Einheiten pro Stunde und einer prandialen Sekretion von ca. 1,35 Einheiten pro Broteinheit (1 BE: 12 g Kohlenhydrate) als Antwort auf Glucose- und Aminosäurensubstrate in der Nahrung.
Physiologische Insulinsekretion imitieren
Das Ziel der Behandlung des Typ-1-Diabetes ist es, diese physiologische Insulinsekretion möglichst optimal zu imitieren. Konventionelles, tierisches wie humanes kurzwirkendes Normalinsulin hat allerdings drei wesentliche Schwächen. Es wirkt nach subkutaner Gabe in der Regel unphysiologisch zu langsam, zu lange und es erreicht nicht ausreichend hohe Wirkspiegel. Insbesondere der physiologische Insulin-peak unmittelbar nach Nahrungsaufnahme wird nicht nachgebildet.
Daher werden kurzwirkende Insulinanaloga hergestellt mit einem raschen Wirkeintritt nach Injektion, idealerweise in weniger als einer halben Stunde, einem hohen Konzentrationsgipfel und einer begrenzten Wirkdauer, idealerweise kürzer als vier Stunden. Daraus ergibt sich für den Patienten eine bisher kaum zu erreichende hohe Flexibilität sowie eine hohe therapeutische Effektivität durch eine verbesserte postprandiale Blutzuckereinstellung. Hinzu kommt eine höhere therapeutische Sicherheit durch Vermeiden allzu langer Wirkung des Insulins und etwaiger konsekutiver Hypoglykämien.
Schnelle und kurze Wirkung
Der Einsatz von Insulinanaloga für die prandiale Versorgung bietet sich auch beim Typ-2-Diabetiker an, wenn hohe postprandiale Blutzuckerwerte und eine massive Insulinresistenz vorliegen oder sehr lange Spritz-Ess-Abstände durch die verzögerte Insulinresorption notwendig sind. Durch die Imitation des Insulin-peaks hemmen Insulinanaloga die hepatische Gluconeogenese effektiver als Normalinsulin.
Das rekombinante Analogon des Humaninsulins Insulinglulisin erreicht das erwünschte Wirkprofil durch Austausch der Aminosäuren Asparagin in Position B3 gegen Lysin und Austausch von Lysin in Position B29 gegen Glutaminsäure. Dadurch wird die Stabilität von polymeren Insulinmolekülkomplexen soweit verringert, dass Insulinglulisin einerseits über ausreichende Lagerfähigkeit verfügt. Andererseits wirkt es nach subkutaner Injektion bei gleicher biologischer Aktivität schneller und kürzer als humanes Normalinsulin.
Reproduzierbare Wirksamkeit in den Probandengruppen
Insulinglulisin weist eine konstant starke frühe Anflutung auf, und das über alle Patienten- und Probandenpopulationen hinweg, in denen es geprüft wurde:
- schlanke bis dicke,
- männliche oder weibliche,
- ältere und jüngere,
- niereninsuffiziente und auch
- ethnisch differenzierte nicht diabetische Erwachsene,
- erwachsene, heranwachsende oder Typ-1-Diabetiker im Kindesalter und
- moderat übergewichtige erwachsene Typ-2-Diabetiker.
Daran geknüpft ist eine frühe, an die physiologischen Bedürfnisse besser angepasste Glucoseverwertung. Insulinglulisin kann deshalb gleichermaßen vor oder nach einer Mahlzeit gegeben werden.
Schnelle Wirkung auch bei Adipositas
Insulinglulisin wird nahezu dosisunabhängig einheitlich schnell aus dem subkutanen Fettgewebe resorbiert. Im Mittel werden für das Analogon doppelt so schnelle und doppelt so hohe Maximalkonzentrationen gemessen wie unter humanem Normalinsulin. Unabhängig von der Injektionsstelle – Oberschenkel, Oberarm oder Bauchdecke – beträgt die absolute Bioverfügbarkeit von Insulinglulisin im Mittel 70%. Moderate bis schwere Niereninsuffizienz beeinflusst die Verteilung und Clearance von Insulinglulisin nicht.
Seine Absorption und Wirkung sind bei Diabetikern im Kindes- und Jugendalter denen bei Erwachsenen gleich. Die Wirkung von Insulinglulisin setzt innerhalb von fünf bis 15 Minuten nach subkutaner Injektion ein, wobei die Injektion in die Bauchdecke am schnellsten wirkt. Das neue Insulinanalogon verstoffwechselt pro Einheit ebensoviel Glucose wie humanes Normalinsulin. Seine schnellere Wirkung bewahrt es auch in adipösen Probanden, während humanes Normalinsulin hier besonders an Schnelligkeit verliert. Insulinglulisin war diesbezüglich Insulin Lispro in einer Studie überlegen.
Flexibilität beim Essen
Verglichen mit der Gabe von humanem Normalinsulin 30 Minuten vor dem Essen kontrolliert Insulinglulisin innerhalb von zwei Minuten den postprandialen Blutzucker mindestens gleichwertig. Dies ist insofern von praktischer Bedeutung, als nur 21% aller Patienten der offiziellen Empfehlung folgen, ihr Insulin 30 Minuten vor einer Mahlzeit zu spritzen und eine Gabe unmittelbar vor der Mahlzeit vorziehen. Vergleicht man die postprandialen Blutzuckerspiegel in diesem Fall, ist Insulinglulisin humanem Normalinsulin überlegen. Selbst wenn das neue schnellwirksame Insulinanalogon nach der Mahlzeit gegeben wird, was ebenfalls von einem großen Teil der Patienten gewünscht und praktiziert wird, ist es dem unmittelbar vor der Mahlzeit gegebenen humanen Normalinsulin mindestens ebenbürtig.
Martin Wiehl, Erfurt
Quelle
Prof. Dr. Reinhard G. Bretzel, Gießen; Dr. Reinhard H. A. Becker, Frankfurt/M.; Prof. Dr. Thomas J. Haak, Bad Mergentheim; Dr. M. A. Schweitzer, Bad Soden: Symposium "Schnellwirksame Insulinanaloga: Therapieoptionen für Typ-1- und Typ-2-Diabetes" im Rahmen der 40. Jahrestagung der European Association for the Study of Diabetes (EASD), München, 5. September 2004, veranstaltet von der Aventis Pharma Deutschland GmbH, Bad Soden.
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