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DAZ aktuell
Neue EU-Richtlinie birgt Gefahren
Brisant: Herkunftslandsprinzip
Vor mehr als einem Jahr hatte die EU-Kommission ihren umstrittenen Entwurf für eine Dienstleistungsrichtlinie präsentiert, der nun in die erste Lesung durch das Europäische Parlament geht. Jetzt hagelt es Kritik. Kernstück des Entwurfs ist das "Herkunftslandprinzip". Demnach muss ein Dienstleister wie ein Arzt oder Pfleger, der lediglich vorübergehend im EU-Ausland arbeitet, nur seine einheimischen Vorschriften beachten, nicht aber die des Landes, in dem er vorübergehend tätig ist. So unterläge zum Beispiel ein französischer Apotheker, der – nicht auf Dauer – in Deutschland arbeitet, nur den französischen Vorschriften zum Berufsrecht.
Wie Lutz Tisch, Geschäftsführer Apotheken- und Arzneimittelrecht sowie Berufsrecht bei der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA), der Deutschen Apotheker Zeitung sagte, ist dabei die Qualität der beruflichen Ausbildung – wegen der gegenseitigen Anerkennung der Diplome in der EU – unproblematisch. Unklar sei jedoch, wie Bestimmungen des deutschen Berufsrechts eingehalten werden können und welche Handhabe die Apothekerkammern bei Fehlverhalten des Franzosen hätten.
Ablehnung von Seiten der AOK
Auch den AOKen bereitet das Bauchschmerzen. Weil das Herkunftslandsprinzip die deutschen Qualitätsstandards unterlaufe sowie deutsche Anbieter gegenüber ihren ausländischen Mitbewerbern benachteilige, lehnen es die Ortskrankenkassen entschieden ab, teilte der AOK-Bundesverband am 7. März in Bonn mit. Laut AOK kollidiert der zu beratende Entwurf insgesamt mit dem EG-Vertrag und dem Europäischen Verfassungsvertrag, weil er die nationale Souveränität der Mitgliedsstaaten im Gesundheits- und Pflegebereich gefährde.
Durch die Richtlinie werde in Deutschland Wettbewerb zu Lasten von Qualität und Wirtschaftlichkeit programmiert, erklärte Dr. Hans Jürgen Ahrens, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes. ABDA-Jurist Tisch sieht viele Ungereimtheiten durch den abstrakten Entwurf mit bestehenden nationalen Regelungen wie zum Beispiel den hiesigen Vorschriften zum Versandhandel mit Arzneimitteln.
ABDA: Nicht an nationaler Souveränität rütteln
Wie Ahrens sprach sich auch Tisch dafür aus, die nationale Souveränität der EU-Staaten im Gesundheitsbereich zu erhalten. Nach Einschätzung von Tisch wird die Richtlinie nicht so wie im Entwurf formuliert kommen. Allein in Deutschland habe sich breiter Widerstand der Fachleute quer durch alle Gesundheitsberufe und -einrichtungen geregt. In Fachkreisen wurde registriert, dass Bundeskanzler Gerhard Schröder zu Wochenbeginn bereits Änderungen am umstrittenen Entwurf ankündigte.
AOK-Chef Ahrens wies auf die Bestimmung des Richtlinienvorschlags hin, dass alle nationalen Bestimmungen mit Genehmigungserfordernissen durch die EU-Kommission und die Mitgliedstaaten auf Diskriminierungsfreiheit, Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit evaluiert werden. Damit schaffe sich die EU-Kommission neue massive Zugriffsmöglichkeiten auf die deutschen Regelungen zur Zulassung und Bedarfsplanung im Gesundheits- und Pflegesektor und könne so die Privatisierung unseres Gesundheitssystems durchsetzen. Das lehnen die AOK ab.
Verheugen hofft auf Einigung
EU-Industriekommissar Günter Verheugen gibt sich bei der umstrittenen EU-Dienstleistungsrichtlinie optimistisch. Er sehe zwar, dass zum Beispiel Deutschland und Frankreich den vorgelegten Entwurf der EU-Kommission ablehnten, so Verheugen im Magazin "Der Spiegel" vom 7. März.
Die beiden Länder wiesen allerdings die jetzige Fassung ab. Er sei optimistisch, zu einem guten Ergebnis bei der Richtlinie zu kommen, wenn berechtigte Sorgen durch Änderungen berücksichtigt würden. Er habe in der vergangenen Sitzung der Kommission daher geraten, eine grundlegende Revision des Entwurfs anzukündigen, sagte Verheugen.
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