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Physiknobelpreis 2004: Starke Farben – der Klebstoff der Quarks

Die Königliche Schwedische Akademie der Wissenschaften vergibt den diesjährigen Nobelpreis für Physik für die Entdeckung der asymptotischen Freiheit in der Theorie der Starken Wechselwirkung. Die drei beteiligten Forscher aus den USA legten den Grundstein für die Quantenchromodynamik; mit anderen Worten, sie brachten die Farbe in die Welt der Quarks.
Quelle: Nobelkomitee
ABB. 1: DIE VIER GRUNDKRÄFTE. Elektromagnetische, Schwache und Starke Kraft beherrschen die Wechselwirkungen 
der Elementarteilchen. Die Schwerkraft ist auf dieser Ebene vernachlässigbar.

Vier Grundkräfte

Was die Welt im Innersten zusammenhält, ist noch immer nicht ganz verstanden, trotz hundert Jahren Forschung in der Elementarteilchenphysik. Während die Plancksche Quantentheorie (s. Kasten) ein sehr abstraktes Gebilde ist, ist die Quantenfeldtheorie, die die Elementarteilchen als Quanten eines Feldes beschreibt, recht anschaulich. Die Kraft etwa, die zwei Teilchen gleicher elektrischer Ladung aufeinander ausüben, lässt sich so beschreiben, dass von beiden Teilchen elektromagnetische Wechselwirkungsteilchen (Photonen) ausgehen, die auf das andere Teilchen prallen und es damit abstoßen. Zwei Magneten stoßen sich ab, indem sie Photonen aussenden.

Die elektromagnetische Wechselwirkung ist eine der vier Grundkräfte, die die Welt zusammenhalten (Abb. 1, Tab. 1). Sie ist ebenso sinnlich erfahrbar wie die schwächste der Kräfte, die Gravitation oder Schwerkraft. Die Wechselwirkungsteilchen der Schwerkraft konnten jedoch bisher noch nicht nachgewiesen werden; insofern unterscheidet sie sich prinzipiell von den drei übrigen Grundkräften, die mit dem Standardmodell (s. Kasten) beschrieben werden.

Tab. 1: relative Stärken (Starke Kraft = 1), Reichweiten und Wechselwirkungsteilchen der vier Grundkräfte

KraftRel. StärkeReichweite*Teilchen
Schwerkraft10–39unendlichGraviton**
Schwache Kraft10–510–18 mBosonen W+, W, Z0
Elektromagnet. Kraft10–2unendlichPhoton
Starke Kraft10010–15 m8 Gluconen
* Zum Vergleich (Durchmesser): Atomkern ~10–14 m, Nukleon ~10–15 m, Elektron ~10–18 m, Quark ~10–19
** nicht nachgewiesen

Die Schwache Kraft – trotz ihres Namens sehr viel stärker als die Schwerkraft – ist der Unruhestifter unter den vier Kräften. Ihre Wechselwirkungsteilchen, die 1984 am CERN gefunden wurden, heißen Bosonen. Sie können die in den Nukleonen (Protonen und Neutronen) enthaltenen Quarks umwandeln und verursachen dadurch den β-Zerfall von Atomkernen, der mit β-Strahlung (β-Teilchen = Elektronen, Positronen, Neutrinos) einhergeht; wenn z. B. ein Down-Quark in ein Up-Quark umgewandelt wird, wandelt sich ein Neutron in ein Proton um, wobei ein Elektron und ein Anti-Neutrino freigesetzt werden.

Die Starke Kraft ist die stärkste Kraft des Universums, sie hält die Quarks und damit die Protonen und Neutronen im Atomkern zusammen (deshalb auch Kernkraft). Ihre Stärke spiegelt sich in der bei der Kernspaltung freiwerdenden Energie wider.

Geburt der Quantenphysik

Es war kurz vor Weihnachten 1900, als ein neues physikalisches Universum seinen Urknall erlebte. Damals hatte Max Planck, innerlich noch gegen die eigene Erkenntnis ankämpfend, behauptet, dass Licht in diskreten Portionen oder Quanten emittiert und absorbiert wird. Die Welleneigenschaften des Lichtes waren damals wohlbekannt. Man stand nun plötzlich vor der merkwürdigen Situation der Doppelnatur des Lichtes als Welle und auch als Teilchen.

Quelle: Nobelkomitee
ABB. 2: QUARKS AUS ENERGIE. Bei der Kollision von Elektron (e) und Positron (e+) werden zwei (oben) oder drei (unten) Partikelschauer beobachtet. Die Vergrößerung (rechts) gibt die Interpretation der Phänomene mit Hilfe der Quantenchromodynamik wieder 
(q = Quark; q¯ = Antiquark; g = Gluon).

Wechselwirkung wie ein Gummiband

Die Reichweite der Grundkräfte, die auf der Wechselwirkung der ihr zugeordneten Teilchen beruht, ist teilweise sehr gering, teilweise unendlich (Tab. 1). Eine geringe Reichweite hat beispielsweise die Starke Kraft (Kernkraft) im Atomkern: Entfernen sich die Quarks zu weit voneinander, hört die Wechselwirkung zwischen ihnen auf, ähnlich wie zwei Handballspieler sich bei zu großer Distanz den Ball nicht mehr zuwerfen können. Stehen sie aber direkt beieinander, gibt es zwischen ihnen auch keinen Austausch, ähnlich wie bei den beiden Handballspielern, die in diesem Fall den Ball einem dritten Spieler zuwerfen würden.

Die Nobelpreisträger David Gross, David Politzer und Frank Wilczek hatten das – für sie überraschende – Phänomen bereits vor etwa 30 Jahren entdeckt. Die Starke Kraft verhält sich demnach wie ein Gummiband: Werden zwei Quarks auseinander gezogen, wächst die Kraft zwischen ihnen rasant an; kommen sie sich sehr nahe, geht die Kraft gegen Null (s. Kasten "Betafunktion").

Quarks können durch die Umwandlung von Energie in Materie entstehen (Abb. 2). Wird das "Gummiband" zwischen zwei Quarks zu stark gedehnt und reißt, wandelt sich die dabei frei werdende Energie in neue Quarks um, die mit den auseinander gerissenen Quarks sofort neue Paare (Mesonen) oder Dreiergruppen (Nukleonen) formen. Deshalb kommt ein Quark nie einzeln vor. Dieses Phänomen wird als asymptotische Freiheit (das Quark kommt der Freiheit nahe, erreicht sie aber nie) und als Quarkeinschluss oder -einkerkerung bezeichnet.

Standardmodell und Weltformel

Der Traum eines jeden Physikers ist es, die vier Grundkräfte bzw. Wechselwirkungen auf ein einziges Prinzip zurückzuführen, d. h. die Weltformel zu finden. Das Standardmodell erfasst drei der vier Grundkräfte, nicht aber die Schwerkraft.

Farbkräfte

Seit den 1960er-Jahren weiß man, dass Protonen und Neutronen aus Quarks aufgebaut sind und dass die Quarks elektrisch geladen sind. Jedoch befremdete die Vorstellung, dass ihre elektrische Ladungen gedrittelt ist: Das Neutron besteht aus einem Quark mit der elektrischen Ladung + 2/3 und zwei Quarks mit –1/3 (2/3 – 2/3 = 0), beim Proton ist das Zahlenverhältnis der Quarks umgekehrt (4/3 – 1/3 = 1).

Die Wechselwirkungsteilchen der Starken Kraft sind die Gluonen (von engl. "to glue", kleben), deren Existenz 1979 am Deutschen Elektronensynchrotron (DESY) in Hamburg bestätigt wurde. Um das Zusammenspiel von Gluonen und Quarks zu beschreiben, haben die drei Preisträger die Quantenchromodynamik oder Quantenfarbkraft ersonnen:

  • Quarks gibt es in den drei Farben Rot, Grün und Blau, Antiquarks entsprechend in Antirot, Antigrün und Antiblau.
  • Gluonen haben jeweils zwei Farbladungen, zum Beispiel Rot und Antiblau. Sendet ein rotes Quark ein rot-antiblaues Gluon aus, wird es blau. Schluckt ein blaues Quark nun dieses Gluon, wird es rot. Über diese Art von Austausch ziehen Quarks einander an oder stoßen sich ab.

Es gibt acht verschiedene Arten von Gluonen. Da sie selbst farbig sind, treten sie auch untereinander in Wechselwirkung und wandeln sich gegenseitig um. Eine solche Selbstwechselwirkung der Austauschteilchen gibt es nur bei der Starken Kraft; sie ist der Grund für deren enorme Stärke.

Dr. Uwe Schulte

Betafunktion

In der Regel gilt: Je näher zwei Teilchen einander kommen, desto stärker wird ihre Wechselwirkung miteinander. Physikalisch ausgedrückt: Ihre Betafunktion ist positiv. Anders ist es bei den Quarks: Je näher sie sich kommen, desto schwächer werden die Farbkräfte zwischen ihnen. Ihre Betafunktion ist negativ.

Die Preisträger

David Gross, 63 Jahre alt, arbeitet am Institut für theoretische Physik der University of California in Santa Barbara. Er wurde 1941 in Washington, DC geboren. David Politzer, 55 Jahre alt, arbeitet im Bereich Hochenergiephysik des California Institute of Technology (Caltech) in Pasadena.

Frank Wilczek, 53 Jahre alt, arbeitet am Zentrum für theoretische Physik des Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge. Er wurde 1951 in Queens, USA, geboren.

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