DAZ Feuilleton

Passah, das Frühlingsfest

Goethes "Osterspaziergang" ist alle Jahre wieder aktuell: holder Frühling, grünendes Hoffnungsglück, bunte Farben, Sonne, Licht. An Ostern, dem Fest der Auferstehung des Herrn, sind die Menschen "selber auferstanden" und freuen sich zugleich an dem Wiedererwachen der Natur. Ostern steht in direktem historischem Zusammenhang mit Passah, dem Frühlingsfest der Juden. Das diesjährige Osterfest ist schon lange vorbei, doch das siebentägige Passah begann erst am letzten Sonntag, dem 24. April, und die orthodoxen Christen feiern Ostern noch eine Woche später, am 1. Mai. Ist bei Juden und Griechen der Frühling in Verzug geraten?

Jüdischer Kalender

Der jüdische Kalender richtet sich nach dem Mond. Die Monate haben 29 oder 30 Tage und dauern etwa so lange wie ein Mondzyklus, von Neumond bis Neumond, sodass der Vollmond stets auf die Monatsmitte fällt. Da zwölf Mondmonate nur ca. 354 Tage ergeben und um langfristig eine Übereinstimmung der Kalenderjahre mit dem Sonnenjahr (ca. 365 Tage) zu erzielen, wird im Laufe von 19 Jahren siebenmal ein Schaltmonat eingefügt, denn 235 Mondzyklen (19 x 12 + 7; Metonischer Zyklus) entsprechen fast genau 19 Jahren (Differenz: 125 min, < 0,1 d). Der Schaltmonat im jüdischen Kalender folgt alle zwei bis drei Jahre auf den letzten regulären Wintermonat.

Bei Vollmond, wenn die Gerste reif ist

Ob der kalendarische Winter noch durch einen Schaltmonat verlängert wurde, entschieden die jüdischen Hohenpriester früher sehr kurzfristig aufgrund des jeweiligen Reifungsgrades der Gerste, denn bereits am 15. Tag des ersten Frühlingsmonats – am 15. Nisan – musste im Tempel von Jerusalem reife Gerste geopfert werden. Dieser Erntedank fiel mit dem Beginn des Passahfestes zusammen, das an den Auszug der Israeliten aus Ägypten erinnert und bis heute von gläubigen Juden gefeiert wird. Das Datum in der Monatsmitte bedingt, dass in der vorhergehenden Nacht der Vollmond am Himmel steht.

Ostern entsteht

Jesus war wenige Tage vor seinem Tod von Galiläa nach Jerusalem gezogen, um dort das Passah zu feiern. Ob er am 15. Nisan gekreuzigt wurde, nachdem er mit seinen Jüngern gemäß jüdischem Brauch am Vorabend das Passahmahl zu sich genommen hatte, oder ob er bereits am 14. Nisan starb, gleichzeitig mit den Passahlämmern, die für das Passahmahl geschlachtet und im Tempel geopfert wurden – darüber machen die Evangelien widersprüchliche Aussagen. Sie stimmen hingegen darin überein, dass Jesus an einem Freitag starb und am dritten Tag, an einem Sonntag, von den Toten auferstanden ist.

Der Tag der Auferstehung wurde wegen der zentralen Bedeutung dieses Ereignisses im christlichen Glauben zum Feiertag der christlichen Woche. Ein Bedürfnis, die Auferstehung außerdem noch an einem besonderen Jahresfesttag groß zu feiern, hatten die ersten Christen dagegen nicht verspürt; ihnen genügte als Erinnerungsfeier die Teilnahme am Passah.

In dem Maße, wie die Christen danach strebten, sich von den Juden zu distanzieren, etablierte sich das Osterfest. Durch Beschluss des Konzils von Nicäa (325) wurde es entsprechend dem historischen Ereignis auf den ersten Sonntag nach Frühlingsvollmond gelegt, doch wurde der Frühlingsbeginn nicht mehr phänologisch (nach dem Zustand der Vegetation) bestimmt, sondern – nach gewissen Streitigkeiten – generell auf den 21. März festgelegt. Dadurch wurde es möglich, die Osterfeste weit voraus zu berechnen.

Kalenderfehler und Kalenderreform

Kurz darauf, um 360, gaben auch die Juden ihrem Kalender ein festes Schema, das unabhängig von der Vegetation bestimmt, wann vor dem ersten Frühlingsmonat ein Schaltmonat einzufügen ist. Dieser jüdische Kalender ist exakter als der von den Christen benutzte Julianische Kalender, aber beiden Kalendern ist gemeinsam, dass sie etwas zu lang sind (Tab. 1). Folglich wandern im Laufe der Jahrhunderte alle Kalenderdaten allmählich nach vorn, z.B. die Frühlingsdaten in Richtung Sommer. Papst Gregor XIII. korrigierte diesen Fehler, indem er im Jahr 1582 die zehn überzähligen Kalendertage ausfallen ließ, die sich im Julianischen Kalender seit dem Konzil von Nicäa angehäuft hatten, und den Gregorianischen Kalender einführte.

Da die Juden ihren Kalender nicht reformierten, geschieht es seither hin und wieder und im Laufe der Jahrhunderte immer öfter, dass Ostern dem Passahfest vorausgeht. Diese "historisch falsche Reihenfolge" ist genau der Grund dafür, dass die meisten orthodoxen und anderen morgenländischen Kirchen das Osterfest weiterhin nach dem Julianischen Kalender berechnen, selbst wenn sie für die unbeweglichen Festtage im Kirchenjahr den Gregorianischen Kalender verwenden. Sie nehmen dafür in Kauf, dass sie in manchen Jahren – wie jetzt – Ostern erst Anfang Mai feiern; denn die Distanz der beiden christlichen Kalender beträgt inzwischen schon 13 Tage (Tab. 2).

Ein einheitliches Osterfest?

Nachdem sich schon Martin Luther dafür ausgesprochen hatte, das Osterfest zu fixieren, schlug Papst Paul VI. im Jahr 1977 vor, es immer an dem Sonntag nach dem zweiten Samstag im April zu feiern, das heißt zwischen dem 9. und 16. April. Doch die meisten morgenländischen Kirchen lehnten dies aus dem oben genannten Grund – Ostern darf nicht vor Passah sein – ab.

Es hat den Anschein, dass der Mond auch heute noch eine Faszination auf viele Theologen ausübt, vielleicht sogar mehr denn je. So hielt eine 1997 vom Weltkirchenrat organisierte Konferenz am ersten Frühlingsvollmond als maßgeblichem Kriterium für die Osterfestberechnung fest und plädierte überdies dafür, den Tag des Vollmondes aufgrund der Ortszeit von Jerusalem (statt Greenwich) zu bestimmen und den Frühlingsbeginn astronomisch exakt zu berechnen, das heißt als jeweilige Tagundnachtgleiche, die von Jahr zu Jahr um maximal einen Tag differieren kann. Doch lässt sich eine Begründung für die astronomische Definition des Frühlingsanfangs weder aus der Praxis zu Jesu Lebzeiten noch aus der Bibel ableiten.

Angesichts der vielen widersprüchlichen Reformvorschläge zur Osterfestberechnung dürfte ein für alle Christen einheitliches Osterfest, das eventuell sogar noch mit dem Passahfest, von dem es ja abstammt, harmonisiert ist, eine Utopie bleiben.

W. Caesar

Wann soll Ostern sein? 

Die Berechnung des Osterfestes berücksichtigt vier kalendarische Kriterien der von der Bibel berichteten Auferstehung:

 

1. Wochentag: Sonntag 2. Jüdischer Kalender: nach dem Passah (15. Nisan) 3. Mondzyklus: nach Vollmond 4. Jahreszeit: im ersten Drittel des Frühlings

Das zweite Kriterium, aus dem sich die beiden letzten Kriterien ableiten, spielt heute für die abendländischen Kirchen keine Rolle mehr, wohl aber für die morgenländischen Kirchen, die stattdessen das vierte Kriterium vernachlässigen.

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