Arzneimittel und Therapie

Phytopharmaka: Interaktionen mit synthetischen Arzneimitteln

Nach einem Entwurfspapier des Bundesministeriums für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) soll in Zukunft im Rahmen der Zulassung oder Zulassungsverlängerung für Phytopharmaka auch die Abklärung "möglicher pharmakokinetischer Interaktionen mit anderen Arzneimitteln" verlangt werden. Über diesen Umweg finden Phytopharmaka gegenwärtig eine überraschende Anerkennung sogar in solchen Fachkreisen, die bisher kaum bereit waren, pflanzlichen Arzneimitteln eine relevante pharmakologische Wirkung zuzubilligen.

Erwiesene oder mutmaßliche Interaktionen mit synthetischen Arzneistoffen als Quelle dieses neuen Interesses äußern sich in mehr als 50 Publikationen der letzten drei Jahren allein zu entsprechenden Wechselwirkungen mit Johanniskraut. Arzneimittel-Interaktionen werden inzwischen für mehr als 150 pflanzliche Drogen vermutet. Viele dieser Publikationen sind aber anfechtbar und fordern zu kritischer Kommentierung heraus.

Schutz- mit Schadstoff verwechselt?

Bei den Wechselwirkungen synthetischer Arzneimittel mit pflanzlichen Drogen handelt es sich in erster Linie um Stoffwechsel-Interaktionen, hervorgerufen durch eine Beeinflussung der Enzyme, die die Biotransformation von Fremdstoffen regulieren: Glypoprotein P (PgP) begrenzt die Fremdstoffaufnahme vom Darm in den Blutkreislauf, das Cytochrom P 450 System (CYP450) mit seinen ca. 20 Unterformen entgiftet Fremdstoffe vor allem durch den oxidativen Abbau in der Leber. Beide Enzymsysteme können sich der Zufuhr von Fremdstoffen "dynamisch" anpassen und stark (bis zu 10-fach) in ihren Aktivitäten variieren.

Der entwicklungsgeschichtlich begründete Zweck dieser körpereigenen Entgiftungssysteme wird häufig im Sinne von Abwehrmechanismen dargestellt, die den tierischen Organismus vor der Zufuhr potenziell schädlicher Pflanzeninhaltsstoffe wie Alkaloide, Glycoside oder Steroide schützen sollen. Noch früher in der Evolution sollen diese Sekundärstoffe als pflanzliche Gegenregulatoren zu tierischen Steuerungsstoffen wie Neurotransmitter oder Hormone entstanden sein, um im Sinne eines Selektionsvorteils das Verhalten der Tiere zugunsten der Pflanzen zu beeinflussen. So erklärt sich ihre starke Wirkung schon in Spuren.

"Harmlose" Phytopharmaka im Fokus des Interesses

Sie sind aber nicht Thema der gegenwärtigen Diskussion, denn diese Stoffe kommen in den heute gebräuchlichen Phytopharmaka gar nicht in relevanten Mengen vor. Aufmerksamkeit verlangt die Aktivierung bzw. Hemmung des CYP-450- und des PgP-Systems durch völlig ungiftige Phytopharmaka, wodurch die Ausscheidung oder Entgiftung gleichzeitig verabreichter synthetischer Arzneimittel beeinflusst werden kann. Von den Gesundheitsbehörden werden deshalb In-vitro-Modellversuche vorgeschlagen, die diese Aktivierung oder Hemmung untersuchen sollen. Nach ersten Ergebnissen erweisen sie sich aber als wenig spezifisch und in ihren Ergebnissen uneindeutig.

Arzneimittel-Interaktionen mit Phytopharmaka

  • Pharmakokinetische Interaktionen mit pflanzlichen Arzneimitteln betreffen synthetische Arzneimittel mit geringer therapeutischer Breite. Sie haben primär nichts mit toxischen Inhaltsstoffen von Phytopharmaka zu tun.
  • Die Aktivitäten der Entgiftungssysteme CYP450 und PgP werden nicht zuletzt durch Nahrungs- und Genussmittel beeinflusst, die im täglichen Leben unverzichtbar sind.
  • Pflanzeninhaltsstoffe, denen vorbeugende gesundheitliche Wirkungen nachgesagt werden, scheinen wirksame Aktivatoren dieser Entgiftungssysteme zu sein.
  • Modell-Untersuchungen zum Einfluss von Phytopharmaka auf die Biotransformation synthetischer Arzneimittel fördern nach gegenwärtigem Stand der Technik eher Zufälliges zutage.
  • Systematische Prüfungen von Arzneistoffen mit besonders geringer therapeutischer Breite auf Interaktionen sowohl mit anderen Arzneien als auch mit Nahrungs- und Genussmitteln wären dagegen sehr geeignet, die Arzneimittelsicherheit generell zu verbessern.

Auch Gewürze und Nahrungsmittel beeinflussen die Entgiftungsenzyme

Das Potenzial zur Aktivierung oder Hemmung von CYP450 und PgP ist auch keineswegs nur den Phytopharmaka eigen, sondern wurde in vergleichbarer Ausprägung bei vielen Gewürzen, Genuss- und Nahrungsmitteln festgestellt. Prüfungen von Nelken, Thymian, Beifuss oder Ingwer und auch Soja führten in den empfohlenen Testsystemen durchwegs zu hohen, bei einigen gängigen Teesorten sogar bis zu 100%-iger Hemmung von humanen CYP-Isoformen.

Hauptverantwortlich: Flavonoide und Polyphenole

Weitere häufig eingesetzte pflanzliche Arzneimittel, so Ginkgo, Knoblauch, Mariendistel, Echinacea, Crataegus, Ginseng, Sägepalme oder Eleutherococcus, sind inzwischen untersucht. Auffallend ist, dass die endogenen Entgiftungssysteme gerade durch solche Pflanzen- und Nahrungsinhaltsstoffe (s. Tabelle) beeinflusst werden, die als besonders protektiv für den Organismus gelten. Hauptverantwortlich dürften die ubiquitär verbreiteten Flavonoide und Polyphenole sein.

Im Vergleich zur Zufuhr in der täglichen Nahrung ist die Aufnahme solcher Stoffe als Bestandteile von Phytopharmaka aber gering. Eine für die Praxis relevante Bewertung möglicher Arzneimittel-Wechselwirkungen mit Phytopharmaka sollte daher nicht isoliert von den Einflüssen des täglichen Lebens erfolgen.

Tab. 1: Erstberichte über Änderungen der Wirkspiegel von Arzneistoffen durch Nachrungs. und Genussmittel am Menschen
nach: Butterweck at al., Planta Med. 70, 1 – 8 (2004).

JahrNähr-/GenussmittelEffekt auf ArzneienAutor
1976Gegrilltes Fleisch↓ 75%**Conney
1979Kohlsorten↓ 49%*Pantuck
1982Zigarettenrauchen↓ 20-40%*Pantuck
1989Grapefruit↑ 30-300%*Bailey
1997Coca-Cola↑ 40-300%*Jaruratan
1996Broccoli↑ 10-40%***Kall
1998Brunnenkresse↑ 50%*Leclercq
2001Seville Orangen↑ 76%*Malhotra
2001Rotwein↑ 50%***; ↓ 30%*Tsunoda
2002Knoblauch↓ 50%*; ↓ 54%**Piscitello
*Fläche unter der Kurve /AUC); ** Maximalkonzentration in Plasma; *** Ausschedung mit dem Urin

Zufallsentdeckungen ...

Vor etwa 15 Jahren wurde als Zufallsbeobachtung bekannt, dass die Grapefruit schwerwiegende Veränderungen von Arzneimittel-Wirkspiegeln verursachen kann, wodurch bei Co-Verzehr das allgemeine Therapierisiko bei bestimmten synthetischen Arzneistoffen stark mit ansteigen kann. Auch Bienenhonig und Rotwein können zu Veränderungen der Blutspiegel von Risikoarzneistoffen in therapeutisch relevanten Größenordnungen führen (über den Einfluss weiterer Nahrungs- und Genussstoffe s. Tabelle).

... ohne Reaktion bei Herstellern von Risiko-Arzneimitteln

Man hätte erwartet, dass solche Entdeckungen sowohl für die Hersteller von Arzneimitteln mit geringer therapeutischer Breite als auch für Zulassungsbehörden hätten Anlass sein müssen, den Einfluss aller wichtigen Nahrungs- und Genussmittel auf entsprechende Hochrisiko-Arzneistoffe zu prüfen. Denn der entscheidende Aspekt hierbei ist doch die Tatsache, dass ein Risiko für die Gesundheit primär gar nicht von den Nahrungsmitteln, den Pflanzeninhaltsstoffen oder den Phytopharmaka ausgeht, sondern ausschließlich von synthetischen Arzneimitteln mit geringer therapeutischer Breite!

Studien zur Risikokinetik gefordert

Deren Hersteller sollten somit in der Pflicht stehen, die Alltagstauglichkeit ihrer (toxischen) Arzneien im breitesten Umfang durch Studien zur Risikokinetik zu sichern. Eine generelle Prüfung von pflanzlichen Arzneimitteln auf mögliche pharmakokinetische Interaktionen, wie vom BfArM vorgeschlagen, erscheint dagegen nicht sinnvoll, zumal die von den Gesundheitsbehörden vorgeschlagenen Modell-Untersuchungen nach dem gegenwärtigen Stand der Technik noch zu wenig aussagekräftig sind und eher Zufälliges zutage bringen würden.

Den Zulassungsbehörden obliegt es durchaus, Maßnahmen dieser Art zu fordern und zu überwachen – jedoch stets nach dem Verursacherprinzip. Es würde ins Uferlose führen, wollte man beispielsweise alle Etiketten von Grapefruit-Produkten, Kohl, Rotwein, Schwarztee, Nahrungsergänzungsmitteln und Phytopharmaka mit Interaktions-Warnungen bedrucken. Hinweise dieser Art sollten sich auf den Beipackzetteln derjenigen Arzneimittel befinden, deren Risiko aufgrund der Möglichkeit solcher Interaktionen zusätzlich vergrößert wird.

Renate Seitz, Emmering

Quelle 
Prof. Dr. V. Schulz, Berlin: Pressekonferenz „Arzneimittel-Interaktionen mit Phytopharmaka: Schutz- mit Schadstoff verwechselt?“, 6. Oktober 2004, München, veranstaltet vom Komitee Forschung Naturmedizin, München. 
Butterweck, V., H. Derendorf, W. Gaus, A. Nahrstedt, V. Schulz, M. Unger: Pharmacokinetic Herb-Drug Interactions: Are Preventing Screenings Necessary and Appropriate. Planta Med. 70, 784 – 791 (2004).

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