Arzneimittel und Therapie

Von Mythen und Märchen rund um die Verstopfung, Teil 3

Bei Laien und oft auch in Fachkreisen halten sich beharrlich Vorstellungen zur Entstehung und Behandlung einer Verstopfung, die in einigen Fällen jeglicher wissenschaftlicher Grundlage entbehren. Wir sprachen mit dem Gastroenterologen Prof. Dr. Stefan A. Müller-Lissner, Chefarzt der Abteilung Innere Medizin der Parkklinik Weißensee, Berlin, darüber, ob die oft gefürchtete Autointoxikation wirklich so gefährlich ist.

 

DAZ

In Ihrem Review zu den "Mythen und Märchen der chronischen Verstopfung" verweisen Sie auch den Mythos der Autointoxikation ins Reich der Legenden. Was genau steckt hinter der Angst einer Autointoxikation?

Müller-Lissner:

Verfechter dieser Theorie, die schon in einer ägyptischen Papyrusrolle über Arzneimittelkunde aus dem 16. Jahrhundert v. Chr. zu finden ist, gehen davon aus, dass giftige Substanzen bei einer zu langen Verweildauer im Darm aus den Fäzes entstehen und resorbiert werden. Es wurde behauptet, dass "Autointoxikation zweifelsohne die Ursache aller chronischen Zivilisationskrankheiten" sei.

DAZ

Ist denn die Vorstellung einer Selbstvergiftung des Körpers tatsächlich in den Köpfen betroffener Patienten verankert?

Müller-Lissner:

Leider hält sich diese Mär sehr hartnäckig. Schon im Mittelalter gab es die Vorstellung, dass "der Tod im Darm wohnt". Und noch heute glauben viele Menschen, dass sie sich selbst vergiften, wenn sie gerade mal zwei Tage keinen Stuhlgang haben. Es gibt aber keinen Beleg dafür, dass Krankheiten durch Autointoxikation, also Selbstvergiftung, entstehen können.

DAZ

Wurden solche Toxine, die für eine Autointoxikation verantwortlich gemacht werden, denn jemals nachgewiesen?

Müller-Lissner:

Das ist genau der Punkt: Die aus dem Darm resorbierten Toxine konnten nie nachgewiesen werden. Leider lässt sich die Theorie jedoch nicht widerlegen, nur weil im Experiment kein Toxin nachweisbar ist: Eine Autointoxikation lässt sich damit nicht ausschließen.

DAZ

Wie kommen Sie dann in Ihrer aktuellen Publikation zu der Aussage, dass Patienten mit einer Verstopfung keine Autointoxikation zu befürchten haben?

Müller-Lissner:

Nun, die unspezifischen Symptome, die von Patienten mit angeblicher Autointoxikation beklagt wurden, können durch eine Darmentleerung sofort gelindert werden. Bei einer systemischen Wirkung der Toxine wäre ein langsames Abklingen zu erwarten.

DAZ

Hat diese Autointoxikations-Theorie etwas damit zu tun, dass Patienten oft eine falsche Vorstellung davon haben, welche Stuhlgangsfrequenz "in Ordnung" ist und ab wann man tatsächlich von einer Obstipation sprechen kann?

Müller-Lissner:

Ganz richtig. Viele Personen glauben, täglich "müssen" zu müssen. Tatsächlich ist die Faustregel in Sachen Toilettenbesuche: alles von drei Mal täglich bis einmal alle drei Tage liegt im statistisch normalen Bereich. Wenn es zwei Tage hintereinander nicht "klappt", ist das allein kein Grund, von einer Verstopfung zu sprechen. Krankheitswert gewinnt der Stuhlgang, wenn er dem Patienten Beschwerden wie heftiges Pressen oder Aufgetriebensein und Völlegefühl verursacht.

DAZ

Herr Professor Müller-Lissner, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Mythen und falsche Vorstellungen zur Verstopfung

Zur Entstehung und Behandlung einer Verstopfung halten sich beharrlich Vorstellungen und Empfehlungen, beispielsweise zur allgemeinen Lebensweise, die jedoch in einigen Fällen jeglicher wissenschaftlicher Grundlage entbehren. Um hier für Klarheit zu sorgen, haben internationale Gastro-Experten gemeinsam eine Übersichtsarbeit erarbeitet. Hierzu wurden die Arbeiten der letzten 30 Jahre gesichtet, 105 von ihnen enthielten Daten zum Thema Obstipation. Diese Übersichtsarbeit wurde im Januar im American Journal of Gastroenterology publiziert (Müller-Lissner, S. A.; Kamm, M.; Scarpignato, C.; Wald, A.: Myths and misconceptions about chronic constipation. Am. J. Gastroeneterol. 100, 232 – 242 (2005).

Teil 1 des Interviews mit einem der Autoren, erschienen in der DAZ 12, räumt auf mit der Vorstellung, dass viel Trinken gegen Verstopfung hilft. Teil 2, erschienen in der DAZ 13, beschäftigte sich mit den Vor- und Nachteilen von Ballaststoffen. Teil 4 des Interviews lesen Sie in der nächsten Ausgabe der DAZ!

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