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Chemienobelpreis 2004: Proteinabbau

Die Königliche Schwedische Akademie der Wissenschaften würdigt mit dem diesjährigen Nobelpreis für Chemie die Erforschung des Proteinabbaus in der Zelle. Drei Forscher werden ausgezeichnet, die sich mit einem Prozess befassten, der lange Zeit unterschätzt worden war, sich aber als sehr wichtiger intrazellulären Regulationsprozess entpuppte.
Abb. 1: Ubiquitin 
Das allgegenwärtige Peptid ist der "Todeskuss" der Proteine.
Grafik: Nobelstiftung

Für Arbeiten zur Proteinsynthese wurden bisher fünf Nobelpreise vergeben. Dies ist der erste Nobelpreis, der die Forschung über den Proteinabbau würdigt. Die Proteindegradation als Teil des Ernährungsprozesses war schon lange bekannt, ebenso das Enzym Trypsin, das Proteine in Aminosäuren zerlegt. Während dieser extrazelluläre Prozess ohne Energiezufuhr auskommt, benötigt das Zerlegen intrazellulärer Proteine Energie, wie man schon in den 1950er-Jahren wusste. Eine menschliche Zelle enthält mehrere hunderttausend verschiedene Proteine, die unterschiedlichste Aufgaben wahrnehmen.

Die diesjährigen Chemienobelpreisträger Aaron Ciechanover, Avram Hershko und Irwin Rose haben erforscht, wie die Zelle deren Konzentration über die Abbausteuerung reguliert. Sie zeigten in den späten 70er- und frühen 80er-Jahren an den Extrakten unreifer Erythrozyten (Retikulozyten), dass am intrazellulären Proteinabbau stets Ubiquitin beteiligt ist, indem es an die abzubauenden Proteine bindet. Das Ubiquitin (Abb. 1) ist das Mal, das den Ausschuss markiert. Es ist der Todeskuss für Proteine, wie es das Nobelkomitee ausdrückte.

Ubiquitin – ein Allerweltsprotein

Ubiquitin wurde zum ersten Mal 1975 aus Kalbsbries isoliert. Man nahm damals an, es sei an der Reifung der Leukozyten beteiligt. Als das aus 76 Aminosäuren bestehende Peptid in allen Geweben und Organismen außer den Bakterien gefunden wurde, erhielt es den bis heute gültigen Namen, ausgehend vom lateinischen "ubique", was "überall" bedeutet.

Die von Hershko und Ciechanover untersuchten Retikulozyten-Extrakte enthielten große Mengen an Hämoglobin, was die Experimente behinderte. Als sie versuchten, das Hämoglobin chromatographisch abzuscheiden, entdeckten sie, dass sich der Extrakt in zwei Fraktionen teilen ließ, die beide bezüglich Proteindegradation inaktiv blieben. Wurden sie zusammengeführt, setzte die ATP-abhängige Proteindegradation wieder ein. Das als aktive Komponente identifizierte Polypeptid nannten sie zunächst APF-1 (active principle in fraction 1), bevor es als Ubiquitin erkannt wurde.

Ubiquitinierung und Fragmentierung

Anfang der 80er-Jahre entwickelten die drei Forscher die Hypothese der Mehrschritt-Ubiquitin-Markierung (multistep ubiquitin-tagging hypothesis). Sie gründet auf der Entdeckung, dass drei Enzymgruppen konsekutiv an der Ubiquitinierung der abzubauenden Proteinen beteiligt sind: 

  • E1, Ubiquitin-aktivierende Enzyme, 
  • E2, Ubiquitin-konjugierende Enzyme, 
  • E3, Ubiquitin-Ligasen. 

Das System ist hierarchisch aufgebaut. Eine typische Säugerzelle besitzt ein oder mehrere unterschiedliche E1, mehrere Dutzend E2 und einige hundert E3. Bisher sind zwar nur wenige E3 identifiziert worden, doch wird dieser Rückstand schnell aufgeholt.

Ein Protein wird folgendermaßen ubiquitiniert (Abb. 2): Ein E1 aktiviert Ubiquitin am Glycin des C-terminalen Endes. Es bewirkt, dass das Ubiquitin an ein E2 bindet. Das E2 transportiert darauf das Ubiquitin zu einem E3, das bereits hochspezifisch an ein abzubauendes Protein gebunden ist (vereinfacht ausgedrückt, sucht jeweils ein spezifisches E3 das abzubauende Protein aus). Durch sukzes-sive Ligierung wächst an dem Protein eine Ubiquitinkette, die als Erkennungsmarker für die Proteasomen dient.

Im zweiten Schritt des Proteinabbaus werden die ubiquitinierten Proteine in den Proteasomen – oder in bestimmten Fällen in den Lysosomen – abgebaut. Jede menschliche Zelle besitzt etwa 30.000 Proteasomen, die die Proteine in Sequenzen von sieben bis neun Aminosäuren zerlegen ("zelluläre Mülleimer"). Die Aktivitätszentren liegen innerhalb des Proteasoms, und der einzige Weg dorthin führt über ein Schloss, das ubiquitinierte Proteine erkennt. Heute ist bekannt, dass etwa 30 Prozent der neu synthetisierten Proteine einer Zelle von den Proteasomen wieder zerstört werden, da das codierende Gen fehlerhaft ist oder bei der Transkription oder Translation Fehler aufgetreten sind.

 

Grafik: Nobelstiftung
ABB. 2: DIE DURCH UBIQUITIN VERMITTELTE PROTEINDEGRADATION 
1. – 2. Ein Enzym E1 aktiviert Ubiquitin (Ub) unter Verbrauch von Energie (ATP), transportiert es zu einem E2 und löst sich dann wieder von ihm. 3. Der E2-Ubiquitin-Komplex bindet an das abzubauende Zielprotein („Target“), an das sich zuvor ein E3 angelagert hat. 4. Das Ubiquitin bleibt am Zielprotein haften, während die drei Enzyme wieder freigesetzt werden. 5. – 6. Dieser Vorgang wiederholt sich mehrmals, bis das Zielprotein eine kurze Ubiquitinkette trägt. Dann transportiert ein E3 den Komplex zu einem Proteasom, wo das Ubiquitin abgeschnitten und das Protein inwendig in Oligopeptide zerstückelt wird.


Ein hochkomplexes Regulationssystem

Noch nicht geklärt ist die Frage nach der Ursache der hohen Spezifität und Selektivität des Systems. Weshalb sind einige Proteine außerordentlich stabil, während andere nur für wenige Minuten existieren? Warum werden bestimmte Proteine zu einem exakt festgelegten Zeitpunkt innerhalb des Zellzyklus abgebaut, während sie unter allen anderen physiologischen Bedingungen stabil sind?

An manche Proteine kann das jeweilige E3 erst dann binden, nachdem diese modifiziert wurden, zum Beispiel durch eine Phosphorylierung oder durch die Komplexierung mit Hilfsproteinen wie molekularen Chaperonen. Demzufolge spielen auch modifizierende Enzyme und Hilfsproteine eine wichtige Rolle beim Proteinabbau. Aus diesen Gründen ist es für Ciechanover nicht wahrscheinlich, dass jedes Substrat direkt von einem spezifischen E3 gebunden wird. Ihm erscheint es eher vorstellbar, dass jedes E3 eine Gruppe ähnlicher, nicht genau gleich strukturierter Proteine erkennt.

Obwohl bei der Regulation des Proteinhaushaltes noch viele Fragen offen sind, ist deutlich geworden, dass die Zelle mit dem Ubiquitinsystem einen eleganten Weg gefunden hat, in dem Durcheinander der vielen Proteine diejenigen zu erkennen und zu markieren, die unerwünscht sind und abgebaut werden sollen. Und genau dieser sehr spezifische Prozess kostet Energie in Form von ATP.

Physiologische Bedeutung

Das Ubiquitinsystem dient nicht nur dem Aussondern fehlerhafter Polypeptide, sondern kontrolliert eine ganze Reihe physiologisch wichtiger Proteine, die großenteils die Genexpression regulieren. Es steuert oder ist involviert in die DNA-Reparaturmechanismen, die Zellteilung und -differenzierung, in Stressreaktionen, in die Morphogenese des neuronalen Netzwerkes, die Modulation von inflammatorischen Reaktionen und Immunreaktionen, in die Funktion der Ionenkanäle und die hormonelle Sekretion. Auch an der Biogenese der Organellen und an der Apoptose ist es beteiligt. In Pflanzen spielt es eine Rolle bei der Ausprägung der Selbstinkompatibilität, die dafür sorgt, dass keine Selbstbestäubung stattfinden kann und Inzucht verhindert wird.
 

Grafik: Bühler
ABB. 3: PROTEASOMEN-INHIBITION Der intrazelluläre Abbau von Proteinen im Proteasom lässt sich durch spezifische Inhibitoren hemmen.

Therapeutisches Potenzial

Ciechanover sagte bereits vor sechs Jahren voraus, dass das Ubiquitinsystem in die Pathogenese vieler Krankheiten verwickelt ist. Damit ist es auch als Target für die Therapie dieser Krankheiten interessant. Beispiel Krebs: Das vom Tumorsuppressor-Gen p53 exprimierte Protein p53 gilt als "Schutzmann des Genoms", denn als Transkriptionsfaktor kontrolliert es Gene, die die DNA-Reparatur und den programmierten Zelltod regulieren. Bei der Hälfte aller menschlichen Krebsarten sind Synthese und Abbau von p53 aufgrund von Mutationen gestört. Den übermäßigen Abbau von p53 hofft man durch Proteasomen-Inhibitoren hemmen zu können (Abb. 3).

In diesem Jahr wurde der Proteasomen-Inhibitor Bortezomib (Velcade®) für die Therapie des Multiplen Myeloms zugelassen. Er hemmt spezifisch das 26S-Proteasom und stört dadurch die Homöostase wichtiger Proteine in der Zelle. Dies kann tödlich sein: Während Tumorzellen des Knochenmarks nach Applikation von Bortezomib zugrunde gehen, erholen sich gesunde Zellen innerhalb weniger Tage wieder (s. DAZ 21, S. 38). Die Erbkrankheit Zystische Fibrose (Mukoviszidose) wird bei ca. 70% aller Patienten durch eine Mutation des Proteins verursacht, das einen bestimmten Chloridkanal der Plasmamembran bildet: Dem mutierten Protein (CFTR) fehlt in der Position 508 die Aminosäure Phenylalanin. Deshalb wird es anders gefaltet und daraufhin von dem Ubiquitinsystem als fehlerhaft erkannt und rasch abgebaut, obwohl es durchaus funktionsfähig wäre. Es besteht nun die Hoffnung, mit Hilfe eines spezifischen Proteasomen-Inhibitors den Abbau des CFTR zu hemmen und den betroffenen Patienten dadurch zu helfen.

Auch bei neurodegenerativen Krankheiten wie Alzheimer, Parkinson oder Creutzfeldt-Jakob bietet das Ubiquitinsystem Ansätze für therapeutische Strategien. Die Erforschung des zunächst als Allerweltsprotein angesehenen Ubiquitins und des vor 30 Jahren entdeckte Ubiquitinsystems ist also noch lange nicht zuende und lässt in der nächsten Zukunft interessante Ergebnisse erwarten.

Dr. Uwe Schulte

Literatur 
A. Ciechanover: The ubiquitin-proteasome pathway: on protein death and cell life. EMBO Journal 17, 7151 – 7160 (1998).

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