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Kindgerechte Arzneiformen sind oft Mangelware

Arzneimittel für Kinder sind ein schwieriges Feld für Hersteller, Ärzte und Apotheker. Nach wie vor fehlen für viele Wirkstoffe klinische Studien, die Effektivität und Sicherheit beim Einsatz im Kindesalter dokumentieren. Ärzten bleibt oft nichts anderes übrig, als Kindern "Erwachsenen-Arzneimittel" zu verordnen. Dass es sich dabei um eine nicht akzeptable Notlösung handelt, wurde auf dem 6. vom Zentrallaboratorium Deutscher Apotheker initiierten Expertenforum am 20. April in Eschborn deutlich. Unter der Moderation von ZL-Leiter Prof. Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz diskutierten die Teilnehmer über Anforderungen an kindgerechte Arzneiformen und rechtliche Voraussetzungen dafür.

"Je jünger und je ernsthafter erkrankt ein Kind ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass ihm ein nicht für Kinder zugelassenes Arzneimittel verabreicht wird", erklärte Prof. Dr. Jörg Breitkreutz von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, der als Referent zum ZL-Forum geladen war. Anhand verschiedener Beispiele zeigte er auf, welche Probleme dieser "Off-label-Use" verursachen kann, wobei sein Schwerpunkt auf der Darreichungsform lag.

Das Problem der Hilfsstoffe

Kindgerechte Arzneiformen, so die Definition von Breitkreutz,

  • stellen den Arzneistoff auch bei den physiologischen Besonderheiten des Kindes vollständig zur Verfügung,
  • enthalten in jeder Entwicklungsstufe des Kindes toxikologisch unbedenkliche Hilfsstoffe,
  • sind bequem und zuverlässig zu verabreichen.

In der Praxis werde diese Definition allerdings nicht einmal ansatzweise erfüllt. So wäre die einzige Arzneiform, die Säuglingen und Kleinkindern "bequem und zuverlässig verabreicht werden kann", das Zäpfchen. Leider sind jedoch viele Wirkstoffe – wie z. B. Penicillin – rektal verabreicht nicht ausreichend bioverfügbar und können nur oral in Form von Saft, Tabletten, Kapseln etc. gegeben werden. Da man davon ausgeht, dass kleine Kinder feste Arzneiformen nur schlecht zu sich nehmen können, wird wenn möglich auf flüssige Darreichungsformen zurückgegriffen.

Ein Problem, das sich dabei stellen kann, sind laut Breitkreuz die eingesetzten Hilfsstoffe, die eben nicht "in jeder Entwicklungsstufe des Kindes toxikologisch unbedenklich" seien. So ist z. B. aus verschiedenen Studien bekannt, dass Benzylalkohol und Propylenglykol gesundheitliche Schäden bei Kindern unter sechs Monaten, insbesondere bei solchen mit einem niedrigen Geburtsgewicht, verursachen können. Dennoch werden diese Substanzen in vielen bei Kindern verwendeten Arzneimitteln eingesetzt, unter anderem in einigen Ambroxol-Säften.

Ähnliches gilt für Aromastoffe, die bei Kindern mit allergischen Grunderkrankungen Komplikationen machen können. Wie Breitkreutz erklärte, kann hinter einem "Orangenaroma" bei einem Saft eine Fülle an Substanzen stecken. Es sei für den Apotheker praktisch unmöglich, bei der Abgabe festzustellen, welche Aromakomponenten im Einzelfall verwendet wurden.

Tabletten teilen – oft nur theoretisch möglich

Im Fall von festen Arzneiformen erweist sich Breitkreutz zufolge insbesondere die Dosisanpassung für Kinder als schwierig. So sei z. B. die "saubere" Gabe von geteilten oder zerstoßenen Zytostatika-Tabletten ein Ding der Unmöglichkeit. "Während der Herstellung von Zytostatika herrschen Reinraumbedingungen, und zuhause zerteilen die Eltern die Tabletten dann mit dem Messer auf dem Küchentisch", verdeutlichte Breitkreutz das Problem. Um hier Abhilfe zu schaffen, sind seiner Ansicht nach neue Entwicklungen wie Mini- oder Mikrotabletten unbedingt erforderlich.

Ebenfalls sprach sich Breitkreutz für eine Ausweitung der bestehenden Applikationsformen für Kinder aus. Kaugummis, schnell auf der Zunge zergehende Arzneiplätzchen, Lutscher oder Arzneifilme sind seiner Aussage nach Darreichungsformen, die das Potenzial "kindgerecht" erfüllen könnten. Allerdings müsse bei der Entwicklung darauf geachtet werden, dass die Arzneimittel in Form und Geschmack nicht zu sehr Süßigkeiten ähneln, damit Kinder sie nicht Bonbons und Co. vorziehen würden.

Ein "Pädiatrieausschuss"

als Hoffnungsschimmer? Dafür plädierte auch Dr. Despina Solomonidou, Novartis Pharma AG, Basel, die einen Einblick in die rechtliche Situation der Entwicklung kindgerechter Arzneiformen gab und wie Breitkreutz die derzeit bestehende Versorgungslücke bei Kinderarzneimitteln kritisierte. Einen möglichen Ansatz zu einer Verbesserung der Situation bietet laut der Referentin die geplante Einrichtung eines "Pädiatrieausschusses" bei der Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln (EMEA), der auf der Basis eines vom Hersteller zu liefernden pädiatrischen Prüfkonzeptes entscheiden soll, welche vor der Zulassung stehenden Arzneimittel auch für den therapeutischen Einsatz bei Kindern infrage kommen und daher entsprechend geprüft werden müssen.

Durch diesen Ausschuss könnte künftig sichergestellt werden, dass Arzneimittel nicht nur für Erwachsene, sondern auch für Kinder – in geprüfter Weise und mit kindgerechter Darrreichungsform – zur Verfügung stehen. Vorbild für die europäischen Bemühungen sind die gesetzlichen Rahmenbedingungen in den USA. Allerdings, so die Referentin, hinke man in Europa mindestens zehn Jahre hinter der Entwicklung in Übersee hinterher – und es sei nicht zu erwarten, dass sich dieser Rückstand verkürzen werde. Dem stünden noch zu viele offene Fragen in Bezug auf den Ausschuss entgegen.

Auch ist das geplante Vorhaben aus Sicht von Solomonidou, die die Seite der Pharmaindustrie repräsentierte, nicht nur positiv zu bewerten. So sei unter anderem die vom Ausschuss von den Herstellern geforderte Ausarbeitungszeit für das Prüfkonzept zu kurz gewählt. Zu dem Zeitpunkt, an dem nach derzeitiger Vorgabe das Konzept vorliegen soll, stünden noch keine Langzeitdaten bei Erwachsenen zur Verfügung. "Die Gefahr, dass klinische Studien bei Kindern auf der Basis von wackeligen Daten bei Erwachsenen durchgeführt werden müssen, ist groß", warnte Solomonidou.

Ein weiterer Kritikpunkt: Durch die geforderte Prüfung bei Kindern könnte sich die Markteinführung eines Wirkstoffs für Erwachsene verzögern. "Die Behörde scheint in diesem Punkt jedoch mit sich reden zu lassen und eine nachträgliche Prüfung zu ermöglichen", so die Hoffnung der Referentin.

Fehlerquellen bei der Trockensaftherstellung

Probleme bei Kinderarzneimitteln mit direktem praktischem Bezug für die Apotheke brachte Dr. Mona Tawab vom Zentrallaboratorium Deutscher Apotheker zur Sprache. Sie stellte eine vom ZL durchgeführte vergleichende Untersuchung zu Amoxicillin-Trockensäften für die Anwendung bei Kindern vor. Amoxicillin-Trockensäfte, so Tawab, sind in der Pädiatrie eine wichtige und häufig eingesetzte Arzneiform.

Die letzte Stufe der Saft-Herstellung, die in der Hand von Laien liegt, berge jedoch zahlreiche Fehlerquellen wie

  • ungenaue Umsetzung der Packungsanweisungen
  • falsches Endvolumen durch Über- oder Unterfüllen
  • eine erschwerte Herstellung aufgrund von Oberflächenphänomenen (zu langsame Schaumauflösung)
  • Fehldosierung durch ungenügendes Redispensieren vor jeder neuen Anwendung
  • Fehler aufgrund ungenauer Dosierhilfen

Im Rahmen der ZL-Studie wurden 35 Amoxicillin-Monopräparate und 21 Kombinationen von Amoxicillin mit Clavulansäure untersucht. Erste Fehlerquellen, so Tawab, habe man bereits bei den Anwendungshinweisen gefunden. So seien Dosisangaben unvollständig oder fehlerhaft gewesen, beispielsweise hätte die Angabe auf der Packung nicht immer mit der auf dem Beipackzettel übereingestimmt oder aber der Karton hätte gar keine Herstellungsvorschriften aufgewiesen. Auch falsche Angaben über das zu ergänzende Wasservolumen wurden gefunden.

Weitere Fehlerquellen traten bei den Untersuchungen zur Ermittlung des korrekten Auffüllvolumens, der Bestimmung der Dosiergenauigkeit, der Prüfung des Sedimentationsverhaltens und bezüglich der Thermostabilität der Präparate zu Tage. So erwies es sich mit den meisten Dosierhilfen z. B. als schwer möglich, Vorgaben wie 1/4 oder 1/2 Löffel korrekt zu dosieren. Teilweise wurden dabei erhebliche Überdosierungen festgestellt – sowohl bei den Mono- als auch bei den Kombipräparaten. Eine Lagerung bei Raumtemperatur statt im Kühlschrank erwies sich in der Untersuchung vor allem in Bezug auf den Gehalt an Clavulansäure als fatal, wirkte sich jedoch auch bei den Monopräparaten negativ aus.

Als Fazit der Untersuchung gab Tawab folgende Empfehlungen:

  • Hersteller sollten ihre Trockensäfte mit einem entsprechend der zu ergänzenden Menge in Wasser markierten Messbecher ausstatten und unbedingt an der Optimierung der Dosiergenauigkeit ihrer Applikationshilfen arbeiten.
  • Apotheker sollten bei der Abgabe der Trockensäfte darauf hinweisen, dass der Saft vor jedem Gebrauch kräftig geschüttelt und auf jeden Fall im Kühlschrank gelagert werden muss. Auch sollte auf die begrenzte Haltbarkeit des Safts hingewiesen werden. ral

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