Die Seite 3

Vom Scheitern lernen

Was haben die NRW-Wahl und die zwei Tage zuvor erzwungene "Einigung" gemeinsam, bei der der Deutsche Apothekerverband im Namen der gut 21.000 Apotheken weitgehend und großzügig darauf verzichtet hat, Ansprüche geltend zu machen, die sich aus Wortlaut und Sinn des GKV-Modernisierungsgesetzes 2003 (GMG, § 130 Abs. 1a) eigentlich klipp und klar ergaben? NRW-Wahl und "Einigung" zeugen vom Scheitern. Beide werfen Fragen auf. Und beide lassen die politische Kultur in "diesem, unseren Lande" in einem nicht sehr vorteilhaften Licht erscheinen.

Dass eine derart desaströse Wahlniederlage von Rot-Grün in NRW auch bundespolitische Folgen haben würde, war abzusehen. Wie der Kanzler allerdings reagierte, offenbart seine Verzweiflung unerwartet deutlich. Was vorschnell als "Flucht nach vorn" interpretiert wurde, ist bei nüchterner Betrachtung wohl eher eine Flucht aus der Verantwortung – und der Versuch, die Zentrifugalkräfte in seiner Partei und Bundestagsfraktion im Zaum zu halten. Es spricht wahrlich viel dagegen, dass Schröder und Müntefering in den wenigen Monaten bis zu den nun angestrebten Neuwahlen zum Bundestag das Blatt so gründlich wenden können, wie es für einen Sieg nötig wäre.

In den Meinungsumfragen sind die Zahlen für die SPD auf Bundesebene noch einmal zehn Prozentpunkte schlechter als in NRW. Wenn es zu den Neuwahlen kommt, deutet derzeit fast alles auf Machtwechsel. Schröder scheint im Angesicht der sich türmenden Probleme an allen Fronten (Wachstum, Arbeitsmarkt, Haushalt, Sozialpolitik) ein Ende mit Schrecken vorzuziehen.

Dafür spricht auch, wie leichtfertig er zur Herbeiführung von Neuwahlen mit der Verfassung umzuspringen gedenkt, die das Instrument eines fingierten Misstrauensvotums nicht kennt. Münteferings Begründung, über die Neuwahlen wolle man nun "das strukturelle Patt zwischen Bundestag und Bundesrat vom Wähler entscheiden lassen", ist denkbar schwach. Wenn Rot-Grün die Neuwahl gewinnt (was Schröder und Müntefering eigentlich hoffen müssten), bleibt es bei dem Patt, denn an der Bundesratsmehrheit der jetzigen Opposition ändert sich dadurch nichts. Das Patt wird nur beseitigt, wenn Rot-Grün auch im Bundestag die Mehrheit verliert. Müntes Argumentation deutet darauf hin, dass Schröder nicht mehr weiter weiß und die Regierungsverantwortung los werden will.

Für CDU/CSU und FDP ist die Situation ambivalent. Sie wollen die Macht und wissen, dass es wie Kneifen aussähe, falls sie sich gegen vorgezogene Neuwahlen aussprächen. Aber CDU und CSU müssen nun im Eilverfahren ausstehende personelle und programmatische Entscheidungen treffen. Hoffen wir, dass dabei wichtige gesundheitspolitische Knackpunkte nicht auf der Strecke bleiben. So sollten wir darauf drängen, dass die von Rot-Grün betriebene Schwächung der freien Heilberufe, insbesondere der niedergelassenen Fachärzte und der öffentlichen Apotheken, von einer neuen Regierung gestoppt und so weit wie möglich rückgängig gemacht wird.

Vom Scheitern lernen – das sollten wir auch bezogen auf die eilends und im besten Stil einer Bananenrepublik erzwungene Einigung in Sachen Kassenrabatt. Die Entwicklung der Packungszahlen in 2004 würde nach Gesetzeslage (§ 130 Abs. 1a, der so auf Druck der Krankenkassen ins Gesetz kam) dazu führen, dass den Apotheken für 2005 eine deutliche Senkung des Kassenrabattes zusteht – das war der ABDA spätestens seit Mitte 2004 bekannt. Man wusste auch, welche öffentliche Reaktion zu erwarten war, sobald dieser Anspruch eingefordert werden würde. Es würde in der Summe um annähernd 400 Millionen Euro gehen, je Durchschnittsapotheke also um fast 20.000 Euro. Ein Aufschrei der Medien, der Krankenkassen, der Politik war zu erwarten.

Deshalb suchte unsere Berufsvertretung verständlicherweise nach einer weniger Aufmerksamkeit erregenden Verhandlungslösung, bei der gleichwohl unsere legitimen Interessen gewahrt würden. Dies ist offensichtlich gescheitert. Es blieb nur der Weg zur Schiedsstelle. Warum sind wir in dieser Situation nicht sofort selbst wohlformuliert den Weg in die Öffentlichkeit gegangen – und nicht erst als Reaktion auf die voraussehbaren Attacken aus den Medien, als wir uns zur Begrenzung des Kommunikationsdesasters zu weitgehenden Zugeständnissen drängen lassen mussten?

Wie hätten wir dagestanden, wenn wir frühzeitig aus unserem gesetzlichen Anspruch 300 Millionen z. B. für die Versorgungsforschung und für die Verbesserung der pharmazeutischen Betreuung von Altenheimen und krebskranken Kindern zur Verfügung gestellt hätten! Wir hätten so für den wirtschaftlichen Verzicht zumindest einen deutlichen Imagegewinn verbuchen können. Die Chance ist vertan. Was lernen wir daraus?

Peter Ditzel

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