Onkologie

Das Mammakarzinom, 3. Teil: Komplementäronkologie

Von Petra Jungmayr | Ein sehr hoher Prozentsatz der an Krebs erkrankten Patienten hat den Wunsch und das Bedürfnis nach einer zusätzlichen, ergänzenden Therapie. Dieser Wunsch resultiert aus einem menschlichen Grundbedürfnis, sich gegen eine Bedrohung – in diesem Fall Krebs – aktiv zu wehren [23]. Hinzu kommt, dass der Patient in der Alternativmedizin einen Ausweg aus der desillusionierenden Prognose der rationalen Medizin sucht.

An der Behandlung im Krankenhaus nimmt der Patient nur passiv teil (er wird operiert, wird bestrahlt, erhält Zytostatika). Der Wunsch des Patienten, selbst aktiv zu werden und selbst gegen seine Krankheit anzugehen, klingt daher einleuchtend. Der Anthropologe Glowatzki hat es so formuliert: "Wenn für einen Menschen die logische Erkenntnis ohne Trost bleibt, weil eine Situation allem Anschein nach aussichtslos geworden ist, dann ist immer noch autistisch-magisches Denken möglich, das Hoffnung zulässt" (zitiert nach [28]).

Neben diesem Grundbedürfnis nach Handeln verstärken gesellschaftliche Veränderungen die Anwendung komplementäronkologischer Verfahren: ein zunehmendes Interesse an naturheilkundlichen und ganzheitlichen Verfahren, der leichte Zugang zu diesen Therapien, die schnelle Verbreitung von Information via Massenmedien und Internet, eine skeptische Haltung gegenüber der Schulmedizin sowie die soziale Akzeptanz alternativer Heilverfahren [5].

Keine Lebensverlängerung

Komplementäronkologische Verfahren werden auch als unkonventionelle Mittel in der Krebsmedizin (UMK) bezeichnet. Im angelsächsischen Sprachgebrauch findet sich der Ausdruck CAM für complementary and alternative medicine. Hier gibt es sowohl mehr oder weniger akzeptierte Verfahren als auch radikale Außenseitermethoden. Für alle Methoden gilt, dass sie in der onkologischen Fachliteratur nur am Rande erwähnt werden und wissenschaftlich kaum erforscht sind.

Erwartungen an alternative Therapien

  • Verbesserung der Lebensqualität
  • Stärkung des Immunsystems
  • Mehr Selbstkontrolle
  • Linderung der Nebenwirkungen
  • Emotionale Stärkung
  • Prävention und Therapie der Krankheit

Eine 2002 publizierte Studie einer nordamerikanischen Arbeitsgruppe untersuchte die häufigsten alternativen Heilmethoden unter evidenzbasierten Gesichtspunkten. Einen Nutzen stellte sie lediglich für die Gabe von Vitamin E, für Massagen und Akupunktur sowie für Fettreduktion und körperliche Bewegung fest [31]. Eine amerikanische Literaturrecherche zu den Effekten komplementäronkologischer Verfahren bei Brustkrebspatientinnen kam zum Ergebnis, dass die Krankheitsprogression durch alternative Methoden nicht beeinflusst wurde.

Immerhin zeigen einige komplementäre Therapieansätze positive Effekte, wie zum Beispiel Akupunktur gegen Erbrechen sowie Massagen zur Linderung von Lymphödemen. Ferner mindern komplementäre Verfahren psychosozialen Stress [6, 16].

Beratung in der Apotheke

Eine Beratung über unkonventionelle Methoden ist nicht einfach, da auf der einen Seite Patientenwünsche – häufig assoziiert mit Hoffnungen – auf der anderen Seite aber nur wenig evidenzbasierte Aussagen vorliegen. Hinzu kommt, dass objektive Informationen mitunter schwierig zu finden sind und auch die fachliche Beurteilung der Verfahren ziemlich subjektiv ist.

Brustkrebspatientinnen erkundigen sich relativ häufig nach Antioxidanzien, Selen und neuerdings nach Sojapräparaten. Während sie Misteltherapien meist zuerst mit dem Arzt besprechen, wenden sie sich hier oft zuerst an den Apotheker. Da bei Krebspatienten auch vermeintlich harmlose Mittel oft bedenklich sind, erfordert die Beratung pharmazeutischen Sachverstand.

Soja für Brustkrebspatientinnen?

In der Laienpresse wird häufig die niedrigere Brustkrebs-Inzidenz in Ländern mit hohem Verzehr an Sojaprodukten hervorgehoben und so deren krebsprotektiven Nutzen suggeriert (s. 1. Teil). Man hat versucht, den epidemiologischen Befund durch pharmakologische Untersuchungen zu erklären.

Soja enthält die Isoflavone Genistein und Daidzein. Ihnen werden einerseits erwünschte Eigenschaften zugeschrieben: antioxidative Wirkungen, Induktion der Apoptose sowie die Hemmung der Angiogenese. Dagegen sind ihre östrogenen Wirkungen ambivalent: Genistein und Daidzein binden bevorzugt an den Östrogenrezeptor-Subtyp ER-β, was mit tumorprotektiven Wirkungen (Hemmung des Zellwachstum) einhergeht; dagegen stimulieren sie durch die Bindung an ER-α, der bei Brustkrebszellen überwiegt, die Zellproliferation (konträr zum Wirkprinzip von Tamoxifen).

Diese Aussagen basieren auf Experimenten mit Zellkulturen und Versuchstieren und sind nicht direkt auf den Menschen übertragbar. Daher kann die Frage nach dem Nutzen oder Schaden von Sojapräparaten für Brustkrebspatientinnen nicht eindeutig beantwortet werden [7]. Nach dem derzeitigen Erkenntnisstand sollten ER-positive Brustkrebspatientinnen keine Sojapräparate einnehmen, weil deren Phytoöstrogene durch die Bindung an ER-&aloha; das Wachstum des Tumors beschleunigen könnten. Während einer Tampxifentherapie ist die Einnahme von Soja ebenfalls kontraindiziert, da Genistein die Tamoxifenwirkung beeinträchtigen kann. ER-negative Patientinnen könnten von Sojapräparaten profitieren, doch muss bedacht werden, dass manche Patientinnen ihren Hormonrezeptorstatus nicht kennen.

Komplementäre Therapieansätze 

Empfehlenswert 

  • bestimmte Ernährungsrichtlinien
  • Supplementierung von Vitamin E
  • einige biologische Mittel
  • Akupunktur gegen chemotherapiebedingte Übelkeit sowie gegen Schmerzen
  • Massagen gegen Angstzustände oder Schmerzen
  • moderate körperliche Aktivität
  • psychologische Therapieformen (z. B. Entspannungstraining, Selbsthilfegruppen)

 

Nicht empfehlenswert

  • restriktive Diäten
  • Antioxidanzien während der Strahlen- oder Chemotherapie
  • Phytoöstrogene beim Mamma- oder Endometriumkarzinom
  • hoch dosiertes Vitamin A und C
  • Johanniskraut bei bestimmten Chemotherapien
  • Akupunktur oder Tiefenmassage bei Thrombozytopenie oder bei Therapie mit Antikoagulanzien

Antioxidanzien während der Chemo- oder Strahlentherapie?

Der Einsatz von Antioxidanzien während der Strahlen- oder Chemotherapie wird kontrovers diskutiert:

  • Nach gängiger schulmedizinischer Ansicht sind Antioxidanzien während der Chemotherapie kontraindiziert, da der Wirkmechanismus vieler Zytostatika (z. B. von Alkylanzien und Antimetaboliten) auf der Bildung freier Radikaler beruht. Antioxidanzien fangen die Radikale ab, die dann keine Tumorzellen mehr vernichten können.
  • Vertreter der Komplementärmedizin meinen, dass Antioxidanzien die Nebenwirkungen der Strahlen- und Chemotherapie (Schädigung gesunden Gewebes) abschwächen, ohne ihre Wirkung zu beeinträchtigen. Die Strahlendosis und die Konzentration der Zytostatika sei so hoch, dass die Interaktion mit Antioxidanzien keine Rolle spielt.

Eine 2004 veröffentlichte Metaanalyse von 52 Studien, die sich mit dem Thema Antioxidanzien und Krebstherapie befassten, konnte aufgrund des unterschiedlichen Aufbaus der Studien keine definitive Aussage machen, es scheint aber, dass die Supplementation von Antioxidanzien keine Auswirkung auf die Überlebenszeit der Krebspatienten hat [17].

Hinweis:
Die beiden ersten Teile erschienen in DAZ 47 und 48.

Kuriose alternative Heilverfahren

  • Edelsteintherapie
  • Kaffeeklistiere
  • Urintherapie
  • Aromatherapie
  • Heilverfahren aller Krebsarten nach Hulda Clark
  • Exorzismus
  • Teepilz Kombucha
  • Wasserkefir, japanische Kristallalgen
  • Instinkternährung nach Burger

Literatur 
[1] Barth, J.: Zytostatikaherstellung in der Apotheke. Deutscher Apotheker Verlag, Stuttgart 2003. 
[2] Berger, D.P., Engelhardt R., und Mertelsmann R. (Hrsg.): Das rote Buch. Hämatologische und internistische Onkologie. Verlag ecomed, Landsberg 2002. 
[3] Bokemeyer, C., und Lipp, H.-P.: Praktische Aspekte der supportiven Therapie in Hämatologie und Onkologie. Springer- 
Verlag, Berlin/Heidelberg/New York 1998. 
[4] Boon, H., et al.: Use of complementary/alternative medicine by breast cancer survivors in Ontario: Prevalence and perceptions. J. Clin. Oncol. 18, 2515–2521 (2000). 
[5] Burstein, H.: Discussing complementary therapies with cancer patients: What should we be talking about? J. Clin. Oncol. 18, 2501–2504 (2000). 
[6] DiGianni, L., et al.: Complementary and alternative medicine use among women with breast cancer. J. Clin. Oncol. 20, 
34–38 (2002). 
[7] Duffy, C., et al.: Phytoestrogens: Potential benefits and implications for breast cancer survivors. J. Women’s Health 12, 
617–631 (2003). 
[8] Elling, D.: Medikamentöse Therapie des Mammakarzinoms. UNI-Med Verlag, Bremen 2003. 
[9] Godin, S.: Chemoprevention of cancer. Vortrag beim 9. ISOPP (Ninth International Symposium on Oncology Pharmacy 
Practice), 14.–17. April 2004 in Turin. 
[10] Goldhirsch, A., et al.: Meeting highlights: Updated international expert consensus on the primary therapy of early breast 
cancer. J. Clin. Oncol. 21, 3357–3365 (2003). 
[11] Greaves, M.: Krebs – der blinde Passagier der Evolution. Springer-Verlag, Berlin/Heidelberg/New York 2000. 
[12] Harbeck, N.: Adjuvante Chemotherapie beim primären Mammakarzinom. Onkologie 26 (Suppl. 7), 17–20 (2003). 
[13] Hellwig, B.: Neue Arzneimittel 51, 52–55 (2004). 
[14] Höckel, M., Heckl, U., und Nagel, G.: Der Krebs-Patient in der Apotheke. Deutscher Apotheker Verlag, Stuttgart 2003. 
[15] ISTO (Informationszentrum für Standards in der Onkologie): Interdisziplinäre Leitlinie der Deutschen Krebsgesellschaft 
und der beteiligten medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften. Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie. 
Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Mammakarzinoms der Frau; S3-Leitlinie. Zuckschwerdt Verlag, München/Berlin/ 
Wien 2004. 
[16] Jacobson, J., et al.: Research on complementary/alternative medicine for patients with breast cancer: A review of the biomedical literature. J. Clin. Oncol. 18, 668–683 (2000). 
[17] Ladas, E., et al.: Antioxidants and cancer therapy: A systematic review. J. Clin. Oncol. 22, 517–528 (2004). 
[18] Linseisen, J., et al.: Dietary phytoestrogen intake and premenopausal breast cancer risk in a German case-control study. 
Int. J. Cancer 110, 284–290 (2004). 
[19] Lüftner, D.: Hormontherapie des Mammakarzinoms. UNIMed Verlag, Bremen 2003. 
[20] Mishra, S., et al.: Phytoestrogens and breast cancer prevention: What is the evidence? Am. J. Obstet. Gynecol. 188, 66–70 (2003). 
[21] Münstedt, K. (Hrsg.): Ratgeber Unkonventionelle Krebstherapien. Ecomed Verlag, Landsberg 2003. 
[22] Münstedt, K., et al.: Risikominimierung bei Brustkrebs durch Sojaextrakte? Intern. Praxis 42, 299–301 (2002). 
[23] Nagel, G.: Unkonventionelle Mittel in der Krebstherapie. Karger Verlag, 1998. 
[24] Paepke, S., et al.: Palliative Therapie des Mammakarzinoms. Onkologie 26 (Suppl. 7), 4–10 (2003). 
[25] Peeters, P., et al.: Phytoestrogens and breast cancer risk. Breast Cancer Res. Treat. 77, 171–183 (2003). 
[26] Pfreundschuh, M.: Onkologische Therapie. Leitlinien und Schemata zur Diagnostik, Therapie und Nachsorge. Thieme 
Verlag, Stuttgart/New York 2000. 
[27] Schlimok, G.: Supportivtherapie in der Hämatologie/Onkologie. UNI-Med Verlag, Bremen 2002. 
[28] Schmoll, H.-J., Höffken, K., und Possinger, K. (Hrsg.): Kompendium Internistische Onkologie. 3 Bde., 3. Aufl., Springer- 
Verlag, Berlin/Heidelberg/New York 1999. 
[29] Sontag, S.: Krankheit als Metapher. Hanser Verlag, München/ Wien 1978. 
[30] Stolberg, M.: Homo patiens. Krankheits- und Körpererfahrung in der Frühen Neuzeit. Böhlau Verlag, Köln/Weimar/Wien 
2003. 
[31] Weiger, W., et al.: Advising patients who seek complementary and alternative medical therapies for cancer. Ann. Intern. Med. 137, 889–903 (2002).

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